Ach ja, früher war alles besser. In der guten alten Zeit. Merkel hieß Adenauer, sonntags waren die Kirchen voll, und Kirschwasser hatte mindestens 50 Umdrehungen. Vorbei, ach! Vorbei? Nicht ganz. Der Interessenverband "Unterschätzte Inlandsreiseziele e.V." empfiehlt: die Ortenau. Gerade jetzt, wo die Kirschbäume blühen…
Links und rechts der Straßen und Wege im sanften Vorgebirgsland zwischen Baden-Baden und Offenburg erstrahlt nun schneeweiß die Kirschblütenpracht. Sanft überziehen die weißen Kugeln ein kleinteiliges Obstgartenland und manche unaufgeräumte Streuobstwiese am Hang. Dazwischen viel Fachwerk, Wein und über allem der mächtige Schwarzwald. Selbst an den Höhenwegen blitzt es kirschbaumweiß neben dunklem Tann.
Info Obstbrände
Wacht auf, Szenetrinker: Cognac und Armagnac, Scotch, Bourbon und (guter) Rum sind große Kulturspirituosen. Aber Obstbrände genauso und hundertmal spannend er als Grappa, Tequila, Cachaça oder Wodka, die nicht ohne Grund gemixt und industriell gefertigt werden und am Ende meist nur Aktiengesellschaften bereichern. Obstbrände sind ein einzigartiges Kulturgut unseres Sprachraums und werden nicht gekippt, sie werden genossen. Nicht so sehr Komplexität, sondern vor allem Reintönigkeit ist das Ziel des Brenners, der meist in familiären und handwerklichen Traditionsstrukturen arbeitet.
Hier blühen die wilden Bergkirschen für die Brennerei Scheibel in Kappelrodeck. Im Sommer, nach der Ernte, treten sie ihren Weg hinunter ins Achertal an, auf dass aus ihnen ein Kirschwasser mit stolzen 56 Prozent werde, wie früher, die reine Medizin!
Von knorzigen Bäumen
In der dritten Generation führen die Scheibels ihre Brennerei am selben Ort, eine Manufaktur wie aus dem Bilderbuch. Das Familienunternehmen hat sich auf die handwerkliche Herstellung "Schwarzwälder Edelbrände" spezialisiert, mit Leidenschaft und Präzision. Am Hoftor wacht Opa Emil selig als Denkmal, neben ihm ein Fläschchen Kirsch. Geboren ist der Ahnherr am 11. 11.99 - 1899 natürlich. Die Schnapszahl gab ihm den Lebensweg vor.
Heute führt Enkel Michael das Büro, seine Schwester Martina kümmert sich mit weiblichem Feingefühl ums Produkt. Sie entscheidet, wann die wilden Kirschen geerntet werden - mühsam von Hand, penibel verlesen. Von alten, windschiefen, knorzigen Bäumen kommen die Früchte, klein sind sie, voll am Baum ausgereift und hocharomatisch. Echte Raritäten voller Kraft und Urgeschmack. Fast 2000 Kirschen braucht es für eine einzige Flasche. Und ordentlich Überzeugungsarbeit bei den Bauern der Gegend. Schließlich predigen die Scheibels denen das genaue Gegenteil von dem, was die Genossenschaften erzählen: "Wir wollen kein makelloses, transport- und lagerfähiges Obst. Wir wollen reife Früchte. Uns interessiert nur das Aroma, der optimale Reifegrad." Manchmal kommt ein Förster und verrät, wo es wilde Erdbeeren gibt. Da wird Martina Scheibel dann ganz nervös.
Der Sommer im Schnapsglas
Auf eine langsame, weil temperaturgesteuerte Gärung der Früchte folgt anschließend zunächst ein Roh-, später noch ein Feinbrand. In der Premiumlinie sogar auf einer traditionellen Holz-Feuer-Brennerei samt Kupferblase nach Opa Emils Plänen. Die Ofensteine haben sich die Scheibels in aufgelassenen Kleinstbrennereien im ganzen Schwarzwald zusammengesucht. Feuer sei einfach eine andere Energie, meint Martina Scheibel, "natürlicher, unsteter, individueller". Sie ist Naturwissenschaftlerin, sie muss es wissen. Uns ist das im Grunde völlig egal, solange Spitzendestillate wie die Scheibelschen dabei herauskommen.
Neben dem Kirsch besonders schön: ein Brand von wilden Pflaumen, Zibarten, liebevoll "Zibärtle" genannt. Diese badische Spezialität, über Jahrhunderte nicht domestiziert und andernorts weitgehend unbekannt, wächst heute nur noch vereinzelt auf den Streuobstwiesen. Zu aufwendig ist ihre Ernte, Dornen sind da im Spiel und ein bitter-säuerliches Aroma, das einem die Schuhe auszieht. Zu nichts sind sie zu gebrauchen. Nur zum Brennen. Doch was heißt da nur? Würzige Süße, satter Pflaumenduft, ein Hauch von Rosmarin und Mandel. Und dann der Williams oder der Badische Mirabell, die Gelbe Bergpflaume, oder, oder, oder.
Das Wichtigste, sagen die Scheibels, ist es, den edlen Bränden ihre Zeit zu geben. Manche legen sie sogar ins Holzfass. Alle Destillate reifen, bis sich die gewünschten Aromen voll entfaltet, alle unerwünschten abgebaut haben. Das Ergebnis: klare, facettenreiche und charakteristische Obstbrände, samtweich, mild, mit klarer Frucht und in harmonischer Komplexität. Da steht dann auch im tiefsten Winter plötzlich der ganze Sommer im Schnapsglas. Kein Wunder übrigens, dass die Scheibels ihre Holzfeuer-Premiumlinie "Alte Zeit" nennen. Wie gesagt: die gute alte Zeit.
0,7 l Zibärtle Brand, 61,50 Euro inkl. Versand.
Kontakt:
Emil Scheibel
Schwarzwald-Brennerei
Grüner Winkel 32
77876 Kappelrodeck
Tel.: 07842/949 80
www.scheibel-brennerei.de