"True love leaves no traces, if you and I are one. It's lost in our embraces, like stars against the sun." Diesem Zitat aus einem Song von Leonard Cohen widersprechen auf den ersten Blick die aktuellen Fotoprojekte der Bildkünstler Alec Soth und Nikki S. Lee. Denn beide haben sich individuell und erfolgreich mit ihrer Fotokamera auf die Suche nach Spuren von Leiden- und Partnerschaften gemacht, die laut Cohen unsichtbar und flüchtig sind. In ihren Arbeiten haben sie festgehalten, wie Zweisamkeit und Liebe visuell in Erscheinung tritt und sichtbar bleibt. Bei Nikki S. Lee spiegelt sich der auf dem Bild nicht erkennbare Geliebte im Gesicht der fotografierten Partnerin. Alec Soth wirft den Fokus auf die Umgebung, in der sich große Leidenschaften abspielen. Seine Spurensuche führt zu einem beliebten Honeymoon-Ziel: den Niagarafällen.
Schon sein vorausgegangenes Buch- und Ausstellungsprojekt "Sleeping by the Mississippi" zeigt Szenarien, in dessen Zentrum ein kraftvolles Gewässer steht. Seine Fotos von Landschaften und Menschen erlauben tiefe Einblicke in das Seelenleben von Individuen und einer ganzen Gesellschaft. Sie erzählen vom amerikanischen Traum und vor allem davon, dass er ein Traum geblieben ist. "Sleeping by the Mississippi" wurde von der Kritik bejubelt und Soth wurde Mitglied der Agentur Magnum.
Referenz an einen Filmklassiker
Seine neue Fotoarbeit "Niagara" entstand als Referenz an den gleichnamigen Spielfilm mit Marilyn Monroe und Joseph Cotten. In dem Klassiker von 1953 endet die emotionale Spirale zwischen einer Ehefrau und ihrem Gatten tödlich. Bilder von ermordeten Ehepartnern sind in Soths überzeugend puristisch gestaltetem Fotoband keine zu finden. Dafür aber beeindruckend klare Aufnahmen von aufgeflammten und abgekühlten Leidenschaften. Nach seinen Beweggründen für die Wahl der Niagarafälle als Motivort befragt, gesteht Soth: "Ich bin aus den gleichen Gründen wie die Honeymooner und Selbstmörder zu den Niagarafällen gegangen. Der mächtige Donner des Wasserfalls schreit einfach nach großer Leidenschaft."
Die Bildbände:
Alec Soth: Niagara
Mit Essays von Philip Brookman und Richard Ford
Englisch, 2006, 144 Seiten mit 50 Farbtafeln
48 Euro, Steidl Verlag
Nikki S. Lee: Parts
Gespräch von RoseLee Goldberg mit der Künstlerin
Englisch, 2005, 88 Seiten mit 64 farbige Abbildungen
29,80 Euro, Hatje Cantz Verlag
Die von Soth mit der Großformatkamera aufgenommenen Szenarien sind trotz der leidenschaftlichen Thematik gekonnt und nüchtern komponiert, weit entfernt von Kitsch und Klischee. Unübersehbar ist Alec Soths Nähe zu den großen amerikanischen Fotografen wie Walker Evans und Robert Frank. Auch bei geschlossenen Fenstern gelingt es Soth dem Betrachter zu vermitteln, was hinter den Vorhängen leise oder kräftig rumort. Seine Bilder erzählen von Versprechen von Unabhängigkeit und Freiheit, von Glück und Zufriedenheit, von Idealen, die im Alltag nicht bestehen können.
Gezeigt werden Bilder von in sich verschlungenen nackten Paaren, Naturgewalten, Liebesbriefen, nüchternen Motelfassaden und Interieurs. Erschienen ist das spannende Projekt im Steidl Verlag. Aktuell sind einige Motive daraus in der Ausstellung "Click Double Click" im Münchner Haus der Kunst zu sehen.
Kühle Klarheit
Am Ende von "Niagara" finden sich Bildnachweise, einige nicht großformatig gedruckte Motive und Notizen des Fotografen, darunter auch ein Zitat des Schriftstellers Oscar Wilde: "I was disappointed in Niagara - most people must be disappointed in Niagara. Every American bride is taken there and the sight of the stupendous waterfall must be one of the earliest, if not the keenest disappointments in American married life." Eine solche Aussage sucht man in einem Reiseführer vergeblich. Beim Betrachten von Soths Bildern jedoch schwebt man nicht in den Wolken, sondern kauert im Wind, steht direkt am mächtigen Wasserfall und spürt die kühle Klarheit und Kraft - den realen harten Boden unter den Füßen. Den Sturz aus dem siebten Himmel hat man schon hinter sich.
