Es stinkt. Die Klappluke, die sich in dem großen Glasbausteinfenster öffnen lässt, steht zwar quer, aber das reicht einfach nicht, um das Treibgas aus Dutzenden Sprühdosen abziehen zu lassen. Ein leichter Nebel hängt an der Decke der schlichten Turnhalle, Cope2 is in da house. Die Street-Art-Legende aus New York City verschönert hier eine Wand für eine Wohltätigkeitsaktion. "Life is beautiful", "Stay strong" und "Say no to drugs", lautet seine Botschaft an die Kids des Come in in Hamburg-Moorfleet. Sie sind in der Fachklinik auf Entzug, gehen hier zur Schule und holen ihren Hauptschulabschluss nach.
Vier mal sechs Meter misst die Wand, 140 Kilo auf fast zwei Meter Körper misst der Graffiti-Gott, der selbst eine Drogenvergangenheit hat. Als Jugendlicher wuchs er in der Bronx auf, hat gedealt, war im Knast, und hat ähnliche Erfahrungen wie die meisten Teenager, die hier landen. Cope, der eigentlich Fernando Carlo heißt, bleibt für zehn Tage in der Stadt und zeigt seine Kunst in der Ausstellung "Legend by Nature". Die "natürliche Legende" will den Jugendlichen Hoffnung machen, ihnen zeigen, dass ein Fehler in der Biografie nicht über ein ganzes Leben entscheiden muss. Wenn man seine Chancen nutzt.
"Eine Chance hat jeder"
"Meine Mutter hat schon früh gesagt 'Du solltest auf Leinwand malen und damit dein Geld verdienen!'", erzählt der New Yorker Autodidakt. "Aber ich wollte nicht. Irgendwann merkst du, dass es sich lohnt. Du hast zum Beispiel eine Freundin, sagen wir, sie heißt Deborah, und die fragt dich 'Kannst du meinen Namen auf eine Leinwand sprühen?'. Das machst du, klar, du willst sie ja glücklich machen. Dann sieht das jemand und sagt 'Oh, könntest du eins für mein Kind zum Geburtstag machen? Was würde das kosten?' Und du antwortest: 'Keine Ahnung, was würdest du bezahlen?' Und dann sagen sie was von 100 Dollar oder 200 Dollar. So hat es bei mir angefangen. Bald kam jemand und sagte: 'Ich habe 500 Dollar, kannst du mir dafür eine große Leinwand besprühen?' 500 Dollar! Da wird dir klar, dass du normalerweise eine Woche brauchst, um so viel zu verdienen, bei deinem Scheißjob mit dem Scheißchef."
Seine Chance hat auch Mike erkannt. Er ist 20 und darf bei Come in entziehen, obwohl die Institution eigentlich für 12- bis 18-Jährige gedacht ist. "Aber Mikes Psychologin hat gesagt, er passt zu uns", so Oliver Voß-Jeske, Psychiater und seit knapp zwei Jahren Leiter der Einrichtung. "Hier leben rund 30 Jugendliche", erzählt der Psychiater weiter. "34!", korrigiert Mike mit einem strengen Seitenblick auf den Heimleiter. "Er ist unser Lexikon", grinst Voß-Jeske. "Eine Chance hat jeder", sagt Mike, "da hat man die Alternative: Knast oder Entzug." So sagt es das Gesetz. "Außer Mord haben wir hier alles", sagt Voß-Jeske. Hauptursache für die Straftaten ist Beschaffungskriminalität, die Bandbreite bei den Teenagern reicht vom einfachen "Abziehen" bis hin zu bewaffnetem Überfall. "In den fast 22 Jahren, die es Come in gibt, waren ungefähr 1000 Teenager über zwei Jahre hier. Nur die Hälfte von denen, die herkommen, bleibt auch." Gerade sind wieder drei abgehauen. "Aber zwei von ihnen kommen heute noch zurück."
Der Jugend etwas geben
Auch wenn er gelernt hat, dass er nur mit seinen auf Leinwand gebannten Werken Geld verdient, antwortet Cope auf die Frage: "Sprühst du noch in den Straßen?" mit "Of course, it's in you!". Inzwischen investiert er selbst in Kunst und lagert sie ein. Street-Art oder van Goghs? "Für van Gogh bin ich nicht reich genug", sagt Cope, "ich kaufe Street-Art. Was heute 20.000 Dollar kostet, kann in fünf Jahren 100.000 wert sein und ein Kind durchs College bringen."
Cope2 kam nach Hamburg, weil Greta Verhuelsdonk nicht locker gelassen hat. Sie betreibt die Hamburger Galerie, die auf internationale Street-Art spezialisiert ist, und verfolgt das künstlerische Schaffen des New Yorkers schon lange. Immer wieder hat sie ihn gebeten, bei ihr auszustellen, nun hat es geklappt. Seine neuesten Werke gefallen ihr besonders gut, auf den Leinwänden mischen sich gemalte und gesprühte Kunst. "Ich bin außerdem wahnsinnig beeindruckt von Copes Großzügigkeit", erzählt Verhuelsdonk. Denn als sie ihn fragte, ob er sich eine Charity-Aktion während seines Aufenthalts in der Elbstadt vorstellen könne, sagte er sofort zu. Dass es die Turnhallenwand bei Come in wurde, liegt nicht nur daran, dass es gut zu Copes Vergangenheit passt. "Eines Tages spazierte ein junger Mann in meine Galerie, ein Sprayer", verrät sie.
Unter Kollegen
Dieser Sprayer ist für die Hamburger Street-Art-Szene das, was Cope2 für New York ist. "Als er hörte, dass Cope nach Hamburg kommen wird, konnte er es nicht fassen. Von da an hat er mir unglaublich geholfen. Und mir auch das Come in als möglichen Partner für die Charity-Aktion vorgeschlagen. Er war selbst zwei Jahre dort und sagt, ohne die Suchtklinik würde er heute nicht mehr leben", erklärt die Galeristin. Seinen Namen möchte der Vermittler verständlicherweise nicht preisgeben.
Kurz bevor die Turnhallenwand fertig gestaltet ist, bittet Cope den ehemaligen Klienten und Hamburger Kollegen um Hilfe. Die großen Strukturen sind angelegt, es fehlen noch ein paar Bubbles rundherum, die Feinarbeit. Die Kids, die sich seit Stunden auf dicken Matten räkeln und nur mal an die frische Luft gehen, um eine zu rauchen, freuen sich. Sie feuern ihren Come-in-Vorgänger an, der liebevoll im Stil der Legende sprüht, während Cope auf der Leiter noch einmal alle schwarzen Outlines nachzieht: "Life is beautiful", "Stay strong" und "Say no to drugs". Copes Worte werden die Jugendlichen nicht nur beim Sportunterricht begleiten.