Dieser Hype ums Urban Gardening belustigt mich. Beinahe täglich schreiben deutsche Tageszeitungen über Gemüse vom Dach oder am Balkon. Und selbst in den Gartencentern ist der Trend des Stadtgärtnerns bereits angekommen. Eigene Tröge, einem Hochbeet nachempfunden, versprechen den Ernteerfolg. Da ist es egal, ob diese Tröge gärtnerischen Schwachsinn darstellen. Und sauteures Saatgut soll man kaufen, weil dieses extra für den Balkongarten geeignet ist.
Ganz ehrlich Leute, ich schüttle zunehmend den Kopf. Die Stadtgartlerei wird zum Lifestyle hochgespielt. Frei nach dem Motto: Wir sind alle toll, karrierebewusst, super über drüber urban, und ziehen uns Gemüse nebenbei auf der Terrasse unserer schicken Stadtwohnungen. So ein Schmarrn mit Quaste.
Bei diesem Trend kann ich nicht mit. Vielleicht ist mir das Küchengarteln auch viel zu ernsthaft wichtig. Weil ich andere Zahlen im Kopf habe, wenn ich drüber schreibe. Zahlen, die zu belegen scheinen, dass der Mittelstand verarmt. Dass auch meiner Generation ein eher bescheidenes Dasein blüht. Die fetten Jahre sind vorbei. Ein Faktum, das unsere Gesellschaft noch nicht wirklich zu betrachten wagt. Weil sie noch auf Besserung hofft und dem Wachstumswahnsinn nachläuft. Leute, selbst Bohnen wachsen nicht in den Himmel!
Ich halte es mit all den wirtschaftlichen Prognosen pessimistisch und erwarte nichts – vielleicht hab ich aber nur zuviel Noam Chomsky gelesen. Weiß nur, es ist klug, sich das Leben so einzurichten, dass man sich weitestgehend selbst versorgt, die Wohn- und Lebenssituation so unabhängig wie möglich vom Einkommen macht. Und für die ganz banalen Dinge im Alltag auf ein persönliches Netzwerk zurückgreifen kann. Große Sprünge, die gab es auch für mich einmal. Sie sind jedoch Vergangenheit.
Für den Küchengarten bedeutet das: Nicht dem Designer-Hochbeet und exotischen Sorten gebe ich den Vorzug. Nein, das was man zum Leben braucht, das wird angepflanzt. Und dafür verwende ich alles, worin sich Erde füllen lässt. Nütze den Raum optimalst, der mir zur Verfügung steht. Also nicht nur in die Breite sondern auch in die Höhe. Vertical-Gardening nennen das die Trendsetter. Mir ist das Wurst, wie der Name dafür lautet. Ertrag muss möglich sein.
Ich erinnere mich noch an die 1990er Jahre, als es Krieg im damaligen Jugoslawien gab. Anfang dieses letzten Jahrzehnts im 20. Jahrhundert hatte ich das Glück, eine Kleinstadt in Slowenien zu besuchen. Den Stadtpark gab es damals nicht mehr. Der Krieg hatte die Leute wieder in die Selbstversorgung gedrängt. Im ehemaligen Park zum Lustwandeln wuchsen Bohnen und Kartoffeln.
Den Teufel will ich nicht an die Wand malen. Aber wenn ich sehe, wie selbst in meinem Umfeld – viele Akademiker darunter und wirklich top ausgebildete Leute – die Euros umgedreht werden, weil Arbeitsbiografien unterbrochen sind, dann tun wir gut daran, uns der alten Fähigkeiten wieder zu besinnen. Fähigkeiten wie Selbstversorgung mit allem, was man braucht. Subsistenz nennt sich das.
Jetzt wisst ihr, was ich denke, wenn ich morgens einen Google Alarm zum Urban Gardening erhalte. Und ich vom schicken Hype der Stadtgärtner lesen darf.
Wertschätzung und Benimm-Regeln:
Ich pflege hier einen wertschätzenden Umgang mit Informationen und Kommentaren, gebe der Vielfalt Raum. Weil Küchengarteln auch vielfältige Ausdrucksformen, Ansichten und Zugänge besitzt, dieses frei von dogmatischen und technokratischen Strukturen passiert. Im Küchengarten ist vieles und nicht nur das Eine möglich.
Der Vielfalt Raum zu geben schließt entwürdigende, verspottende, diskreditierende und pauschale Bewertungen und Vorurteile in den Kommentaren aus. Dieser Raum hier ist frei von Vorurteilen, von Verunglimpfung, Spott, Ausgrenzung und rassistischen Äußerungen. Ist dies nicht der Fall, nehme ich mir das Recht heraus, solche Kommentare ohne Begründung zu löschen und gegebenenfalls diese und deren VerfasserInnen der Blogger-Redaktion von stern.de zu melden. Passiert die Löschung, wird dieser Zusatz im Anschluss an den Beitrag veröffentlicht. Man findet diesen auch auf der Seite "Angelika Wohofsky".