Stellt euch vor, die Szene wäre aus einem Hollywoodfilm: Eine alte Frau liegt auf ihrem Sterbebett. Sie ist zu schwach, den Brief, den sie erhalten hat, selbst zu lesen, also lässt sie ihn sich vorlesen. Dann kommen ihr die Tränen.
"Marianne", beginnt der Brief, "wir sind nun beide in dem Alter angekommen, da unsere Körper langsam anfangen zu vergehen – und ich denke, dass ich dir bald folgen werde. In dem Wissen, dass ich so nah bei dir bin, kannst du einfach deine Hand ausstrecken, und ich denke, du wirst meine erreichen."
"Marianne & Leonard": Worte der Liebe
Es sind die Worte des großen kanadischen Poeten Leonard Cohen, und sie richten sich an seine Muse, an die große Liebe seines Lebens, die so gerührte Marianne Ihlen. Gerührt ist auch der Zuschauer über diesen und viele weitere Momente in dem neuen Dokumentarfilm "Marianne & Leonard: Words of Love", denn die Liebesgeschichte, die Regisseur Nick Broomfield ("Kurt & Courtney", "Whitney: Can I Be Me?") hier erzählt, beruht ausschließlich auf wahren Begebenheiten.

Und deswegen funktioniert der Film so gut. Wäre er bloß ein Hollywoodfilm, wäre nicht nur die beschriebene Szene zu dick aufgetragen. Aber hier geht es um echte, tiefe Gefühle. Und um diese so stimmig wie möglich zu illustrieren, nutzt Broomfield neben eigenen Aufnahmen auch frühes Material des inzwischen verstorbenen US-Filmers D. A. Pennebaker, der Ihlen einst auf Hydra filmte.
Auf der griechischen Insel lernte Cohen die Norwegerin in den 60ern kennen, er verliebte sich in sie, und sie inspirierte ihn zu Songs wie "So Long, Marianne" oder "Bird On A Wire". Sein späterer Ruhm sorgte für Entfremdung und schließlich für den Bruch zwischen beiden.
Der Film folgt Cohen ab diesem Moment weiter auf seinem Weg als Künstler, während Ihlen zurück in ihre Heimat geht, heiratet und ein Leben führt, das mit Cohen, der 2016 nur wenige Monate nach Ihlen verstarb, nicht möglich war. Seinen Hang zur Verführung verschweigt der Film dann auch nicht, wenngleich er manchmal doch arg blumig beschrieben wird: "Er schaffte es, dass Frauen sich durch ihn gut fühlten", zum Beispiel.
"Ich weiß nicht, hinter was er herjagte"
Ein anderer Weggefährte Cohens, Rick Cornelius, sagt über dessen unzählige Frauengeschichten: "Ich weiß nicht, hinter was er herjagte." Fest steht, dass Cohen es bis ans Ende seines bewegten Lebens jagte. Was auch immer es war.
Auch "Marianne & Leonard: Words of Love” gibt darauf keine Antwort. Aber wie Broomfield stattdessen seine Fragen zum Verhältnis zwischen Künstler und Muse, zu einem längst vergangenen Hippie-Lifestyle und der ganz normalen Suche nach dem Glück aufwirft, wirkt lange nach.