Christian Bläul ist ein 41 Jahre alt, Familienvater und nimmt als Klimaaktivist in Kauf, dass Menschen durch seine Festklebeaktionen gefährdet werden. Das sagt er in einer Dokumentation des Filmemachers Benedict Bartsch für den Sender Sachsen Fernsehen. "Eine Sache, auf die ich zumindest im Hinterkopf mental darauf vorbereitet bin, ist, dass in unserem Stau jemand stirbt", sagt Bläul. Zumindest müsse man das riskieren, erklärt das Mitglied der Organisation Letzte Generation.
Die Gruppierung distanziert sich auf Anfrage des stern zu den Äußerungen ihres Mitglieds. Bläuls Statement erwecke den Eindruck, dass die Letzte Generation mit ihrem Protest den Schaden anderer Personen billigend in Kauf nähme. "Das ist nicht der Fall", teilt Letzte Generation-Sprecher Max Wallstein schriftlich mit. "Durch unseren Protest wollen wir erreichen, dass Leben geschützt wird – es ist unser höchstes Ziel."
Im vergangenen Herbst war die Gruppierung unter anderem nach einem Vorfall in Berlin in die Kritik geraten. Eine Fahrradfahrerin verunglückte tödlich, der Rettungswagen wurde blockiert, weil sich Aktivisten auf der Zufahrtsstraße festgeklebt hatten. Auch wenn die Vorfälle unabhängig voneinander stattfanden und die Klimaaktivisten laut der Notärztin nicht Schuld am Tod der Radfahrerin gewesen sein sollen, wurde die Bewegung öffentlich kritisiert, weil der Vorfall zeigt, welches Potenzial solche Klimaaktionen entfalten können. Ein Potenzial, das Aktivisten wie Bläul in Kauf nehmen. Kritiker der Letzten Generation könnten derartige Äußerungen als Beleg für die umstrittene Radikalisierung der Protestler werten.
Letzte Generation verweist auf Sicherheitskonzept – mit Rettungsgasse
Glaubwürdig könne die Gruppe nur dann auftreten, "wenn wir bei den Protesten selbst darauf achten, dass alle Beteiligten und Unbeteiligten geschützt werden", heißt es deshalb von der Letzten Generation. Seit der ersten Straßenblockade gebe es ein Sicherheitskonzept, in dem steht, dass "wir jederzeit eine Rettungsgasse bilden können". Dies sei immer wieder passiert, schreibt Wallstein dem stern. Im Fall Berlins hat es allerdings versagt, wie der Vorfall vom vergangenen Herbst zeigt.
Die Schuld sieht die Bewegung aber bei falsch geparkten Autos, überfüllten Innenstädten und einer schlechten Verkehrsplanung. Die Straßenblockaden würden das Risiko für Staus nicht erhöhen. Deshalb will die Organisation nach eigenen Angaben "weiterhin friedlich und gewaltfrei protestieren, bis die Bundesregierung anfängt, unsere Lebensgrundlagen zu schützen", heißt es in der schriftlichen Antwort.
Die Letzte Generation war nach einem Klima-Hungerstreik in Berlin entstanden und fordert seitdem mehr Maßnahmen für den Klimaschutz. Seit Anfang 2022 blockiert sie immer wieder Autobahnausfahrten und andere Straßen in vielen Städten, einen Schwerpunkt bildet Berlin.
Erstmals Klimaaktivisten zu Haftstrafe verurteilt
Zuletzt wurde die Organisation für eine Farbattacke auf das Grundgesetz-Kunstwerk im Berliner Regierungsviertel kritisiert. Aktivisten hatten eine schwarze Flüssigkeit an die gläsernen Wände der Kunstinstallation "Grundgesetz 49" des israelischen Künstlers Dani Karavan geworfen. Mit Pinseln verschmierten sie sie an den Scheiben, auf denen die 19 per Laser eingravierten Grundrechtsartikel des Grundgesetzes stehen. Darüber klebten sie Plakate etwa mit der Aufschrift "Erdöl oder Grundrechte?". Sie hätten damit zeigen wollen, wie die Politik mit dem Grundgesetz umgehe, rechtfertigten die Aktivisten die Aktion. Sie werfen der Bundesregierung vor, sich nicht an die Verpflichtung aus dem Grundgesetz zu halten, Lebensgrundlagen und Freiheit der Menschen zu schützen.
Gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation laufen wegen Protestaktionen der letzten Monate mehrere Verfahren. Erstmals wurden zwei von ihnen wegen einer Straßenblockade zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Die Männer hatten sich am 6. Februar auf einer Straße in Heilbronn festgeklebt und wurden wegen Nötigung angeklagt. Zudem verhängte das Gericht Geldstrafen für drei weitere Aktivisten.

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Über den Sinn von Klebeaktionen wird seit Monaten heftig debattiert. Aktivisten, unter ihnen auch Forscher, sehen darin die einzige Möglichkeit, die Politik an die Klimaziele und das Klimaschutzgesetz zu erinnern. Andere, etwa der Word Wildlife Fund (WWF), kritisieren den Protest als kontraproduktiv für das Anliegen des Klimaschutzes.