Amoklauf in England Taxifahrer richtet unfassbares Blutbad an

Ein Land unter Schock: In Nordengland hat ein Taxifahrer zwölf Menschen erschossen, 25 verletzt und sich selbst getötet. Warum lief der 52-Jährige Amok? Die Polizei steht vor einem Rätsel.

Fassungslos schauen die Menschen in der nordenglischen Kleinstadt Whitehaven auf das Geschehen. So etwas passiert doch nicht bei uns, sagen viele immer wieder. Der Taxifahrer Derrick Bird hat bei einem Amoklauf am Mittwoch zwölf Menschen erschossen, 25 verletzt und sich anschließend selbst umgebracht. Drei Verletzte rangen am Abend noch mit dem Tod. Warum der 52-Jährige ausrastete, war der Polizei zunächst ein Rätsel. Er lebte seit Jahrzehnten in der dünn besiedelten Region, die für ihre Naturschönheit bekannt ist. Viele dort kannten ihn.

"Wir können zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, welche Motive sich hinter den Taten verbergen", sagte Kriminalkommissar Stuart Hyde von der Polizei der Grafschaft Cumbria am Abend. Es sei auch unklar, ob der 52-Jährige sie gezielt getötet oder wahllos um sich geschossen habe. Zwei Waffen wurden gefunden, insgesamt untersuchte die Polizei 30 mögliche Tatorte in der Region.

"Das Blut floss die Straßen lang"

"Das sind alles Anwohner und Polizisten hier, die die Menschen kennen, die heute getötet und verletzt worden sind. Das ist ein noch nie dagewesenes und sehr schweres Ereignis", erläuterte Hyde. "Es hat die Menschen hier bis aufs Innerste erschüttert."

Das folgenschwerste Blutbad in Großbritannien seit 14 Jahren begann am späten Vormittag. Bird gab ersten Ermittlungen zufolge Schüsse auf einer Straße in der Hafenstadt Whitehaven ab und tötete mindestens einen Menschen. Augenzeugen berichtete, er habe drei Taxifahrer erschossen, mit denen er befreundet gewesen sein soll. Anschließend setzte er sich in ein Auto und begann seine Todestour durch umliegende Dörfer Gosforth, Seascale, Egremont und Boot. Dabei soll Bird aus dem offenen Fenster seines Autos auf Passanten geschossen haben. Ein 30 Jahre alter Bauer wurde auf seinem Feld getötet, auch eine Frau auf einem Fahrrad fiel dem Amoktäter zum Opfer.

In der eigentlich verschlafenen Gegend spielten sich grausige Szenen ab: Er habe einen Mann blutend vor seiner Eingangstür gefunden, berichtete ein Auigenzeuge. "Er flehte 'Helft mir' und blutete heftig." Der Verletzte habe berichtet, dass er sich aus dem Auto retten wollte, als der Täter schoss. "Aber der Täter zielte nochmals und schoss ihm aus nächster Nähe in den Rücken." Ein Arzt sagte: "Das Blut floss die Straßen lang." Nach rund dreieinhalb Stunden tötete Bird sich selber in einem Waldstück.

"Birdy" führte ein unscheinbares Leben

Der Mann hatte bislang ein vollkommen unscheinbares Leben geführt. Er war geschieden, hatte zwei erwachsene Söhne und lebte allein, berichteten mehrere Medien. "Ich kann nicht glauben, dass er so etwas tun kann", sagte die Telefonistin eines Taxiunternehmens den "Whitehaven News". Nach ihren Angaben kam "Birdy" häufiger in die Stadt, um dort auszugehen. "Er war ziemlich beliebt". Ein Bekannter berichtete: "Er war sehr still, behielt alles für sich". Nach seinen Worten "muss ihn irgendetwas zum Äußersten getrieben haben". Angeblich war am Abend vorher einen Streit zwischen dem Mann und anderen Taxifahrern ausgebrochen.

Nach den ersten Schüssen startete die Polizei gegen Mittag eine großangelegte Suchaktion. Sie forderte die Menschen auf, in ihren Häusern zu bleiben. Die Tore des nahen Atomkraftwerkes Sellafield wurden geschlossen, niemand durfte hinein oder hinaus. Am Nachmittag gab die Polizei Entwarnung, nachdem Birds Leiche gefunden worden war.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Große Sorge hatte die Polizei während der Suche um Touristen, die auf den Wanderwegen unterwegs waren. Die Gegend in der Grafschaft ist wegen ihrer Berge und Seen bekannt. Sie ist eines der beliebtesten Urlaubsziele auf der Insel, jedes Jahr kommen 14 Millionen Besucher. Der Besitzer einer Gaststätte sagte dem Sender BBC, er habe sich zusammen mit mehreren Wanderern in seinem Haus verbarrikadiert. Die Leute hätten "unter Schock" gestanden.

Queen tief bestürzt über Amoklauf

Amokläufe sind in Großbritannien aufgrund des Waffenrechts - es gehört zu den schärfsten der Welt - seltener als in anderen europäischen Ländern. 1996 hatte ein Mann in der schottischen Stadt Dunblane 16 Schüler und einen Lehrer erschossen. 1987 tötete ein 27-Jähriger in der Stadt Hungerford in Südengland 16 Menschen, einschließlich seiner Mutter, und anschließend sich selbst. Bevor jemand eine Waffe besitzen darf, muss er unter anderem eine Art Bewerbung bei den Behörden einreichen und wird in einem Gespräch geprüft. Auch Stellungnahmen eines Arztes sind nötig. Ob Bird einen Waffenschein hatte, war zunächst unklar.

Premierminister David Cameron sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus. "Die Regierung wird alles tun, was in ihren Möglichkeiten steht, um den Menschen vor Ort zu helfen." Auch die Queen drückte ihr Mitgefühl aus. Sie sei "tief bestürzt" und teile "die Trauer und das Grauen" des Landes, schrieb Elizabeth II. in einer offiziellen Nachricht.

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DPA/APN/AFP