Es soll kein Name wie jeder andere sein. Diesen Satz hört Gabriele Rodriguez häufig von werdenden Eltern. Einige wünschen sich eine außergewöhnliche Schreibweise, andere eine sehr ungebräuchliche oder ausländische Form, wieder andere haben den Wunschnamen für ihr Baby gleich selbst erfunden. "Der Trend bei Vornamen geht immer mehr zur Individualisierung", sagt die Leiterin der Vornamenberatungsstelle an der Universität Leipzig. "Es werden so viele verschiedene Namen gewählt, dass der Bestand in Deutschland inzwischen fast wöchentlich wächst."
Etwa 5000 weibliche und 4500 männliche Vornamen sind nach Erhebungen der Gesellschaft für deutsche Sprache im Jahr 2009 vergeben worden. "Das sind deutlich mehr als in früheren Jahren", sagt Lutz Kuntzsch, der die Sprachberatung der Wiesbadener Organisation leitet. Auffällig sei zudem, dass mehr als die Hälfte der Namen nur einmal gewählt wurde, darunter veraltete Formen wie Fridolin, Rupert und Gretel, aber auch ausländische Namen wie Nealjano, Haruka und Enesa.
Diese Vornamen hat die Gesellschaft für deutsche Sprache bestätigt:
Vornamen aus verschiedenen Kulturen wie zum Beispiel Komi, Mawi oder Sypelda
Vornamen aus Kunst und Literatur wie zum Beispiel
Anariel, Beorn, Elessar oder Galadriel
(allesamt von J. R. R. Tolkien)
Vornamen aus der Musikszene wie zum Beispiel
Juelz, Joni, Snoop oder Sharpay
Kombinationen oder Varianten bekannter Namen wie zum Beispiel
Annalinda, Benimilian oder Tamilina
Hauptkriterium für die Genehmigung eines Vornamens ist das Wohl des Kindes. Wenn es sich um einen seltenen Rufnamen handelt, sollte ein zweiter, eindeutiger Vorname hinzugefügt werden.
jum
Selbst die beliebtesten Babynamen Marie und Maximilian sind längst nicht so weit verbreitet, wie es ihre Spitzenplatzierungen bei der Gesellschaft für deutsche Sprache vermuten lassen: Lediglich 3,5 Prozent der 2009 geborenen und in der Statistik der Sprachberatung erfassten Jungen hören auf den Namen Maximilian. Bei Marie sind es 6,6 Prozent, aber das hängt laut Kuntzsch vor allem damit zusammen, dass der Vorname auch als Zweit- und Drittname sehr beliebt ist.
Wenn Eltern mit den Beratungsstellen in Wiesbaden und Leipzig Kontakt aufnehmen, sind ihre Namenswünsche häufig nicht nur ungebräuchlich, sondern so kreativ, dass die zuständigen Standesbeamten Bedenken haben. Beide Einrichtungen erstellen kostenpflichtige Gutachten, die belegen, ob ein Wunschname irgendwo auf der Welt als Vorname nachzuweisen ist. Gelingt dies nicht, etwa im Fall von selbst gebildeten Varianten, wird überprüft, ob die allgemeinen Kriterien des deutschen Namenrechts erfüllt sind: Ist das Geschlecht des Kindes zweifelsfrei zu erkennen? Ist der Name eindeutig ein Vorname und keine Bezeichnung für Städte oder Gegenstände?
Die Vornamen "Kirsche" und "Berlin" wurden abgelehnt
"Für Wünsche wie 'Berlin' und 'Kirsche' konnte ich zum Beispiel keine Empfehlung aussprechen", erinnert sich Gabriele Rodriguez. Zentrales Kriterium bei den Gutachten sei zudem das Kindeswohl. So würden etwa "Borussia" oder "Whiskey" durchaus Vornamensmerkmale aufweisen, die ständige Assoziation mit Fußball beziehungsweise Alkohol sei den Kindern aber nicht zuzumuten gewesen. "Manchmal sind die Bewertungen für die Eltern auch ganz schön verwirrend", sagt Rodriguez und verweist auf das Beispiel Automarken: Während "Porsche" abgelehnt wurde, sei "Mercedes" möglich, da die Form auf einen spanischen Frauennamen zurückgehe. Auch Anreden, die durch Romanfiguren geprägt wurden, werden in der Regel akzeptiert: So gibt es in Deutschland zum Beispiel gleich mehrere Jungen, die Legolas oder Aragorn heißen - beides Namen aus "Der Herr der Ringe".
Diese Vornamen hat die Gesellschaft für deutsche Sprache abgelehnt:
Junge, Berlin, Zecke, Zöller oder Tomtom, weil sie aus Sicht der Gesellschaft für deutsche Sprache keinen Vornamencharakter tragen und dem Kind eher schaden
Zwilitta, Akropoli, Napoli oder Kässig
, weil sie für das Kind nicht förderlich sind
jum
Ob ein Vorname eingetragen wird oder nicht, entscheidet letztlich immer das zuständige Standesamt. Lehnt es den Wunsch der Eltern trotz eines positiven Gutachtens ab, bleibt ihnen nur noch der Gang zum Gericht. Und auch der ist keine Seltenheit, sagt Rodriguez: "Die Eltern sind kämpferischer als früher und lassen sich nicht mehr so schnell abwimmeln." Als die Sprachwissenschaftlerin 1994 ihre Arbeit in der Vornamenberatungsstelle begann, lag die Zahl der jährlichen Anfragen bei etwa 100. Heute sind es mit 3000 nicht nur deutlich mehr, die Nachforschungen werden Rodriguez zufolge auch immer komplizierter. Die Sprachberatung in Wiesbaden kommt laut Kuntzsch auf etwa 2000 Anfragen pro Jahr, ebenfalls ein Zuwachs im Vergleich zu früheren Jahren. "Besonders deutlich haben die Auskünfte im Bereich der ausländischen Namen zugenommen", berichtet der Leiter der Sprachberatung.

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Englische Namen liegen weiter hoch im Kurs
Diese Entwicklung kann auch Rodriguez bestätigen. Nicht immer hänge das Interesse an ausländischen Namen allerdings damit zusammen, dass die Eltern selbst ausländische Wurzeln haben. "Einige folgen auch einfach einem Trend, genau wie vor 20 Jahren, als speziell englische und amerikanische Namen in Mode kamen", so Rodriguez. Waren damals Formen wie Justin, Steven, Jessica modern, heißen die Kinder heute zum Beispiel Mailie, Aiko und Yoko. Auch der Trend zu englischen Namen ist laut Rodriguez weiterhin zu erkennen, allerdings bevorzugten die Eltern inzwischen eher Formen wie Jason, Jeremy oder Jamie.
In Zukunft könnten der Sprachwissenschaftlerin zufolge vor allem die Neubildungen von Namen zunehmen. Von der Abwandlung einzelner Buchstaben bis hin zu völlig neuartigen Formen sei dabei alles denkbar. "In den USA sind selbst erfundene Namen schon relativ verbreitet. Und es deutet sich an, dass auch die deutschen Eltern immer kreativer werden", so Rodriguez.