Lange Zeit forderte die afghanische Regierung, nicht die Geberländer, sondern sie selber solle die milliardenschweren internationalen Hilfsgelder verwalten und vergeben. Zunehmend geschieht das inzwischen: Die EU und die Weltbank etwa geben ihre Mittel direkt an die Wiederaufbau- und Entwicklungsbehörde (ARDS) im afghanischen Wirtschaftsministerium, die dann Aufträge verteilt. Auch über ein Viertel der staatlichen deutschen Hilfsgelder für Afghanistan entscheidet ARDS. Ausländische Entwicklungshelfer klagen über massive Korruption in der Behörde: "Man muss Schmiergeld zahlen, sonst gibt es keine Aufträge", sagt ein deutscher Helfer.
Schmieren oder Morddrohung
Ein westlicher Experte berichtet über haarsträubende Zustände in der Behörde und in weiten Teilen der afghanischen Regierung. Viele Ministerien seien mit "extrem inkompetenten Mitarbeitern" besetzt. Im vergangenen Jahr seien noch nicht einmal die Hälfte der dringend benötigten Hilfsmittel tatsächlich abgeflossen. Die Korruption in den Ressorts, die ARDS bei der Auftragsvergabe fachlich beraten sollen, reiche teils bis in die Ebene direkt unterhalb der Minister heran. "Der größte Verhinderer von Entwicklung hier ist die Regierung, nicht die regierungsfeindlichen Kräfte" wie die Taliban, kritisiert der deutsche Helfer, der seit Jahren im Land ist.
Der Deutsche weigert sich strikt, die üblichen fünf Prozent vom Auftragsvolumen als Schmiergeld zu zahlen. Die Folge: Seit über einem Jahr habe seine Organisation keinen der lukrativen Wiederaufbau-Aufträge mehr bekommen, sagt der Helfer. Stattdessen habe er Morddrohungen erhalten - aus dem Umkreis eines ehemaligen Ministers, der immer noch die Strippen in Kabul ziehe. In zwei Fällen sei ihm sogar das Dokument gezeigt worden, wonach seine Organisation die Ausschreibung nach den Vergabekriterien gewonnen habe. Die Dokumente seien später in den Ministerien schlicht geändert worden.
Bereichuerung ist völlig selbstverständlich
Die Korruption hat das Land am Hindukusch im Würgegriff. Im vergangenen Jahr kam Afghanistan auf der Liste der korruptesten Länder von Transparency International auf Platz 117 von 158. Außenminister Rangin Dadfar Spanta zählt Korruption neben Terrorismus und Drogenanbau zu den schwersten Problemen. Das Problem: Die persönliche Bereicherung gilt vielen afghanischen Machthabern, aber auch kleinen Beamten, als völlig selbstverständlich.
Die mit deutscher Hilfe ausgebildeten Polizisten - die oft nicht mehr als magere 30 Dollar (23 Euro) Monatslohn bekommen - halten bei nächtlichen Verkehrskontrollen in Straßenräuber-Manier die Hand auf. Selbst Grenzpolizisten am Flughafen bitten ohne Umschweife um Schmiergeld, um Ausreiseformalitäten zu beschleunigen. Wer Geld hat, kann sich auch die Fahrschule schenken - einen Führerschein gibt es für 60 Dollar zu kaufen.

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Höchste Regierungskreise machen mit
Ein Polizeigeneral berichtet ungeniert, wie man Hilfsgelder in die eigene Tasche lenken kann. Mit internationalen Hilfsmitteln hätten der Polizei 2000 Funkgeräte gekauft werden sollen, sagt er. Ein Amerikaner habe den Auftrag bekommen - und das Geld. Tatsächlich habe der Amerikaner aber nur 1000 Funkgeräte geliefert. Der Polizeigeneral erzählt, er selber habe den Erhalt von 2000 Geräten quittiert. Den Differenzbetrag habe man dann untereinander aufgeteilt.
"Die Bevölkerung ruft nach Justiz gegen die Korruption", sagt der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, der Deutsche Tom Koenigs. Die Rufe verhallen meist ungehört - auch weite Teile der Justiz gelten als korrupt. "Die Korruption wird munitioniert durch die Drogenwirtschaft, die ein riesiges Ausmaß angenommen hat", sagt Koenigs. Afghanistan ist der weltweit größte Produzent von Rohopium, dem Grundstoff für Heroin, das meist in den Venen der Süchtigen im Westen endet. Selbst hohe Regierungsbeamte seien in Drogengeschäfte verwickelt, sagt der Experte. Und auch bei manchen Ministern "kann der Wohlstand nicht von den Ministergehältern stammen".