Auch wer sich dem aktuellen Projekt "Parts" der New Yorker Konzeptkünstlerin Nikki S. Lee widmet, sollte keinesfalls auf klebrige Romantik hoffen. Ihre Aufnahmen von Liebespaaren brechen raffiniert die Tradition der Doppelporträts. Auf den ersten Blick sind es Schnappschüsse aus dem Alltag von Lebensabschnittsgemeinschaften: Ein Frühstück mit Boxershorts auf dem Balkon, verliebtes Planschen im öffentlichen Schwimmbad, Reisen zu Urlaubszielen mit dankbaren Motiven für das heimische Fotoalbum, Distanz und Schweigen im Taxi nach einem Streit.
Die Motive treffen Stereotype, und die Frau auf den Bildern ist immer dieselbe. Die in Korea geborene Nikki S. Lee schlüpft in ihrem Bildband "Parts" treffsicher in die Rolle der Partnerinnen. Schon bei anderen Arbeiten hat Lee ihr Talent zur Selbstinszenierung und ihr Gespür für die Darstellung von Menschen in den unterschiedlichsten sozialen Schichten und Kulturen bewiesen. Sie spielt und lebt sie alle: egal ob feine Dame der Pariser Gesellschaft, verliebter Teenager im hormonellen Hoch, desillusionierte Prostituierte oder Gestrandete in einer amerikanischen Wohnmobilsiedlung. In jeder Verkleidung wirkt sie glaubwürdig und lässt die imaginäre Figur in der Fotografie lebendig werden.
Partner hat Auswirkungen auf das Selbstbild
Dabei geht es ihr nicht konkret um die einzelnen Frauen und deren Umgebung, sondern vor allem um das Variable in ihrer eigenen Persönlichkeit und den Einfluss, den das jeweilige kulturelle oder private Umfeld auf das eigene Ich hat. Auch die Entscheidung für einen bestimmten Partner hat laut Lee direkte Auswirkungen auf das eigene Selbstbild. Durch ihn verändert sich auch das Bild, das für die Außenwelt inszeniert wird: "Ich habe erkannt, dass meine eigene Identität variiert in Abhängigkeit von dem Mann, mit dem ich ausgehe oder demjenigen, der mein Geliebter wird. Eine bestimmte Person bewirkt, dass ich mich sehr herrisch und unabhängig fühle, in der Nähe eines anderen fühle ich mich dagegen wirklich weiblich und zerbrechlich".
Und eben das, was die Partnerin laut Lee zum sensiblen Frauchen oder zum wilden Weib macht, ist als ganzer Körper aus ihren Fotoarbeiten verschwunden nur eine Hand oder ein Bein erinnern noch an die "bessere Hälfte". An der Stelle, an der das Äußere des Partners erkennbar würde, ist das Bild abgeschnitten. Die Kante ist nicht ausgefranst, wie bei Fotos, die ein verletzter Liebender in zwei Hälften gerissen hat, um sein Gesicht symbolisch von dem des Partners zu trennen. Bei Lee separiert ein sauberer Schnitt die beiden Hälften eines Paares voneinander. Sie überlässt dem Betrachter das Bild der Frau, um von der Anwesenden - ihrem Blick, ihrer Mimik, ihrem gesamten Äußeren auf den Abwesenden zu schließen. In ihr wird der Unsichtbare sichtbar.
Zwei interessante Bildbände
Zahllose Filme, Bilder, Bücher kreisen um den mächtigen Themenkomplex "Liebe, Leidenschaft und Zweisamkeit". Selten genug wird dieses Feld von solch interessanten Blickwinkeln aus betrachtet, wie in den Fotografien von Alec Soth und Nikki S. Lee.
"True love leaves no traces ...". Vielleicht hat der Songpoet Cohen am Ende doch recht und wahre Liebe ist tatsächlich spurenlos - auch für den besten Fotografen nicht festzuhalten. Denn die Bildbände von Soth und Lee erzählen nicht von einem Ideal, sondern von der fotografierbaren Realität im Alltag - der Liebe am Boden. Auch deshalb sind sie besonders sehenswert.