Serie: Gefühlt gestern Wie die "Bravo Hits"-Sampler mir in den 90ern die Welt der Musik eröffneten

Wer technisch ganz weit vorn dabei war, hörte seine "Bravo Hits"-CDs in den 90ern per Discman
Wer technisch ganz weit vorn dabei war, hörte seine "Bravo Hits"-CDs in den 90ern per Discman
© imagebroker.com / Action Press
Céline Dion, Scooter, Stefan Raab – nirgendwo kollidierten die Genres so schön wie auf den "Bravo Hits"-Samplern. Unsere Autorin erinnert sich ans Musikhören in den 90ern.

Früher war nicht alles besser. Manche Dinge waren sogar ziemlich schräg. Aber Nostalgie ist eine seltsame Sache: Mit genügend Abstand verursachen einem Phänomene, die man damals bitterernst nahm und anschließend lange völlig egal fand, plötzlich ein wohlig-warmes Gefühl im Bauch, wenn man an sie denkt. Diese Kolumne soll einen liebevollen, aber prüfenden Blick auf die Vergangenheit werfen. Was war so cool, dass man ihm mit Recht nachtrauern darf? Und was ist in den Untiefen der Geschichte eigentlich ganz gut aufgehoben?

Am 21. April 1992 wurde eine Mix-CD veröffentlicht, die einen solchen Einfluss auf mein heutiges Leben haben sollte, dass mein damals zehnjähriges Ich vermutlich darüber gestaunt hätte. Es war die erste Ausgabe der "Bravo Hits". Die Sampler wurden von der Jugendzeitschrift "Bravo" herausgebracht. Dem bunten Heft also, das sich damals fast jeder Schüler an meiner Schule von seinem Taschengeld kaufte. Bei uns in der Familie war es meine Oma, die uns die Zeitschrift oft mitbrachte, wenn sie uns besuchen kam.

Auf den "Bravo Hits", die anfangs zweimal und später viermal jährlich erschienen, versammelten sich Songs aus den verschiedensten Musik-Genres – Hauptsache, sie stammten aus den aktuellen Charts. Die erste Ausgabe enthielt etwa die elektronischen Techno-Klänge von U96 "Das Boot", Boygroup-Power von New Kids On The Block mit "If you Go Away" oder das unvergessene Pop-Duo Roxette mit "Church of Your Heart". Insgesamt zählt die Reihe zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen in den deutschen Compilation-Charts, weshalb schon bald diverse Ableger wie "Bravo Hits Party", "Bravo Super Show", "Bravo Black Hits", "Bravo HipHop-Special", "Bravo Girl", "Bravo Christmas" "Bravo Girl" und, na ja, "Bravo Hits Best of" hinzukamen.

Die "Bravo Hits" waren der Soundtrack zum wöchentlichen Heft

Die Alben waren für mich die perfekte Ergänzung zur wöchentlich erscheinenden Zeitschrift. Ich konnte DJ Bobo, Ace of Base und Dr. Alban hören und dabei News über sie erfahren oder Interviews mit ihnen lesen. Ich konnte die (gedruckten) Autogrammkarten sammeln, mich über die Foto-Lovestorys amüsieren oder die neuesten Charts mit denen der Vorwoche vergleichen. Ein Highlight war es für mich, wenn ich endlich alle Teile des legendären Starschnittes zusammenhatte, die dann ein lebensgroßes Poster ergaben. Bei mir hing Take That an der Tür. Woanders fanden Robbie, Mark, Gary, Howard und Jason da schon keinen Platz mehr, weil alles in meinem Zimmer bereits mit Postern bedeckt war.  

Diese Teenager-Zeit war wie ein Kennenlernen für mich, weil ich neue Musik entdecken durfte und Hit für Hit mehr über meinen eigenen Musikgeschmack herausfand. Vor allem, als ich endlich meinen ersten eigenen CD-Player bekam.

"Alles daran war so offline!"

Das ist sicher der Hauptgrund, wieso mir die "Bravo Hits" immer so gut gefallen haben: Auf jeder CD gab es Songs von den verschiedensten Künstlern. Die besten davon hörte ich dann so oft, bis ich sie mitsingen konnte. Vor allem Eurodance und elektronische Musik hatten es mir damals angetan. Cool fand ich aber auch diese etwas albernen 90er-Songs wie: "Der Berg ruft" von K2, (im entsprechenden Musikvideo hatte Daniel Aminati einen Auftritt in Lederhose!), "Barbie Girl" von Aqua oder "Eine Insel mit zwei Bergen" von Dolls United.
 
Alles daran war so offline, dass ich es mir heute, etwa 30 Jahre später, kaum noch vorstellen kann. Das Internet, Nachrichtenseiten und Streamingdienste haben inzwischen die damalige Technik komplett abgelöst. Ein wenig schade ist das vor allem deswegen, weil es sich nicht mehr so besonders anfühlt, wie damals, neue Musik zu entdecken. Der "Release-Radar" bei Spotify jeden Freitag ist schön und gut, verursacht aber nicht mal ansatzweise solche Vorfreude, wie ich sie damals fühlte, wenn ich endlich mit einem neuen "Bravo Hits"-Sampler in den Händen zu meinem CD-Player ging.

Mittlerweile gibt es 127 Ausgaben der "Bravo Hits". Wer die Sampler aus den 90ern noch auf dem Dachboden liegen hat, kann sich sehr glücklich schätzen. Unter Sammlern haben die Original-CDs nicht nur einen nostalgischen Wert – bei Kleinanzeigen wird derzeit Vol. 1 für 65 Euro gehandelt.  

Wenn ich heute die Songs von damals höre, ist es, als ob ich eine Zeitkapsel voller Emotionen und Erinnerungen öffne. Darin finde ich nicht nur all die Unsicherheiten, die jeder heranwachsende Mensch empfindet, sondern auch die tiefe Freude und die neugierige Aufregung, die das Leben damals in mir geweckt hat. Letztendlich ist mir aus dieser Zeit mehr geblieben als nur eine schöne Erinnerung: Es ist die unerschütterliche Liebe zur Musik in einer Vielfalt, wie sie wohl nur auf einem "Bravo Hits"-Sampler zu finden ist.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Bravo Hits"

Was ist das?  Eine Doppel-CD mit schreiend buntem Cover, auf der jede Menge aktuelle Hits versammelt waren. Genre: egal 
Wer hat's erfunden? Thomas Schenk, damals Geschäftsführer der Warner Special Marketing GmbH
Gab es von: 1992 – heute
Größter Hit: Vermutlich hatten Sie sie auch daheim – die "Bravo Hits No. 26" von 1999 war die meistverkaufte Veröffentlichung der Sampler-Reihe. Darauf fanden sich unter anderem die Banger „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys, „Mambo No. 5“ von Lou Bega und „Blue (Da Ba Dee)“ von Eiffel 65
War toll, weil: … wir so wussten, welche Musik gerade definitiv angesagt war
Comeback – yay oder nay? Weg sind die "Bravo Hits" ja nicht, nur eben obsolet geworden. Streamingportale haben die Aufgabe übernommen, uns neue Hits vorzustellen
 

Alle Texte unserer Nostalgie-Reihe finden Sie hier:  Gefühlt gestern