Duisburger "Riskid-Datei " Kinderschutzprojekt droht das Aus

Zum Schutz vor ihren Eltern: In der Duisburger "Risikokinder-Informationsdatei" werden die Daten von eventuell misshandelten Kindern gespeichert
Zum Schutz vor ihren Eltern: In der Duisburger "Risikokinder-Informationsdatei" werden die Daten von eventuell misshandelten Kindern gespeichert
© colourbox
Seit 2007 speisen Duisburger Kinderärzte Befunde über möglicherweise misshandelte Kinder in eine Datei ein - ein Modellprojekt, um gewalttätigen Eltern auf die Schliche zu kommen. Im stern.de-Interview sagt der Staatsrechtler Stefan Huster, weshalb er die Datei für rechtlich unzulässig hält - und wie sie zu retten ist.

Herr Huster, Sie haben als Rechtsgutachter die Duisburger Risikokinder-Informationsdatei Riskid, in die seit Juni 2007 fast alle Kinderärzte der Stadt ihre Befunde von möglicherweise misshandelten Kinder einstellen, für rechtlich unzulässig erklärt. Warum ist dieses doch eigentlich vorbildliche Projekt illegal?

Das Riskid-Projekt ist aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage illegal, weil es gegen den Grundsatz der ärztlichen Schweigepflicht verstößt. Dieser Grundsatz ergibt sich sowohl aus dem Strafrecht als auch aus dem Berufsrecht und dem Datenschutzrecht.

Auch wenn die Datenbank, in der zur Zeit 180 Jungen und Mädchen erfasst sind, nur von den angeschlossenen Kinderärzten durch geschützte Passwörter einzusehen ist?

Insbesondere das Strafrecht untersagt auch die Weitergabe von Daten, die Ärzte im Rahmen einer Behandlung von ihren Patienten erhalten haben, an andere Ärzte. Der Umstand, dass auch der Empfänger der Daten an die ärztliche Schweigepflicht gebunden ist, schließt in diesem Fall nach herrschender Rechtsansicht die Strafbarkeit nicht aus.

Zur Person

Prof. Dr. Stefan Huster, Jahrgang 1964, ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialrecht (IfS) an der Ruhr-Universität Bochum und lehrt dort Staats- und Verwaltungsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Sozialrechts. Der renommierte Wissenschaftler ist Mitherausgeber der "Bochumer Schriften zum Sozial- und Gesundheitsrecht" (Nomos Verlag) und hat zuletzt das Buch "Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat" (Suhrkamp) veröffentlicht (ebenfalls als Mitherausgeber). Für den Bund Deutscher Kriminalbeamter erstellte Huster ein Rechtsgutachten zur Duisburger Risikokinder-Informationsdatei Riskid.

Was droht den Ärzten, die sich an der Riskid-Datei beteiligen, an Strafen und Sanktionen?

Das hängt vom Einzelfall ab. Der Strafrahmen ist nicht allzu hoch. Eine strafrechtliche Verurteilung ist jedoch immer unangenehm. Zudem könnte es berufsrechtliche Konsequenzen geben, die noch schwerer ins Gewicht fallen dürften. Die Ärztekammern haben ein bestimmtes Disziplinar-Instrumentarium - wenn sich der Konflikt zuspitzt und die Ärzte dieses Projekt trotz entsprechender Hinweise auf die Rechtswidrigkeit nicht einstellen, kann ihnen am Ende sogar die Zulassung entzogen werden. Das ist aber sehr unwahrscheinlich in diesem Fall.

Sie sind als Gutachter vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) beauftragt worden. Der BDK befürwortet die Riskid-Datei, wollte Rechtssicherheit, weil er eine bundesweite Einführung dieses Projekts fordert. Was raten Sie Ihrem Auftraggeber, damit solche Riskid-Dateien nicht illegal bleiben?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Die Ärzte holen von den Eltern der Kinder, die sie behandeln, die Einwilligung ein, dass die entsprechenden Daten in ein Dateisystem wie Riskid eingestellt werden können.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Was absurd ist, weil verdächtige Eltern alles tun würden, um das zu umgehen.

