Psychologie Deutsches Start-Up baut "Frühwarnsystem für Burnout"

Burnout: Verzweifelte, überarbeitete Frau am Schreibtisch
Ist das noch eine normale Erschöpfung oder schon Burnout? Viele Arbeitnehmer in Deutschland sind sich da nicht mehr sicher
© Westend61
Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, frühe Anzeichen von Burnouts in Unternehmen zu erkennen. Der Stuttgarter Unternehmer Marco Pucciarelli erklärt die Idee des Gründer-Trios.

Herr Pucciarelli, wie schläft man als Unternehmensgründer in diesen Tagen?  
Gut, ich fühle mich optimistischer denn je. 

Jeden Tag hören wir neue Hiobsbotschaften – die deutsche Wirtschaft gilt als Schlusslicht in Europa, VW und Bosch streichen tausende Stellen, fast alle Wirtschaftsprognosen sehen nur minimales Wachstum im kommenden Jahr. Und ausgerechnet jetzt gründen Sie ein Unternehmen?
Zeiten der Veränderung sind immer eine große Chance für agile Gründer. In Krisenzeiten wird immer gespart. Doch wer sein Unternehmen schlank und clever aufstellt, kann punkten. Ich war in der Automotive-Industrie als Entwicklungsdienstleister tätig und habe dort am Aufbau an einer der ersten Industrie-Plattformen für Künstliche Intelligenz mitgewirkt. Ich finde, dass die deutsche Industrie die Möglichkeiten der KI viel zu wenig nutzt. Nur ein kleiner Teil versucht, diese konsequent in ihre Strategie einzubauen und disruptiv zu agieren, also die alten durch neue Strukturen zu ersetzen.

Warum sind Sie aus der Automobilindustrie ausgestiegen? 
Ich sehe in der Health- und Medizinbranche deutlich bessere Chancen, Geschäftsmodelle zu entwickeln und eine neue Marke aufzubauen.

Was ist Ihr Plan?
Die Krankenstände wegen psychischer Probleme und Burnout erreichen inzwischen Höchststände in Unternehmen. In der Regel fehlt ihnen ein Frühwarnsystem. Mein Kollege Steffen Wirth, Initiator der Gründungsidee, hatte während seiner Zeit als Manager in der Automobilindustrie selbst zwei Burnouts und wollte der Sache auf den Grund gehen. Mithilfe einer App, die wir momentan entwickeln, lässt sich die Gefahr eines Burnout frühzeitiger erkennen, gegensteuern und damit Kreativität und Innovationskraft erhalten. Unser Ziel ist es, dass die Mitarbeiter wieder ihre Aufgaben meistern können. Unser Konzept begleitet zugleich Betroffene mit einem darauf spezialisierten Experten-Team und einem ganzheitlichen Ansatz.

Porträt des Gründers Marco Pucciarelli
© Privat

Zur Person

Marco Pucciarelli, 44, studierte Fahrzeugmotorentechnik an der Universität Stuttgart und Wirtschaftswissenschaften und Entrepreneurship an der Uni Hohenheim. Er war Vorstandsmitglied der HUCON AG, einem Entwicklungsdienstleister im Bereich der E-Drive- und Softwareentwicklung für die Automobilindustrie. Gemeinsam mit Kollegen gründete er das Start-up Health4innovation

Hinter einem Burnout kann sich auch eine Depression verbergen. Sollte eine solche Diagnose nicht besser Ärzten statt einer App überlassen werden? 
Momentan müssen Menschen, denen es nicht gut geht, für eine Untersuchung von Pontius zu Pilatus laufen, ein zusätzlicher Stress. Unser aktuelles Gesundheitssystem wird das frühzeitige Erkennen nicht allein bewältigen. Es sind immer mehr, auch jüngere Leute über alle Berufsgruppen hinweg betroffen. Wir haben mithilfe von Künstlicher Intelligenz den Code eines Burnout entschlüsselt und dafür das Patent in den USA und Europa erhalten.

Was meinen Sie mit "Code"?
Wir messen anhand verschiedener medizinischer Parameter den energetischen Zustand eines Menschen. Der lässt sich anhand von Speichel- und Blutproben frühzeitig feststellen. Wir fragen außerdem die subjektiven Empfindungen ab. Mithilfe eines Fragenkatalogs ermitteln wir Symptome und Stressfaktoren. Es gibt eine Wechselbeziehung zwischen den gemessenen Werten, dem subjektiven Empfinden und dem späteren Burnout. Mit Künstlicher Intelligenz lässt sie sich nachweisen. 

