Dieses Stück stammt aus dem stern-Archiv und erschien zuerst im Jahr 2004. Anlässlich von 80 Jahren D-Day veröffentlichen wir es an dieser Stelle neu.
Selbst durch das Rauschen des Feldtelefons hörte Leutnant Raimund Steiner seine Soldaten im Kommandobunker beten, fluchen, röcheln. "Ein Lastensegler ist gelandet, Herr Leutnant", krächzte ein Unteroffizier. "Sie werfen Handgranaten und Phosphorbomben in die Bunkerschlitze und bringen uns alle um." Es war 0.26 Uhr am 6. Juni 1944. Steiner rief von seinem vorgeschobenen Beobachterposten General Wilhelm Richter an, den Divisionskommandeur. "Herr General, hier ist ein Flieger gelandet, sie stürmen unsere Stellungen!" "Typisch Österreicher", schrie der General zurück, "wegen einem abgestürzten Flugzeug gleich eine Invasion melden!"
Der General irrte. Was da kurz nach Mitternacht auf den Wiesen der Normandie schliddernd zum Stehen kam oder gespenstisch lautlos vom Himmel herabschwebte, war die Invasion. Der längste Tag hatte begonnen. Tausende von britischen und amerikanischen Fallschirmspringern, Hunderte von Lastenseglern aus Holz und Leinwand mit jeweils 30 Mann an Bord bildeten die erste Welle. Diese Eliteeinheiten hatten die Aufgabe, die Flanken zu sichern für das Gros der Invasionstruppen, das sich bei Morgengrauen vom Meer her auf die Strände zwischen Le Havre und Cherbourg stürzen sollte.
"Let's go!"
Die Deutschen traf das größte Landungsunternehmen aller Zeiten ziemlich überraschend. Natürlich hatten Hitler und seine Wehrmacht seit Monaten die Invasion erwartet. Aber nicht an diesem 6. Juni. Da war das Wetter ihrer Ansicht nach viel zu schlecht, um mit Landungsbooten, die bei rauer See wie Korken auf dem Wasser hüpften, erfolgreich Soldaten und ihre schwere Ausrüstung an Land zu setzen. Außerdem herrschte an diesem Morgen keine Flut, und die Deutschen konnten sich nicht vorstellen, dass jemand so verrückt sein würde, die Soldaten bei Ebbe über ein paar hundert Meter breite Sandbänke ungeschützt auf heftigstes Abwehrfeuer zurennen zu lassen.

Doch General "Ike" Eisenhower, der alliierte Oberbefehlshaber, und sein wichtigster britischer Verbündeter, Feldmarschall "Monty" Montgomery, waren so verrückt. Eine überraschende Wetterbesserung, von den deutschen Meteorologen zu spät erkannt, bewog sie zum Befehl "Let's go!"