Ein Bild und seine Geschichte Kampf um die Ikone des Krieges

Der Fotograf wurde mit Preisen überschüttet, der Mann, den er abbildete, wünscht sich ein anderes Leben. David Turnley hat 1991 ein Foto des Krieges geschossen, das zur Ikone wurde. Dabei wäre es fast nicht veröffentlicht worden.

Der US-Soldat weint. Den Mund geöffnet, das Gesicht verzerrt vor Schmerz blickt er hinaus aus dem Bild. Scheinbar weg vom Krieg, nach dessen Schlacht er im Hubschrauber sitzt, den Arm in einer Schlinge, neben sich ein anderer Verletzter sowie ein Toter im Leichensack. Es ist ein zeitloses Bild. Korea? Vietnam? Nein, Irak, 1991.

Der amerikanische Fotograf David Turnley begleitet die 5. Sanitätseinheit der US-Armee im Irak als "embedded journalist". Zwischen Saddams Republikanischer Garde und der 24. Infanterie-Einheit ist es zu heftigen Kämpfen gekommen. Ein Sanitätshubschrauber mit dem Fotografen an Bord landet knapp 100 Meter neben dem Schlachtfeld. "Als wir die Stadt Nasirija am Euphrat erreichten, sahen wir ein Militärfahrzeug, das von einer Rakete zerstört worden war", erinnert Turnley sich später. Zwei verletzte Soldaten werden in den Hubschrauber gebracht. "Sie schienen orientierungslos, wussten nicht, was passiert war." Die Leiche des Fahrers wird in einen Leichensack gesteckt. Ein Sanitäter gibt seinem Kollegen die Identifikationsmarke des Toten. In diesem Augenblick erkennt der verletzte Unteroffizier Ken Kozakiewicz, dass sein bester Freund durch 'friendly fire' getötet worden ist. Und Turnley schießt sein Foto.

Furcht vor Zensur

Die intime Aufnahme der menschlichen Tragödie bringt ihm den World Press Preis 1991 ein. Dabei hatte das Verteidigungsministeriums die Veröffentlichung des Fotos zu verhindern versucht. "Das war meine größte Furcht", so der Bildjournalist im BBC-Interview. Der Film muss über das Militär außer Landes gebracht werden, anders geht es nicht. Was, wenn sie ihn einbehalten?

In Saudi-Arabien erfährt Turnley, dass sein Bild tatsächlich nicht herausgegeben worden ist. Also wendet er sich an den zuständigen Oberleutnant: "Ich wusste, dass er in Vietnam gewesen war, und ich sagte zu ihm: 'Sie wissen, was im Krieg passiert, und Sie nehmen diesen Männern gerade das ihnen zustehende Heldentum - dass sie ihr Leben riskieren mussten, um in diesem Krieg zu kämpfen.'"

Nach einigem Gezerre wird das Foto schließlich frei gegeben und sofort in internationalen Zeitungen und Zeitschriften als "Ikone des Krieges" gedruckt. "Es ist nicht unbedingt ein Bild von US-Soldaten, es geht um Krieg und junge Männer, die in die Schlacht ziehen", erklärt sich Turnley den Erfolg. "Es ist ein starkes Sinnbild für die Realität des Krieges." Zu der auch gehört, dass ein US-Panzer im Chaos des Gefechts seine eigenen Leute angreift.

"Es hat einen Augenblick festgehalten, und zufällig bin ich darauf zu sehen", sagte der Irak-Veteran Kozakiewicz zehn Jahre nach Entstehung des Bildes . "Es war eines der wenigen Male, als ich in meinem Leben geweint habe. Ich wurde bekannt als der Typ auf dem Bild, aber ich wünschte, es gebe dieses Bild nicht, so wie ich wünschte, es hätte diesen Krieg nie gegeben." Mittlerweile jobbt der Mann in der Warenannahme eines Einrichtungshauses in Buffalo. Die Spätfolgen seines Einsatzes - Schlafstörungen und Panikattacken - lassen nur langsam nach, und er sagt: "Der Krieg war es nicht wert. Wir haben für den Ölpreis gekämpft".

Das Leiden anderer betrachten

Seine Mission sei es, mit der Kamera zu enthüllen, dass jeder Mensch Würde besitze, sagte Turnley einmal über seine Arbeit. Er hatte die Soldaten damals gefragt, ob sie mit einer Veröffentlichung einverstanden seien. Alle stimmten zu. Vor allem der Vater von Kozakiewicz, selbst Vietnam-Veteran, schimpfte über die Möglichkeit einer Zensur durch das Militär: "Sie wollen, dass wir denken, der Krieg sei 'sauber'. Aber das ist Krieg. Wo ist das Blut und die Realität dessen, was hier passiert? Endlich haben wir ein Bild, das zeigt, was wirklich vor sich geht." Die Trauer um den Soldaten gebe seinem Tod Bedeutung.

"Das Leiden anderer betrachten" heißt einer der letzten Essays von Susan Sontag, der sich mit der Kriegsfotografie auseinandersetzt. "Das Bild sagt: Setz dem ein Ende, interveniere, handle. Und dies ist die entscheidende, die korrekte Reaktion", schreibt die US-Schriftstellerin. Genau genommen hat also bisher niemand Turnleys Bild wirklich zugehört.