Bärbel Bas hat die Rede einer SPD-Vorsitzenden gehalten und den Zorn der Arbeitgeberverbände auf sich gezogen. Da kann man nur sagen: Gut gemacht, Frau Bas! Wenn es angeblich den Untergang des Wirtschaftsstandortes Deutschland vorantreibt und die Gesellschaft spaltet, dass eine SPD-Chefin ein paar – sicherlich unbequeme – Wahrheiten ausspricht, dann ist das eher ein Zeichen dafür, dass es höchste Zeit war, von politischer Seite der organisierten Arbeitgeberschaft endlich mal wieder Paroli zu bieten. Sie scheint es nicht mehr gewohnt zu sein.
Was Bärbel Bas wirklich gesagt hat
Das größte Problem der Kritiker von Bärbel Bas ist: Sie reagieren nicht auf das, was die Arbeitsministerin gesagt hat, sondern auf das, was sie aus ihren Worten hören wollen. Über ihren Auftritt vor dem Deutschen Arbeitgebertag wenige Tage zuvor, bei dem sie unter anderem für ihre Verteidigung des Rentenpaketes ausgelacht worden war, hatte Bas auf dem Juso-Parteitag berichtet, ihr sei dort "besonders deutlich geworden, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen".
Was ist daran falsch? Darf eine SPD-Chefin nicht mehr den Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beschreiben? Hätte Bas gesagt, sie wisse nun, wen man "bekämpfen" müsse, wäre es wirklich ein Fehler gewesen. Dann hätte sie darauf abgezielt, den anderen zu schaden, sie gar auszuschalten. Das aber hat Bas nicht gemeint, und es ihr zu unterstellen, ist ein schlechter Witz.
Gut möglich, dass Bas auch auf die ganze Herablassung reagiert hat, die ihr auf dem männlich dominierten Arbeitgebertag begegnet ist. Ach, Mädchen, was willst du uns denn erzählen? Aber darf eine SPD-Vorsitzende sich nicht mehr dafür einsetzen, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und wenig verdient haben, eine Rente bekommen, von der sie leben können? Muss sich eine Sozialdemokratin dafür auslachen lassen, wenn sie korrekt erläutert, dass die steuerliche Finanzierung von Renten vielleicht zu hoch ist, aber gesamtstaatlich trotzdem solidarischer als das Umlageverfahren?
Ein Heer von Sensibelchen, das selbst gerne austeilt
Nein, darf sie offenbar nicht. Reihenweise beschweren sich nun die Wirtschaftsverbände über den Ton der Ministerin, und ihre Sprachrohre in Union und FDP fordern Bas' Rücktritt. Ein Heer von Sensibelchen macht da mobil, denen offenbar das Wort Kampf aufstößt. Du liebe Güte, da jammern genau die Richtigen.
Es geht hier nicht – und sicherlich auch Bärbel Bas nicht – um jene Mittelständler, die jeden Tag für das Überleben ihres Betriebes schuften und dafür auch oft den Ausgleich mit ihren Angestellten suchen. Es geht auch nicht um jene Familienunternehmer, die soziale Verantwortung wichtiger nehmen als die Frage, wie sie ihren Betrieb besonders steuergünstig an ihren Nachwuchs vererben können. Es kann Bas schon logischerweise auch nicht um jene Unternehmen gegangen sein, für die die Regierung unter Beteiligung der Arbeitsministerin Bas jetzt den Strompreis senkt, Investitionen steuerlich begünstigt und die von einem noch nie dagewesenen Infrastrukturpaket profitieren sollen, das die SPD durchgesetzt hat.
Es geht um jene, die jetzt bei Bas Klassenkampf-Rhetorik beklagen, aber die Politik seit Jahren und Jahrzehnten fast ausschließlich mit Missmut, Unzufriedenheit und Klageliedern begleiten. Vielen der großen Wirtschaftsverbände konnte es seit bald drei Jahrzehnten keine Regierung mehr recht machen. Selbst auf die Agenda-Politik Gerhard Schröders hatten sie oft nur eine Antwort: zu wenig, zu zögerlich, nicht genug.
Schon Olaf Scholz setzte sich zur Wehr
Die großen Arbeitgebertage sind verkommen zu Tribunalen, bei denen sich die Politik rechtfertigen muss, nur um sich immer neue Klagen über den Standort Deutschland anzuhören, Warnungen vor Abwanderung und Drohungen mit Arbeitsplatzabbau. Das Einzige, was auf diesen Veranstaltungen äußerst selten beklagt wird, sind eigene Irrtümer, strategische Fehlentscheidungen ganzer Industrien oder gar die Raffgier einzelner Unternehmensführer.
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Zu blöd für ihre Aufgabe ist in Deutschland natürlich immer nur die Politik.
Den Arbeitgebern fehlt das Schuldbewusstsein
Schon Olaf Scholz hatte sich gegen diese einseitige Anspruchshaltung einmal als Kanzler mit dem Satz gewehrt: "Das Klagen ist des Kaufmanns Lied." Da war die Aufregung mindestens genauso groß wie jetzt bei Bas. Was Scholz öffentlich aber nie erfahren hat, war Anerkennung dafür, dass seine Ampel-Regierung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in kürzester Zeit die Energieversorgung in Deutschland umstellte – eine Energieversorgung, die in Not geraten war, weil die Wirtschaft über Jahrzehnte maßgeblich darauf gedrängt hatte, sie auf russisches Gas auszurichten: Hauptsache, billig. Schuldbewusstsein? Fehlanzeige. Der Schaden aber, der dadurch entstanden ist, war definitiv bedeutend größer als der, den Bärbel Bas mit ein paar verbalen Remplern angerichtet hat.
Gerade der SPD hat die Wirtschaft einige der besonders massiven Reformen zu verdanken, ohne die Deutschland heute schlechter dastünde. Gerhard Schröders Agenda-Politik, aber auch die Rente mit 67, die ein SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering einst zu Lasten der eigenen Partei durchsetzte, als sich einige in der Union schon wieder aus dem Staub machen wollten. Keine andere Partei hat für ihre Reformbereitschaft so gebüßt wie die SPD. Trotzdem wird sie nun allenthalben wieder als das größte Hindernis für die richtige Reformpolitik hingestellt. Es war höchste Zeit, dass eine SPD-Vorsitzende mal zeigt, dass man sich den Forderungen der anderen Seite nicht widerstandslos ergibt. Das Gejammer beweist, dass es die Richtigen getroffen hat.
In einem Beschwerdebrief über Bärbel Bas haben jetzt zahlreiche Verbände erklärt, in Zeiten der Krise bräuchten "Unternehmerinnen und Unternehmer politischen Rückhalt und Vertrauen". Es ist genau das, was die Politik sich mit einigem Recht von ihnen schon lange mal wünschen würde. Schon sehr lange.