Wenn Küchengärtner reisen, dann sehen sie sich andere Küchengärten an. Ich habe mich nach Wien begeben, weil ich von einem Wildkräutergarten mitten in der Stadt gehört hatte. Mein Ziel: Neubaugasse 58, Hinterhof einer ehemaligen Sattlerei.
Eine zierliche, fröhliche Frau empfängt mich. Riki Hinteregger gehört ein veganes Restaurant, das sich auf Rohkost spezialisiert hat. Im Obergeschoß des Lokals gibt es Biomode und Biokosmetik, im Geschäft davor allerlei Kräuter und Küchenzutaten (biologisch, vegan).
Der Garten präsentiert sich mir beim Betreten als "grüne Hölle". Scheinbar wild und ungeordnet und doch wieder strukturiert. Gleich links beim Gartentor blüht Bärlauch, gegenüber wird kompostiert. Und Riki erzählt, das Areal wäre anfangs von wilden Erdbeeren überwuchert gewesen. Als sie diese entfernt hatte, kamen unzählige Wildkräuterarten wie von selbst zum Vorschein. Der Garten nahm langsam Form an. Sein Potenzial war wach geküsst.
Zwischen Brennnesseln, Giersch, Wegerich, Löwenzahn, alten Holunderbäumen und in Bäckerkisten gezogenen Küchenkräutern erzählt mir die drahtige Mitvierzigerin, sie habe das Areal regelrecht gefunden. Einfach so, weil es Zeit für Veränderung war. Ihre Geschichte passt gut ins Ambiente. Die Erzählungen einer starken Frau, die viele Jahre in Indien gelebt hatte, den ersten Hanfladen von Wien führte, roh und vegan lebt, isst. Weil Hirsche auch nur Rohes fressen und vegan leben. Dem Hirsch ist sie verbunden, die Riki. Hängt doch ein Geweih (ein Familienerbstück) in der Küche ihres veganen Restaurants. Riki ist anders als normal, beruhigend anders und bodenständig. Mit viel Witz und Liebe zum Besonderen.

Ein entscheidendes Ereignis führte Riki zu den Wildkräutern. Der Alltag kostete sie Anfang dieses Jahrzehnts viel Kraft. Die Energie dafür kam von Brennnessel und Co. Und die Liebe zu einer natürlichen, auf Pflanzen basierten Ernährung brachte Riki von Haus aus mit. Sie ist übrigens in der Obersteiermark geboren, keine Wienerin. Wenn man ihren Garten heute sieht, dann denkt man unweigerlich: Schon verrückt, verrückt schön!
Der Wildkräutergarten ist nicht öffentlich, sondern ein echter Nutzgarten für die Küche. Er bietet Lebensraum für all das, was im Normalfall ausgerissen, weggeschnitten oder vernichtet wird. Beim Durchwandern fallen einem typische Gartenblumen wie Schwertlilien und alte Rosenstöcke sowie Zierpflanzen wie der Wurmfarn auf. Die Besitzerin lässt es wachsen. Das spürt man hier bei jedem Schritt. Was aufkommt, darf gedeihen.

Entlang der roten Mauer zum Nachbargrundstück hin wurde ein Kräuterbeet angelegt. Recycling stand hier Pate fürs Motto: Bäckerkiste, Plexiglaselemente (nehme ich einmal an) halten die Erde für das Kräuterbeet zusammen. Und mit Ziegelsteinen ist ein weiteres Beet im hinteren Gartenbereich eingefasst. Weil eine Mitarbeiterin von Riki eine Ausbildung in Kräuterkunde absolviert. Dazwischen finden sich genügend Bereiche zum Rasten und kleine ausgetretene Pfade führen durchs Areal. Eine Hängematte, Sessel und Tisch, eine Bank unter einer Trauerweide, gleich daneben ein kleiner Buddha-Schrein, ein Feuerplatz und eine Schwitzhütte. Wohlfühlen im wilden Garten.
Ich möchte mich in die Hängematte legen, mir einen grünen Smoothie von Riki servieren lassen und eintauchen in diese wilde Welt. Statt mich aber auszuruhen zücke ich die Kamera und versuche, dieses Idyll einzufangen. Das Besondere des Platzes, an dem statt des Stadtlärms nur Vogelgezwitscher zu hören ist. Ein Paradies im Schatten alter mehrstöckiger Wohnhäuser. Eine harmonische Kulisse für grünes, rohes Essen und für ein wildes Leben.