Spott aus der Bütt "Stinknormale Faschisten": Bei der Mainzer Fasnacht bekommt vor allem eine Partei ihr Fett weg

  • von Gisela Kirschstein
"Narrenmund tut Wahrheit kund": Am Freitagabend zeigt das ZDF die Kultsendung "Mainz bleibt Mainz".  
"Narrenmund tut Wahrheit kund": Am Freitagabend zeigt das ZDF die Kultsendung "Mainz bleibt Mainz".  
© Lando Hass / Imago Images
Die Mainzer Fasnacht war nie einfach nur plumpe Party und ausschweifendes Saufen. Auch diesmal verteidigen die Narren aus der Bütt die Meinungsfreiheit – und retten nebenbei die Demokratie.

"Was lacht und weint, der Narr vereint", lautet eine der alten Narrenweisheiten in Mainz, und in diesem Jahr finden die Narren in Mainz viel zum "Weinen" – allen voran eines: Mit beißender Kritik und deutlichen Worten geißeln die politischen Redner ausnahmslos das Treiben der AfD und neues faschistisches Denken. So viel Klartext aus Narrenmund war selten: Wenn am Freitagabend die Republik vor dem Fernseher die Kultsendung "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" verfolgt, dürften so manche Politikerohren klingeln.

"Narrenmund tut Wahrheit kund", heißt es in Mainz – die Mainzer Fastnacht, sie war nie einfach nur plumpe Party und ausschweifendes Saufen. Die freie Rede des Narren, das Wort aus der Bütt, hier hat es den höchsten Stellenwert: die "politisch-literarische Fastnacht" gilt als die hohe Schule der Büttenrede. Hier nehmen von alters her die Narren die hohe Politik aufs Korn, und das mit dem "von alters her" ist wörtlich gemeint: Die Anfänge der Mainzer Fastnacht liegen im Jahr 1837 und waren eine Parodie aufs Militär und die steifen Preußen – die Kritik an den Herrschenden ist ein wesentlicher Bestandteil des Narrentreibens in Mainz.

Klartext aus der Bütt

Nicht umsonst hält der "Till", die Symbolfigur des Mainzer Carneval Clubs MCC, einen Narrenspiegel in der Hand und steigt wie weiland Till Eulenspiegel in eine Eulen-Bütt. 25 Jahre lang sezierte Friedel Hofmann mit fein gedrechselten Reimen von der Reichstagskuppel des Bundestags die hohe Politik in Berlin, in diesem Jahr schlüpft ein Neuer in das Till-Kostüm: Florian Sitte, bundesweit bekannt als Merkel-Imitator, schwingt jetzt den Narrenspiegel – und was er darin findet, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Florian Sitte als “Till” vom MCC
Florian Sitte als “Till” vom MCC
© Gisela Kirschstein

"Heute heißt es Re-Migration – damals hieß es Deportation", spricht Sitte: "Aber gestern war gestern, und 'Nie wieder' ist jetzt!" Denn auch wenn sich AfD-Granden schon auf dem Weg zur Volkspartei wähnten: "Seid Euch gewiss: Die überwältigende Mehrheit der Menschen in diesem Land ist sehr wohl in der Lage zu unterscheiden zwischen einer Volkspartei und einer völkischen Partei, wie Ihr es seid", spricht der Narr von der Bühne, und warnt: "Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme gegen die Demokratie und für die Zerstörung Europas."

Mainzer Narren teilen aus – gegen die AfD

Der Klartext aus der Bütt ist beileibe kein Einzelfall: Kein politischer Redner in Mainz, der in diesem Jahr nicht braune Umtriebe geißelt. Da findet der "Mann im Mond" (Thomas Becker) braune Bären am Nachthimmel, und "beruhigt" das um den Schlaf gebrachte "Peterchen" (Peter Gottron): "AfD-Politiker, die sind doch nicht alle rechts – da sind auch ganz stinknormale Faschisten dabei." 

Ja, die Analyse der Narren auf das politische Geschehen im Land, sie fällt schonungslos aus. "Vielleicht ist am Ende künstliche Intelligenz weniger gefährlich als natürlich Dummheit", seufzt der "Mann im Mond" – was solle man mit einem Erdenvolk anfangen, in dem "stumpfsinnigster Internetrassismus glaubwürdiger ist als fundierter Journalismus?" Viele Ostdeutsche "hatten sich damals gewünscht, auch eine Bananenrepublik zu sein", konstatiert die "Moguntia" trocken: Jetzt sind wir seit über 30 Jahren in Wohlstand vereint, und man sieht ja: Wenn man mehr Bananen hat, als man essen kann, bilden sich immer mehr braune Flecken."

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Johannes Bersch als "Moguntia"
Johannes Bersch als "Moguntia"
© Gisela Kirschstein

Johannes Bersch hat mit seiner Figur der "Moguntia", wie Mainz vor 2000 Jahren bei den Römern hieß, eine neue Kultfigur geschaffen, die im Stil des seligen "Boten vom Bundestag" der Politik die Leviten liest – und das so scharfzüngig wie selten. Die Mainzer Narren, sie teilen aus, und das in alle Richtungen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kriegt reichlich sein Fett ab. Etwa wegen seines Unfalls mit der Augenklappe. Die Mainzer machen daraus einen blinden, tauben und schweigenden Piratenkapitän, der das Republikschiff geradewegs aufs Riff steuert. 

