Goldener Seniorenherbst? Nicht, wenn man im Alter pflegebedürftig ist und ins Heim muss. Denn trotz monatlicher Kosten von gut 3000 Euro für die Heimkosten ist da keine Spur von "dolce vita". In Wirklichkeit ist die Prospektwelt der "Seniorenresidenzen" pure Phantasie: Es gibt es keine majestätischen Alleen, keine duftenden Blumen und kein Dinner im Kerzenschein. Dafür gibt es Insulin-Rallye, Windeln mit einem Fassungsvermögen von drei Litern und Essen für zwei Euro am Tag. In Wirklichkeit geht es um Geld, Macht, Korruption und mafiöse Geschäfte.
Strukturen erleichtern Missbrauch
Über genau diese Realität haben Claus Fussek und Gottlob Schober ein Buch geschrieben. "Im Netz der Pflegemafia" heißt es und es handelt - wie sollte es anders sein - über die Missstände im deutschen Pflegesystem. Diesmal allerdings geht es weniger um die Leiden des Einzelnen, sondern um die Strukturen der Pflege-Maschinerie selbst, die zu den menschenunwürdigen Bedingungen führen.
Das Buch
Im Netz der Pflegemafia - Wie mit menschenunwürdiger Pflege Geschäfte gemacht werden
von Claus Fussek / Gottlob Schorer
C. Bertelsmann Verlag, München 2008.
399 Seiten, 14,95 Euro.
Wichtigste Forderung der beiden Pflege-Kritiker ist dabei die Umsetzung einer "Pflegeheim-Hitparade": Von der besten bis hin zur schlechtesten Einrichtung soll jeder Heimplatzsuchende auf einen Blick erkennen können, wie gut die Qualität eines Hauses ist. Dann, so hoffen die Autoren, werde die Konkurrenz dafür sorgen, dass das Netz der "Pflegemafia" Löcher bekommt.
Bisher dürfen Daten nicht veröffentlicht werden
Erster Bestandteil eines solches Rankings könnten die "Einrichtungsbezogenen Qualitätsberichte" des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) sein. Doch die dürfen laut Pflegegesetzbuch nicht veröffentlicht werden. Die immer wieder kehrende Frage im Buch ist folglich: Warum wird das Gesetz nicht geändert? Warum nicht, wenn heute fast alle von den Autoren angesprochenen Politiker davon überzeugt sind, dass eine Veröffentlichung von Prüfberichten zu mehr Qualität in der Pflege führen würde?
Aufgrund ihrer Recherchen und Interviews kommen Fussek und Schober zu dem Ergebnis, dass die so genannte Pflegelobby der "Pate" in diesem System ist. Sie sei mächtig genug, um erfolgreich Widerstand gegen eine Gesetzesänderung und der damit verbundenen Veröffentlichung der Qualitätsergebnisse zu leisten. Kein Wunder, denn der Konzentrationsprozess der Pflegebranche ist weit fortgeschritten: Allein die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrt e.V. (zum Beispiel Caritas, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt) und der Bundesverband Privater Anbieter Sozialer Dienste e.V. vertreten nach eigenen Angaben zwei Drittel aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Und die Branche ist milliardenschwer. Rund zwei Milliarden Euro werden jährlich an die Träger gezahlt.
Niedrige Pflegestufe bedeutet weniger Geld
Dabei ist nicht immer klar, was mit den 3000 Euro je Heiminsassen eigentlich passiert: Fussek und Schorer stießen auf jede Menge fiktive Lohnabrechnungen. Angeblich wird in jedem zweiten Heim Phantompersonal abgerechnet. Mit überflüssigen Transporten vom Heim ins Krankenhaus und zurück werden die Kassen abgezockt. Die zahlen allein für das Hin- und Hergefahre jährlich Millionen. Auch würden keine ernsthaften Versuche unternommen, den Gesundheitszustand der alten Menschen zu verbessern. Der Grund dafür ist ein finanzieller: Je gesünder ein Senior ist, desto niedriger seine Pflegestufe. Je niedriger die Pflegestufe, desto weniger Geld zahlt die Pflegekasse.
Natürlich bleiben die Enthüllungen der beiden Buchautoren nicht ohne Widerspruch. Henschtel Bernhard, Abteilungsleiter beim Roten Kreuz München für stationäre und ambulante Pflege erklärte gegenüber stern.de: "Die meisten Heime sind gut. Der Fussek ist einfach mediengeil."
Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Tipps Claus Fussek für die Suche nach dem passenden Pflegeheim bietet
Herr Fussek, an welchen Kriterien erkennt man ein gut geführtes Heim?
Lange Wartezeiten auf einen Heimplatz sind ein gutes Zeichen. Immer angebracht: Selbst reingehen und fragen. Ein gutes Heim braucht keine Hochglanzprospekte, es lebt von Mundpropaganda. Auch eine große Eingangshalle ist überflüssig - so wie eine Heimleitung, die herausposaunt, dass die Zufriedenheit der Bewohner bei 90 Prozent liegt. Die gibt es nicht, denn eigentlich will keiner in einem Pflegeheim leben - auch wenn das Heim gut geführt ist. Wenn es einen Angehörigenbeirat gibt, der mitbestimmt, ist das auch positiv.
Ein gutes Zeichen ist immer Interesse an dem Neuzugang: Fragt die Heimleitung nach der Biographie, dem früher ausgeübten Beruf und was der neue Bewohner gerne isst? Auch lange Wartezeiten auf einen Heimplatz sind ein gutes Zeichen.
Ein klares k.o.-Kriterium ist hingegen, wenn man sofort in ein bewohntes Zimmer geführt wird, Patienten und Heimbewohner also "vorgeführt" werden. Auch die Sprache bietet einige Indizien über die Führung des Heims: Alte Menschen sollten nicht "untergebracht" sein, sondern wohnen. Hellhörig sollte man auch bei Worten wie "Bettenanzahl" und "Bettgehzeiten" werden.
Und wenn geschummelt wird?
Folgen Sie Ihrem Bauchgefühl - wie ist die allgemeine Stimmung? Ist das Personal freundlich? Stellen Sie ruhig auch so banale Fragen wie: "Viel zu tun?" Ein Seufzer kann hier Bände sprechen. Sind Haustiere erlaubt? Riecht es angenehm - man kann sich nicht vorstellen, in wie vielen Heimen es streng nach Urin riecht. Sitzen Leute im Garten oder im Cafe? Wie ist der Zustand der Sanitäreneinrichtungen? Wie gesagt: Am hilfreichsten ist schauen und nachfragen!
Was ist mit Pflegebedürftigen, die niemanden haben, der ihnen bei der Suche hilft?
Vorsorge ist besser als Nachsorge. In diesem Fall, muss man sich rechzeitig mit dem Gedanken 'Pflegeheim' auseinandersetzen und am besten Wünsche schriftlich festhalten. Es könnte ja sein, dass man nach einem Schlaganfall nicht mehr reden kann.