Burnout: An diesen Warnsignalen erkennen Sie die eigene Erschöpfung
Mehr und mehr Menschen in Deutschland fallen erschöpfungsbedingt aus. Helen Heinemann leitet das Institut für Burnout-Prävention in Hamburg. Die Expertin erklärt im Video, an welchen Frühwarnzeichen Sie die eigene Erschöpfung erkennen können.
Sie fühlen sich ausgebrannt? An diesen Warnsignalen erkennen Sie einen Burnout

Wer kurz vor dem Burnout steht, fühlt sich erschöpft, überfordert, schläft schlecht, hat keinen Appetit. Welche Vorbeugung bieten Sie an?
Wir können anhand der energetischen Situation des Betroffenen einschätzen, wie sehr er bereits von einem Burnout betroffen ist. Unser Ansatz ist, es nicht so weit kommen zu lassen. 

Wie denn? 
Wir haben mit einem Team von Ärzten, Heilpraktikern, Biochemikern und Coaches Gegenmaßnahmen entwickelt. Beispielsweise Seminare, Coaching und Nahrungsergänzung von Vital- und Nährstoffen. Mithilfe der KI wollen wir maßgeschneiderte Konzepte für jeden Einzelnen erreichen und zugleich das KI-Modell weiter trainieren. Ziel ist es, dass wir jedem Betroffenem konkret messbare Verbesserungen aufzeigen.

Haben Sie schon Kunden?
Ja, wir arbeiten mit Unternehmen aus Branchen zusammen, denen es wirtschaftlich gut geht, beispielsweise Chemie- und Pharmakonzerne sowie IT-Unternehmen. Unsere App ist für Mitte 2025 geplant, wir können Menschen und Unternehmen aber schon jetzt helfen. Die Automobilindustrie ist noch zurückhaltend, dabei hätte sie es dringend nötig. Der Druck auf hart am Limit eingesetzte Mitarbeiter steigt weiter, somit auch die Ausfalltage. Zugleich wird die Bindung an Unternehmen schwächer. 

Wie stark belastet Sie Ihr wirtschaftliches Risiko? 
Ich bin kein Turnschuh-Gründer. Nach dem Studium war ich zunächst als Geschäftsführer angestellt und wurde mit 34 Jahren einer der Inhaber der Hucon AG, einem Entwicklungsdienstleister mit 500 Mitarbeitern in der Automobilindustrie. Ich habe Mitte des Jahres 2024 meine Anteile verkauft und brachte sie als Polster für das Start-up ein.

Sie brauchen also keine Darlehen von Banken? 
Meine Kollegen Steffen Wirth, Marco Bickel und ich haben bisher alles ohne Kredite gemacht. Wir konnten unser Start-up Health4innovation durch eigenes Geld und Leistung finanzieren. Auch mein Kollege Marco Bickel hat bereits eine Marketing- und IT-Firma erfolgreich aufgebaut und verkauft. 

Wen in Ihrem Umfeld mussten Sie zuerst von Ihrer Idee überzeugen?
Keinen. Wir drei sind überzeugt von unserer Idee. Aktuell sind wir dabei, größere Investoren zu überzeugen. 

Was sind die wichtigsten Regeln für Unternehmensgründer?
Es braucht nicht nur Antrieb und Vision, sondern auch richtiges Timing. Die beste Idee ist erfolglos, wenn der Markt dafür noch nicht empfänglich ist. Sehr wichtig ist auch das Team. Ergänzt man sich? Wir haben eine klare Verteilung der Kompetenzen. Ein Team, das nur kreativ ist und von tollen Lösungen träumt, hat keinen Erfolg, wenn es an der Umsetzung fehlt. Man muss Schlüsselpositionen mit Menschen besetzen, die nicht nur managen, sondern auch für Konsequenzen gerade stehen. Es braucht ein sehr loyales Team …

… und Bereitschaft zur Selbstausbeutung? 
Wer sein Team ausquetscht wie eine Zitrone, wird in Zeiten des Fachkräftemangels keinen Erfolg haben, gerade in der Gesundheitsindustrie ist Mitarbeiterbindung wichtig. 

Wie wollen Sie gute Leute finden und halten? 
Wir haben einen offenen Umgang, sind unterstützend und hilfsbereit, jeder arbeitet eigenverantwortlich. Und wer dies will, kann Mitunternehmer werden. 

Wie groß wollen Sie werden? 
Momentan sind wir fünf, wir haben zwei Angestellte, und wir wollen in den nächsten drei Jahren auf 20 bis 50 Mitarbeiter wachsen. 

Was ist Ihr wirtschaftliches Ziel? 
Kommendes Jahr sollen 2000 Teilnehmer unsere App nutzen, binnen drei Jahren schon 40.000. Wir planen für 2028 einen Umsatz von 27 Millionen Euro. Wir wollen einen Beitrag leisten, das Wohlbefinden der Menschen zu steigern und die Unternehmen nach vorne zu bringen. Ohne gesunde Mitarbeiter gibt es keine Innovationskraft, die ist aber wichtig für einen sehr teuren Standort wie Deutschland.

Wie viele Stunden arbeiten Sie derzeit? 
Zwischen 40 und 50 pro Woche, weniger als zuvor. Ich habe drei Kinder, ich will Zeit für meine Familie haben, deshalb arbeite ich nicht mehr grenzenlos – vor allem: keine einzige Minute am Wochenende.