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Deutsche Homeschooling-Eltern "Wir werden in Deutschland verfolgt"

Was ist an deutschen Schulen so schlimm? Warum bekommen Homeschooling-Befürworter in den USA Asyl? Im stern.de-Interview erklärt der Bremer Tilmann Neubronner, warum er mit seinen Kindern nach Frankreich geflüchtet ist.

Herr Neubronner, was halten Sie von dem amerikanischen Urteil, das einer deutschen Homeschooling-Familie in den USA Asyl gewährt?
Unter Asylgründen habe ich bisher immer andere Dinge verstanden, wie zum Beispiel schlimmste Unterdrückung. Aber tatsächlich findet auch in Deutschland eine Verfolgung statt, wenn man andere Bildungsvorstellungen hat.

Inwiefern fühlen Sie sich verfolgt?
Das passiert zum Beispiel auf der materiellen Ebene mit Zwangs- und Bußgeldern. Uns hat man im Grunde wirtschaftlich ruiniert, weil wir uns weigerten, unsere Kinder in die Schule zu schicken. Noch schlimmer finde ich allerdings den Eingriff in das Sorgerecht der Eltern, der mit Verweis auf die deutsche Schulpflicht erfolgt. Dass das ein eklatanter Verstoß gegen ein Menschenrecht ist, hat offenbar auch der amerikanische Richter festgestellt.

Warum sollen Ihre Kinder nicht in die Schule gehen?
Jedes Kind ist individuell: Manche lernen gut in Gruppen und in der Schule, andere wiederum nicht. Wenn meine Kinder freies Lernen bevorzugen und es keinen Beleg gibt, dass es ihnen schadet, dann bin ich nicht bereit, sie in die Schule zu zwingen. Wir unterrichten unsere beiden Söhne nun seit vier Jahren privat, und sie entwickeln sich prima.

Dafür mussten auch Sie schließlich Deutschland verlassen.
Ich halte mich mit meinen Kindern überwiegend in Frankreich auf. Dort ist Heimunterricht voll anerkannt.

Aber Sie würden gerne wieder zurück nach Bremen gehen?
Ja, deswegen bereiten wir eine Klage auf europäischer Ebene vor. In Deutschland sind leider alle Rechtswege ausgeschöpft.

Ähnliche Klagen von deutschen Eltern sind allerdings bereits vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert. Was tun Sie, wenn Sie ebenfalls keinen Erfolg haben?
Dann würden wir uns sicherlich dafür entscheiden, dauerhaft im Ausland zu leben. Aber soweit will ich noch nicht denken.

Riskieren Sie mit dem Heimunterricht nicht eine soziale Ausgrenzung Ihrer Kinder?
Dafür gibt es keinen einzigen Beleg. Wir haben von Anfang an die Behörden gebeten, uns wissenschaftliche Dokumentationen zu geben, die zeigen, dass die Schule der einzig richtige Weg ist. Darauf ist man nie eingegangen, sondern hat immer nur stereotyp wiederholt: "Kinder brauchen die Schule. Punkt. Aus."

Eine häufige Befürchtung ist, dass sich ohne Schulpflicht Parallelgesellschaften entwickeln könnten, zum Beispiel von fundamentalistischen Christen.
Das Argument kenne ich, ist aber vollkommen aus der Luft gegriffen. Dann müssten ja die Kinder in den anderen Ländern, wo Homeschooling erlaubt ist, auch alle aus dem Wertesystem herausfallen. Das passiert offensichtlich nicht. Sonst müsste sich ja unsere Bundesregierung an sämtliche europäischen Nachbarstaaten wie zum Beispiel Österreich wenden und sagen: "Um Gottes Willen, was macht ihr da eigentlich? Eure Gesellschaften werden ja durch Homeschooler ruiniert."

Wie erklären Sie sich, dass es in Deutschland eine strengere Schulpflicht als im europäischen Ausland gibt?
Warum sie hier so heftig mit Zähnen und Klauen verteidigt wird, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht weil die Schulpflicht ihre Wurzeln in Deutschland hat, sie wurde ja als erstes in Preußen eingeführt.

Wieviele Kinder werden in Deutschland heute trotz Schulpflicht von ihren Eltern unterrichtet?
Nach Schätzungen sollen es Tausende sein, aber das kann man nicht sicher wissen. Viele Eltern betreiben Homeschooling heimlich, von den Behörden unbemerkt. Eines ist aber klar: Es werden immer mehr.

Tilmann Neubronner

Tilmann Neubronner und seine Frau Dagmar aus Bremen kämpfen seit Jahren dafür, ihre beiden Söhne Moritz und Thomas zu Hause unterrichten zu dürfen. Nach diversen juristischen Niederlagen wanderten Vater und Kinder Anfang 2008 nach Frankreich aus.

Sönke Wiese

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