Das ist tatsächlich ein Problem. Wobei es zurzeit so ist, dass wohl alle Eltern der in Riskid erfassten Duisburger Kinder diese Einwilligungserklärungen unterschrieben haben. Was auch damit zusammenhängen kann, dass sich niemand durch die Verweigerung der Unterschrift verdächtigen machen will. Das wirkliche Problem ist aber ein anderes: Wenn Eltern, die etwas zu verbergen haben, mitbekommen, dass es eine derartige Datei gibt, werden sie keine Ärzte mehr aufsuchen. Und das liegt nun gar nicht im Interesse der betroffenen Kinder.

Was wäre die zweite Möglichkeit, das Riskid-Projekt rechtlich zulässig zu machen?

Dass der Gesetzgeber eine Rechtsgrundlage schafft für den Betrieb einer solchen Datei. Strafbar ist zurzeit nur die unbefugte Weitergabe von Daten. Wenn aber eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht, dann wäre die Weitergabe nicht mehr unbefugt, sondern befugt - und straffrei.

Wer müsste hier gesetzgeberisch handeln - der Bund oder die Länder?

Wenn die Riskid-Datei bundesweit ausgebaut werden soll, müsste der Bund eine solche Rechtsgrundlage schaffen. Solange der Bund noch nichts geregelt hat, können auch einzelne Länder tätig werden, allerdings nur für ihren Bereich.

Was genau muss der Gesetzgeber ändern?

In die Duisburger Riskid-Datei wird derzeit ein erheblicher Datenbestand eingestellt. Da ist nicht nur registriert, dass ein Kind zum Beispiel am 1. 7. 2008 bei einem Arzt in Behandlung war, der die Diagnose XY gestellt hat. Eingestellt werden auch Informationen über den familiären Hintergrund, ob es Probleme gibt mit Alkohol oder Überforderung. Und den Zugriff auf diese Datei haben alle Duisburger Kinderärzte. Ich glaube, dass das mit dem Datenschutz nicht vereinbar ist. Das neue Gesetz müsste vorsehen, dass die Daten, die künftig eingestellt werden, einen sehr viel geringeren Umfang haben. Und dass darauf kein unbegrenzter Personenkreis Zugriff hat, sondern dass stufenweise Kontakt hergestellt wird nur zwischen jenen Ärzten, die tatsächlich mit dem entsprechenden Kind befasst sind oder waren. Das lässt sich technisch durchaus regeln.

Haben Sie darüber auch mit den Betreibern der Riskid-Datei gesprochen?

Natürlich. Ursprünglich sind die Betreiber, also der Obmann der Duisburger Kinderärzte, Ralf Kownatzki, und die ihn unterstützenden Kollegen von der Duisburger Polizei, auf mich zugekommen, weil es rechtliche Kritik von Seiten des Kinderärzte-Verbands und der Ärztekammer gegeben hatte. Ich habe dann letztlich für den BDK das Rechtsgutachten erstellt.

Halten die Riskid-Betreiber ihre Datei immer noch für wirkungsvoll genug, wenn nur noch eingeschränkt Daten eingestellt und weiter gegeben werden können?

Die angeschlossenen Kinderärzte haben ja nicht nur das Interesse, dass sie rechtlich abgesichert sind, sondern dass die Sache auch praktikabel bleibt. Da wird man abwägen müssen, was noch praktikabel und was nicht mehr mit datenschutzrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist. Da gibt es aber, wie gesagt, die Möglichkeit gestufter Datenverarbeitungssysteme, wo nicht mehr alles an alle geht, sondern zunächst nur begrenzte Daten an einen begrenzten Empfängerkreis.

Kann es passieren, dass die Duisburger Riskid-Datei sogar geschlossen werden muss?

Wenn die Politik nicht dazu bereit ist, den Kinderärzten eine entsprechende Rechtsgrundlage zur Verfügung zu stellen, und wenn sich das Verfahren mit den Einwilligungserklärungen der Eltern am Ende als nicht zielführend erweist: eindeutig ja.

Interview: Werner Mathes