Selenskyj in Deutschland Ukraine-Gespräche in Berlin – und ein dicker Elefant im Raum

Kanzler Merz (r.) begrüßt den Präsidenten der Ukraine in Berlin
Kanzler Merz (r.) begrüßt den Präsidenten der Ukraine in Berlin
© Handout Bundesregierung/Guido Bergmann / Imago Images
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj und Vertreter der US-Regierung sind für Verhandlungen in der Hauptstadt. Rückt ein Frieden in der Ukraine nun wirklich näher?

Berlin sei für ein paar Tage die "Hauptstadt europäischer Diplomatie", schrieb Oleksii Makeiev, ukrainischer Botschafter in Deutschland, in den sozialen Medien. In der Tat sind am Sonntag hochrangige Vertreter der USA und der Ukraine in der deutschen Hauptstadt angekommen. Am Nachmittag kamen die ukrainische Delegation mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und die US-Delegation, darunter der Sondergesandte Steve Witkoff und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, im Kanzleramt zusammen, verlautete aus Regierungskreisen.

Am Montag wird Selenskyj von Bundeskanzler Friedrich Merz zu deutsch-ukrainischen Wirtschaftsgesprächen und einem "Austausch über den Stand der Friedensverhandlungen" empfangen, mehrere europäische Staats- und Regierungschefs sollen dazukommen, unter anderem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer. 

Es ist der nächste vorläufige Höhepunkt im internationalen Ringen um eine Friedenslösung in der Ukraine – und die erste Ukraine-Zusammenkunft in Berlin, seit die USA einen Forderungskatalog in 28 Punkten vorgelegt und damit den Druck auf die Ukraine massiv erhöht hatten. Rückt nach zahlreichen Treffen ohne greifbares Ergebnis nun ein Frieden in der Ukraine tatsächlich näher?

Ukraines Präsident zeigt sich kompromissbereit

Der ukrainische Präsident Selenskyj jedenfalls mühte sich in den vergangenen Tagen und Wochen, in welchen es immer wieder Änderungen an dem ursprünglichen 28-Punkte-Papier gab, sich kompromissbereit zu zeigen. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind des Krieges müde, Selenskyj steht nach einem Korruptionsskandal in seinem Führungszirkel auch innenpolitisch unter Druck. So stellte Selenskyj nach einem verbalen Angriff des US-Präsidenten in Aussicht, dass es zu raschen Wahlen in der Ukraine kommen könne. Kurz vor den Gesprächen in Berlin gab Selenskyj dann die ukrainischen Ambitionen auf einen Nato-Beitritt auf – wenn es auf anderem Wege zu starken Sicherheitsgarantien kommt, um sein Land vor einem erneuten Angriff Russlands zu schützen.

Einige Beobachter gehen davon aus, dass Donald Trump wohl kaum Witkoff und Kushner nach Berlin geschickt hätte, wenn die USA nicht Möglichkeiten für entscheidende Schritte sehen würden. Bislang ist unklar, was genau im Moment auf dem Tisch liegt. Es zeichnet sich aber ab, dass es insbesondere in der Frage möglicher Gebietsabtretungen weiter große Uneinigkeit gibt. Moskau verlangt, dass Kiew seine Truppen selbst aus umkämpften Gebieten im Donbass abzieht, die Russland bisher nicht erobern konnte. Für die Ukrainer ist das inakzeptabel: Selenskyj betonte vor seiner Ankunft, er wolle die US-Unterhändler davon überzeugen, den Frontverlauf in der Ukraine einzufrieren.

Eines sticht bei dem Gesprächsaufbau in Berlin ins Auge: von der russischen Seite ist niemand zugegen. Zwar lobte die russische Seite im Vorfeld, dass die US-Seite die russische Position verstehe – und es ist davon auszugehen, dass die Amerikaner auch in diesen Gesprächen auf ihrer durchaus Moskau-freundlichen Position verharren. Doch dass der Kreml schon im Vorfeld der Berliner Gespräche verlauten lässt, man erwarte "kaum etwas Gutes", weist auf den dicken Elefanten im Raum: dass derzeit nichts darauf deutet, Russland könne ein ernsthaftes Interesse an einem Friedensschluss haben. 

CDU-Politiker Kiesewetter: "weiterer Zeitgewinn für Russland"

So sind die Erwartungen an Ergebnisse auch eher verhalten. "Ich erwarte nicht, dass es konkrete Ergebnisse bei den Gesprächen gibt", sagte Roderich Kiesewetter, CDU-Außenpolitikexperte dem stern, "denn bei zentralen Punkten gibt es keine Einigkeit." Russland halte an seinen Zielen fest und wolle eine schrittweise Zerstörung der ukrainischen Souveränität und eine Spaltung der Nato und Europas erreichen. Die US-Seite habe vorrangig die eigenen wirtschaftlichen Interessen im Blick. Realistisch betrachtet komme "nichts bei den Gesprächen heraus außer einem weiteren Zeitgewinn für den Aggressorstaat Russland".

Schlimmstenfalls erhöhten die USA bei dem Treffen weiter den Druck und erreichten eine weitere Verschiebung der Frage um die eingefrorenen russischen Vermögen oder versuchten, die Kapitulation der Ukraine zu erpressen, so Kiesewetter. Im besten Fall käme es zu einer verstärkten europäischen Unterstützung der Ukraine. Für den CDU-Politiker zählt dazu unter anderem die "Bereitstellung weitreichender Wirkmittel wie Taurus, die Übernahme der Flugabwehr über Teilen der Ukraine und die Zusage für glaubwürdige Sicherheitsleistungen wie europäische Truppen im Falle eines aktuell komplett unrealistischen Waffenstillstands".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Grüne Brugger fordert mehr Druck auf Russland

Ähnlich sieht das die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger. Die EU und die Ukraine versuchten verzweifelt, Donald Trump vor Augen zu führen, was eigentlich alle sehen würden, sagte die Außenpolitikerin dem stern. "Putin will den Krieg und alle Verhandlungen scheitern jedes Mal an ihm." 

Immer das Gleiche zu tun, habe über das letzte Jahr die Linien zum Schaden der Ukraine und Europas verschoben. Brugger fordert deshalb einen europäischen Strategiewechsel: "Europa muss endlich entschieden handeln, selbstbewusster und souveräner für die eigenen Interessen und Werte einstehen." Dazu sei eine stärkere Unterstützung der Ukraine und mehr Druck auf Russland nötig. "Der nächste Schritt dazu ist offensichtlich: die dauerhaft eingefrorenen russischen Vermögen müssen endlich zur Unterstützung der Ukraine eingesetzt werden", so Brugger. Dies sei eine Frage der europäischen Selbstbehauptung. 

Bis zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag will Kanzler Merz erreichen, dass der Weg frei ist, um 200 Milliarden Euro eingefrorenes russisches Staatsvermögen für den ukrainischen Abwehrkampf zu nutzen. Noch ist offen, ob das klappt. Bislang hatte die belgische Regierung, wo ein Großteil der Gelder verwaltet wird, dies blockiert. Nicht nur für das Schicksal der Ukraine dürfte diese Frage von großer Bedeutung sein. In Koalitionskreisen heißt es dramatisch, scheitere der Darlehens-Plan, scheitere auch Europa. Man sende das Signal in die Welt, nicht handlungsfähig zu sein. Für den Kanzler und die Europäer sind es wichtige, fast historische Stunden.

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