Frau Freymann, was hatte Sie bewogen, als Freiwillige in Saarbrücken zu helfen?
Ich lebe in Saarbrücken, nur wenige Kilometer vom Stadtteil Rußhütte entfernt, der überschwemmt wurde. Meine beiden Brüder Joshua, 22, Paul, 20, und ich beschlossen schon am Freitag, dass wir helfen wollten. Wir riefen am Samstagmorgen das Bürgertelefon der Stadt an und boten Hilfe an. Am Sonntag kam der Rückruf, wir sollten die städtische Müllentsorgung, den ZKE, bei Aufräumarbeiten in der Fischbachstraße unterstützen.

Zur Person
Marie Freymann, 27, ist Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität in Saarbrücken. Sie half nach dem Hochwasser in Saarbrück spontan bei Aufräumarbeiten.
Es gab dramatische Bilder aus diesem Viertel. Das Wasser stand am Freitag bis zu eineinhalb Meter hoch, ein junger Feuerwehrmann trug ein Kind heraus, das sonst wohl ertrunken wäre. Was haben Sie vor Ort erlebt?
Wir wollten dort sein, wo Hilfe gebraucht wird, auch wenn es nur ein offenes Ohr ist. Einige Keller standen am Sonntag noch unter Wasser, viele waren aber schon leergepumpt. Wir haben anfangs der Müllabfuhr geholfen, den Sperrmüll in Container zu werfen. Dann gingen wir tiefer in das Katastrophengebiet hinein.
Wie schwierig war es, als Helferin dorthin zu gelangen?
Das war kein Problem, im Gegenteil. Nachdem die Straße am Sonntag für die Müllabfuhr aufgemacht wurde, kamen am Pfingstmontag auch viele Gaffer, vor allem Radfahrer, die bei schönem Wetter einen Pfingstausflug machten. Die fuhren sehr langsam, schauten überall rein. Einige beschwerten sich sogar über Container, die ihnen im Wege standen. Ich fand diese Leute makaber.
Jemand hat die Gaffer aufgefordert, zu helfen – die sind weitergefahren
Wie reagierten die Anwohner?
Sie haben sich aufgeregt. Jemand hat die Gaffer aufgefordert, zu helfen, die sind darauf weitergefahren.
Wer koordinierte Ihren Einsatz?
Wir haben uns selbst koordiniert. Wir bekamen nur Instruktionen für den ersten Tag. Die Leute vor Ort sagten am Sonntag: "Kommt bitte morgen wieder!" Also sind wir nochmals hingefahren.

Wie waren Sie ausgerüstet?
Mit Gummistiefeln und Handschuhen.
Bei Hochwasser: anpacken und zuhören
Was war wichtiger: anpacken oder zuhören?
Beides. Am Sonntag haben wir mehr zugehört, am Montag mehr angepackt. Am Montag waren wir sieben Stunden in der Fischbachstraße. Auf unseren Aufruf hatten sich zehn Leute aus unserer Kirchengemeinde St. Jakob gemeldet. Wir bildeten eine Kette und räumten einen Keller nach dem anderen aus.

Viele persönliche Gegenstände mit einer Geschichte?
Die waren meist nicht mehr zu erkennen. Manchmal lag da nur noch ein undefinierbarer Haufen unter Schlamm und Matsch. Wir haben ganze Hausstände herausgeschleppt. Besonders schwer waren die durchnässten Matratzen. Meine Brüder trugen schätzungsweise zehn Waschmaschinen heraus.

Wie ging es Ihnen nach sieben Stunden?
Man ist voller Adrenalin. Wie anstrengend das ist, haben erst auf der Heimfahrt bemerkt.
Wie würden Sie die Stimmung beschreiben?
Wir Helfer waren gut drauf. Man packt gemeinsam an und ist froh, dass man das nicht alleine macht. Bei den Anwohnern lagen die Nerven blank. Es gab beispielsweise mehrere Streitigkeiten auf der Straße, weil jemand die Zufahrt für den Container versperrte.
Was hat Sie am meisten berührt?
Die Begegnungen mit Menschen, die durch das Hochwasser obdachlos geworden waren. Sie erzählten, sie hätten alle ihre privaten Kontakte angeschrieben, aber nur wenige hätten sich gemeldet. Wir waren schätzungsweise 25 Freiwillige in der Fischbachstraße, ich finde, das sind nicht viele. Ein Mann hat uns erzählt, dass er eine ältere Frau aus ihrer Kellerwohnung rettete, der das Wasser bis zum Hals stand. Er schaffte es nur mit Gewalt in die Wohnung. Die Nachbarn sagten alle, wie schnell das Wasser kam. Sie hatten keine Zeit mehr, um etwas zu retten.
Es war eine Konfrontation mit Leid, das ich so nicht kenne. Das muss man erstmal verarbeiten.
Wie gefährlich war es für Sie, die Keller zu betreten?
Wir gingen nicht ungefragt runter, sondern nur nach Absprache. Der Strom war längst abgeschaltet.

Gibt einem die Hilfe etwas zurück?
Ja, total. Es war für uns alle in der Gruppe gut, wenn man dazu beitragen kann, dass es anderen in der Stadt besser geht. Allerdings: Es war eine Konfrontation mit Leid, das ich so nicht kenne. Das muss man erstmal verarbeiten.
Machen Sie weiter?
Wenn wir gerufen werden: Auf jeden Fall.