Nach dem D-Day Tunnel-Funde unter der Stadt Caen zeugen von dramatischen Schicksalen

D-Day: Bunker von Caen unter der "Rue d'Authie"
Dieser Eiskeller fasste während des D-Days etwa 80 Menschen. Dunkelheit, Angst und Hunger waren ihre ständigen Begleiter, während oben die Stadt in Trümmer fiel
© Damien Butaeye / stern
Seit der Landung der Alliierten am D-Day tobte in Caen eine Schlacht. Wochenlang hausten tausende Menschen in Tunneln, Minen und Höhlen unter der nordfranzösischen Stadt. Unsere Autorin war dabei, als sich ehemalige Geflüchtete erstmals seit dem Sommer 1944 hinab an den Ort ihrer größten Angst wagten. 

Dieses Stück stammt aus dem stern-Archiv und erschien zuerst im Jahr 2011. Anlässlich von 80 Jahren D-Day veröffentlichen wir es an dieser Stelle erneut. 

Der Morgen des 12. Juni 1944 begann strahlend, ein Sommertag wie aus einem Kinderbuch. Gérard Mangnan, sieben Jahre alt, konnte nicht wissen, dass er die Sonne für viele Wochen nicht mehr sehen würde. Er spielte vor dem Haus seiner Eltern. Die hellen Sandsteinfassaden der Nachbarschaft badeten in Licht und Wärme, als Gérards Welt um zwei Uhr nachmittags in Stücke ging.

Bomben schlugen auf die Straße, Granatsplitter zerfetzten die Gärten an der Rue Général Moulin in der nordfranzösischen Stadt Caen. Was dann geschah, sollte Gérard für immer im Gedächtnis bleiben. Seine Eltern und die drei älteren Brüder stürzten aus dem Haus und zerrten ihn die Straße entlang zu einem Brunnenschacht. In rasender Eile knoteten die Erwachsenen ein altes Kinderbett an die Zugleine. Darauf ließen sich die Mangnans und ein Dutzend andere Familien hinab, 27 Meter tief in die Finsternis. Als Gérard an die Reihe kam, krallte er sich an dem rostigen Eisen fest und sah, wie über ihm das blaue Viereck des Himmels immer kleiner wurde. Mit jedem Ruck der Leine wurde ihm kälter.

Wehrmacht und Waffen-SS verteidigten Caen zäh

Im Sommer 1944 tobte in der Normandie die Schlacht um Europa. Mehr als 150.000 alliierte Soldaten waren Anfang Juni am Strand gelandet, weitere drei Millionen folgten nach. Schon bald standen amerikanische, kanadische und britische Truppen vor Caen, einem wichtigen Stützpunkt der deutschen Besatzer in Nordfrankreich. Doch was die Alliierten als Überrumpelungsaktion geplant hatten, wurde ein erbittertes und opferreiches Gefecht: Wehrmacht und Waffen-SS verteidigten die Stadt zäh.

Die Alliierten entschieden, die Deutschen mit Bomben aus Caen zu vertreiben. Tausende Zivilisten wurden obdachlos und irrten durch die zerstörten Straßen. Wer sein Leben retten wollte, ging in den Untergrund: Rund 20.000 Menschen, jeder dritte Einwohner, flohen in Steinbrüche, Minen, Höhlen und Brunnen. Wochenlang harrten sie in dem feuchten, düsteren Labyrinth aus, das sich unterhalb der Stadt auf drei Millionen Quadratmetern erstreckt, einer Fläche von 400 Fußballfeldern.

Erschienen in stern 23/2011

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