Jagoda Marinić Rock me, Obamadeus! – warum auch unsere Politiker ein bisschen mehr Charisma vertragen könnten

Obama bei einer riesigen Live Show auf der Bühne
Die Politik in unserem Land hat mehr Show denn Graubrot verdient, findet unsere Kolumnistin
© Illustration: Lennart Gäbel; Foto: Gene Glover
Die Show des ehemaligen US-Präsidenten in Berlin war etwas drüber, findet unsere Kolumnistin. Doch ein bisschen seines Charismas täte auch der deutschen Politik gut

Glaubwürdigkeit ist ein spannendes Wort in diesen Zeiten. Authentisch soll gut ankommen, glaubwürdig soll gut vermarktbar sein. Allein diese perfide Koppelung von menschlichen Werten und Marktwert zeigt, dass wir alle schon längst durch den Gully in die Kanalisation des Kapitalismus gelangt sind. Aber sei’s drum, wir müssen so tun, als glaubten wir noch an etwas, sonst klappt das nicht so gut mit dem Aufstehen.

Könige des Showbiz: Amerikaner

So besuchte kürzlich der Ex-Präsident der USA, Barack Obama, unsere Hauptstadt Berlin. Die Aufregung war groß, die Halle noch größer. Der Eintritt zur Obama-Show soll um die 100 Euro gekostet haben. Auf ein Selfie mit Eurer Heiligkeit schaffte man es angeblich für läppische 2500 Euro; ansonsten erwartete die Besucher American Showbusiness at its best. Ich liebe das Showbiz dort, das ist keine Kritik, das ist nur ein ehrlicher Kassensturz darüber, wie verkommen inzwischen alles ist. Ich liebe das Rumgesitze der US-Talkmaster vor schweren Holzschreibtischen, Stars davor auf Lederhockern, die unter neurotischem Gelächter ihr jüngstes Produkt präsentieren. Das Publikum verliebt sich in all die Banalitäten ihrer Äußerungen. Das ist wie mit Kindern, die von klein auf nur Zuckerzeug essen, die essen morgen auch keine echten Tomaten mehr. So geht es mir mit dem Showbiz in den USA. Ich fresse mich gern krank daran, weiß aber, dass es die Arterien verstopft. In Berlin durfte Klaas Heufer-Umlauf Obama moderieren, weil er der einzige deutsche Talker ist, der einen Hauch der US-Lockerheit versprüht. Locker, das ist so ein Wort, das Obama sich auf den kleinen Finger tätowieren könnte.

Jetzt verliere ich fast den Faden zum Staatsakt, der dieser Besuch auch war. Unser Barackl Obama war vor dem Hallen-Auftritt bei Olaf Scholz, und auch seine alte Freundin Angela mit stimmlosem „g“ traf er zum Essen.

Die Polarisierung und ihre Folgen

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

Zwei Schlagzeilen schafften es schließlich in den Newsticker: In der ersten las man, Obama mache sich Sorgen um die Polarisierung der Gesellschaft. Merkt er nicht, dass er selbst Nähe mit Zahlungsfähigkeit verknüpft? So sei es eben in den USA, werden manche sagen. Da möchte ich erwidern: Vielleicht ist das ein Grund, weshalb dieses Land zutiefst gespalten ist. Alles wird kommerzialisiert, selbst der Elder Statesman, der gestern noch Präsident war. Nachts kam ich ins Schwitzen, weil ich mich fragte, ob Merkel mir nach Obamas Vorbild eines Tages die Rechnung schickt für ein Selfie, das ich mit ihr gemacht hatte.

Die zweite Newsticker-Meldung: Es seien die jungen Menschen, die ihm Hoffnung machten. Nur standen die leider nicht auf der Bühne. Auf die Frage, was er den Älteren rate, soll Obama geantwortet haben: „Get out of the way.“ Dabei hat er doch zuletzt Joe Biden ziemlich entschieden ins Weiße Haus geholfen und niemanden von den Jüngeren gefunden, den er unterstützt, aber was soll’s, heute erwartet wohl niemand mehr, dass Reden und Tun noch irgendwie in Zusammenhang stehen.

Politik muss wieder begeistern

Ich habe nichts gegen Celebrity-Kult, im Gegenteil, die Politik sollte lernen, wie man Bürger begeistert. Es nervt, wie viele hierzulande meinen, wer langweilig ist, könne keinen Schaden anrichten, weil er keine Massen zu mobilisieren wisse. So viele meinen, Robert Habeck sei gemeingefährlich, weil er noch Reste von Charisma hat trotz politischer Karriere. Prompt tun viele alles dafür, dass er schnellstmöglich so graubrotbeladen wie Peter Altmaier wirkt. Die Obama-Show allerdings zeigt mir: Ich kaufe lieber Tickets, wenn ein Künstler auf der Bühne steht, der mehr Talent hat als Macht.