Fachkräftemangel in der Politik

Denn eines schreiben sie aus der Bütt den Berlinern auch dick ins Stammbuch: "Wir brauchen dringend eine neue Regierung", seufzt das "Peterchen", oder wie sagt es der "Deutsche Michel" Bernhard Knab dieser Tage in den Mainzer Sälen: "Dank Eurer Ampelpolitik, schwebt jetzt die AfD im Glück! Entfernt die ungelernten Flaschen, macht für den Bürger Politik – dann kehren Tausende zurück." 

Ob Grün, ob Gelb, ob Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Partei – die Narren schütteln nur die Köpfe ob so viel Unverstand und Fachkräftemangel in der Politik. Karl Lauterbach muss sich allerlei Witze über seine geplante Cannabis-Legalisierung anhören, und auch Kriege und Krisen werden nicht vergessen: "Mein größter Wunsch ist, wie ich meine, ich wünsche Frieden der Ukraine", reimt der Protokoller; "Und dass Despoten, die regieren auf ewig ihre Macht verlieren." 

Erhard Grom, gehört zu den Altmeistern seiner Zunft, wie kaum ein anderer versteht es der Redner vom Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) seit Jahren, die schwere Rolle des politischen Chronisten zu Beginn der Sitzung mit Schwung und Witz zu absolvieren. Grom legt in diesem Jahr sein letztes Protokoll vor, und zieht dabei noch einmal alle Register: rasant, gereimt und stellenweise Rap-artig geißelt er politischen Größenwahn und alltägliche Verfehlungen – und nimmt sich mit klaren Worten die AfD vor.

Die Narren sprechen dem Volk aus der Seele

"Die AfD ist problematisch, sie war niemals demokratisch, haut radikal Rechts auf den Putz – ein Fall für den Verfassungsschutz", konstatiert Grom: "In Potsdam trafen die sich alle und ließen ihre Masken fallen, und skrupellos, man glaubt es nicht, von Deportation die Runde spricht. Schon einmal haben wir erlebt, was daraus folgt: Millionen wurden deportiert und von Verbrechern ausradiert." Und doch wecke eben dieser Hass "bundesweit Toleranz und Menschlichkeit", lobt der Protokoller mit Blick auf die Hunderttausende von Demonstranten dieser Tage auf den Straßen: "Jetzt ist Schluss mit diesem Spuk, was genug ist, ist genug."

Donnernder Applaus im Saal unterstützt die Narrenrede auf der Bühne: Die Mainzer, sie sprechen "dem Volk" in den Sälen aus dem Herzen. "Ich steh' hier als echter Till, ich sage nur das, was ICH will", erinnert der "Till" daran, welche Freiheit der Rede in Deutschland herrscht, und schreibt allen Hetzern und Demokratie-Verächtern ins Stammbuch: "Wenn einer gegen alles grätzt, und unsere Grundwerte nicht schätzt, dann mach bitte für Menschen Platz, die unsre Werte leben wollen und an der Freiheit teilhaben sollen."

Narrenkappe: Symbol der freien Rede

Ja, die Narren, sie verteidigen schon seit mehr als 180 Jahren die Demokratie, nicht umsonst sind "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" das Fundament auch der Fastnacht in Mainz: Die Franzosen, sie brachten mit ihren Revolutionsarmeen auch die neuen Werte der Republik an den Rhein. Bis heute tragen die Garden der Mainzer Fastnacht Kokarden nach Franzosenart an ihren Mützen, und es ist kein Zufall, dass über den Rednern bei "Mainz bleibt Mainz" die Narrenkappe schwebt – sie ist das Symbol der freien Rede. Bis heute heißt es im "Närrischen Grundgesetz", das in Mainz jedes Jahr zur Fastnachtszeit feierlich verkündet wird: "Jeder Narr ist frei, alle Narren sind gleich und jeder Mainzer Bürger ist zur Erhaltung der Narrenfreiheit aufgerufen." 

"Die Mainzer Republik, das ist jedem bekannt, war die erste Demokratie auf deutschem Land", spricht stolz der "Obermessdiener" Andreas Schmitt, eine der Kultfiguren der Mainzer Fastnacht, und donnert hinab ins Volk: "Seid stolz darauf, so lautet der Satz: Für Nazifratzen ist hier kein Platz! Steht für Freiheit und Demokratie, heut und immerdar – standfest wie der Dom, Helau-lujah!"

Andreas Schmitt als "Obermessdiener"
Andreas Schmitt als "Obermessdiener"
© Gisela Kirschstein

In der alten Zuckmayerschen "Völkermühle am Rhein" ist eben kein Platz für völkisches Gedankengut und Rassismus-Träume: "Frieden, Freiheit, Völkerfreundschaft und multikulturelles Zusammenleben", spricht Andreas Schmitt am Ende noch, der auch als Sitzungspräsident durch die Sendung führt: "Das ist der Zauber der goldenen Stadt am Rhein, und das lassen wir uns von niemandem mehr nehmen."

"Darf man in solch finsteren Zeiten denn überhaupt noch Feiern, Lachen, Fastnacht feiern?" fragt betrübt das "Peterchen" den "Mann im Mond". Naja, sagt der, "du wirst die Welt nicht ändern, aber Du wirst Deine Welt für ein paar Minuten ändern." Die Fastnacht, sie war gerade in Kriegszeiten schon immer auch die große Trösterin, nicht umsonst wurde das alte Mainzer Kinderlied vom "Heile Gänsje" in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zur Nationalhymne der Mainzer wie der halben Republik. Und die Fastnacht, sie ist auch die große Einigerin, die Zusammenhalt spendet und Kraft für harte Zeiten. "Gemeinsam Fastnacht feiern – das macht Mut", sagte der Mann im Mond, "getreu dem alten Motto: Lachen spenden, Trübsal wenden." Die Demokratie retten gehört ganz selbstverständlich auch dazu.