Man merkt, es ist ernst. Als ich die Pressestellen von Polizei und Staatsanwaltschaft anrufe, blocken beide ab, als sie hören weswegen ich anrufe. Pimmelgate? Ich möge meine Anfrage bitte schriftlich stellen. Man habe dazu ein "Wording" vorbereitet und könne ohnehin nichts anderes sagen, weil: laufendes Ermittlungsverfahren.
Pimmelgate ist eine Posse um ein Posting von Andy Grote vom 30. Mai. Da beschwerte sich Hamburgs Innensenator via Twitter über Leute, die im Schanzenviertel gefeiert hatten. Dort feiere "die Ignoranz", "was für eine dämliche Aktion", schrieb er damals und verlinkte die Polizei Hamburg, die mal wieder "den Kopf hinhalten" müsse. Darunter kommentierte ein anonymer Account namens ZooStPauli "Du bist so 1 Pimmel".
Etwas mehr als drei Monate später stehen um 6 Uhr Morgens sechs Beamte vor einer Wohnung in eben jenem Hamburger Stadtteil. Hausdurchsuchung. Man wolle das Gerät finden, mit dem "Du bist so 1 Pimmel" auf Twitter geschrieben wurde.
Andy Grote stellte Strafantrag wegen Beleidigung
Polizei und Staatsanwaltschaft sind bemüht, ihr Vorgehen zu verteidigen. Im "Wording" fallen Begriffe wie "verhältnismäßig", "tatrelevante Beweismittel" und "Hate Speech". Auch Grote bemüht sich am Donnerstag um eine Erklärung. "Wenn wir gegen strafbare Hass- und Beleidigungstaten im Netz konsequent vorgehen wollen, dann sind hierzu auch häufig Durchsuchungen erforderlich." Dies sei eine autonome Entscheidung der Behörden. Er habe darauf keinen Einfluss.
Das stimmt zwar, ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Beleidigung ist ein sogenanntes Antragsdelikt. Die Polizei darf ein Ermittlungsverfahren nur fortführen, wenn der Geschädigte das möchte. Der muss dafür nämlich einen Strafantrag stellen. Das ist in diesem Fall geschehen, wie die Staatsanwaltschaft auf stern-Anfrage bestätigt. Andy Grote hat also sehr wohl veranlasst, dass die Polizei hier tätig wird.
Nun kann man darüber streiten, wann sich wer wie doll beleidigt fühlt. Sicher ist aber: Es wurden bereits deutlich schlimmere Sachen im Netz gesagt als "Du bist so 1 Pimmel". Und das Problem dabei: Zu allermeist passiert genau nichts. Menschen werden im Netz mit Tod und Vergewaltigungen bedroht, aufs Übelste rassistisch beschimpft. Selten klopfen danach sechs Beamte an die Türen der tatsächlichen Hassverbrecher. Der Eindruck drängt sich auf: Fühlen sich Politiker selbst angegriffen, kann der Rechtsstaat seine volle Härte deutlich schneller entfalten.
Pimmelgate wird zum Trend auf Twitter
Der Hashtag Pimmelgate war am Mittwoch zum Top-Trend auf Twitter geworden. Tausende teilten ihre Erfahrungen mit Hass und Bedrohungen im Netz, teilten Beispiele, in denen eben nichts passiert ist. In denen sie von der Polizei vertröstet wurden.
Zudem kann man, wie der Autor dieser Zeilen, durchaus der Meinung sein, ein Politiker müsse es aushalten können, wenn man ihn auf Twitter Pimmel nennt. Er wurde nicht bedroht, je nach Standpunkt nicht mal massiv verunglimpft und hat eine exponierte Stellung in der Gesellschaft.

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Und Verhältnismäßig ist es sicher nicht, morgens um 6 Uhr mit sechs Mann an eine Tür zu klopfen und die Wohnung dann zu durchsuchen, für einen unterm Strich harmlosen Tweet. Der Beschuldigte habe sich "äußerst unkooperativ" verhalten, heißt es dazu von den Behörden. So habe er dieses Vorgehen notwendig gemacht.
Hausdurchsuchungen wegen Beleidigungen im Netz seien durchaus üblich, behaupten zudem sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft. Allein in diesem Jahr habe es "eine mittlere zweistellige Zahl" solcher Zugriffe in der Hansestadt gegeben. Auf Nachfrage, was denn das konkret bedeute, heißt es, man führe darüber keine Statistik und könne das so genau dann doch nicht sagen.
ZooStPauli nennt sich in seinem Twitter-Profil übrigens "antifaschistisch", ein in Polizeikreisen nicht unbedingt beliebtes Schlagwort. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.