Scott West hat nur eine Hoffnung: "Ich bete, dass es ein Verrückter war, ein Kranker." Scott sitzt in Charleston, South Carolina, auf einer flachen Mauer, gleich bei der Emanuel African Methodist Episcopal Church. Nur Stunden zuvor hat ein 21-Jähriger in der Kirche neun Menschen erschossen. Sie alle waren schwarz. Der mutmaßliche Täter ist weiß. Scott auch. "Aber ich habe so viele schwarze Freunde und wir kümmern uns eigentlich gar nicht um die Hautfarbe", sagt er fast verzweifelt. "Charleston ist nicht so."
Der Täter war am Abend in die Kirche gekommen, die fast ausschließlich von Schwarzen besucht wird. Eine Stunde soll er zugehört haben, dann zog er eine Waffe und tötete. Neunmal. Auch der Pastor, zugleich Senator im Staatsparlament, ist unter den Opfern. Die Flucht endete am nächsten Tag in North Carolina, etwa 400 Kilometer vom Tatort entfernt.
Seltsam ruhige Stimmung
Am Tag danach ist die Stimmung seltsam ruhig in Charleston. Aufgebrachte Demonstranten, wütende Proteste, Spannungen zwischen den Menschen? Nichts davon ist zu spüren. Im Gegenteil. "Das war etwas einmaliges", sagt Lavorn Cohen und schüttelt traurig den Kopf. "Das ist nicht Charleston. Wir sind nicht ohne Spannungen, natürlich nicht. Aber das ist nicht Charleston."
Cohen ist schwarz, genau wie Ruben Brown. "Ich habe viel gesehen", sagt der alte Mann. "Aber so etwas noch nicht und ich bete, dass ich das auch nicht wieder sehen werde." Er glaubt nicht an Unruhen und das hat einen einfachen Grund: "Es war kein Polizist."
Neunfachmord ein Einzelfall
Vor zwei Monaten hatte in North Charleston, der Nachbarstadt, ein weißer Polizist einem schwarzen Verdächtigen in den Rücken geschossen. Vermutlich wäre der Fall schnell zu den Akten gelegt worden, hätte nicht ein Passant den Tod des Mannes gefilmt.

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"Wir haben ein Polizeiproblem", sagt Brown mit fester Stimme. "Diese Jungs kommen von der Akademie und glauben, sie müssten die Welt retten und hätten dafür völlig freie Hand. Es wird Zeit, dass wir ihnen sagen, dass auch sie sich verantworten müssen."
Aber der Neunfachmord: "So entsetzlich das alles ist, halte ich das doch für einen Einzelfall. Wir haben, schwarzer Präsident hin oder her, einen Fehler im System. Aber diese Schießerei heute war kein Teil davon."
"Wir haben überall Waffen"
Jack Logan sieht noch ein Problem: "Waffen! Wir haben überall Waffen." Logan hat eine Kampagne gegen Waffen in städtischen Gebieten gestartet, einige halten ihn deshalb für einen Verfassungsfeind. "Wozu brauche ich in einer amerikanischen Stadt eine Waffe? Das ist doch Irrsinn. Nur deshalb führen wir Krieg: Schwarz gegen weiß, weiß gegen schwarz und auch schwarz gegen schwarz. Schmeißt die Waffen raus."
Am Tag danach gibt es keine wütenden Proteste vor dem Tatort. "Die Trauer überdeckt alles", sagt Scott West. "Und offenbar haben wir Charlestonians begriffen, dass wir gerade jetzt zusammenhalten müssen." Er schweigt einen Moment und sagt dann: "Verdammt, wir waren so stolz, dass wir anders sind, dass bei uns alle zusammenleben können. Aber dass es jetzt ruhig ist, zeigt ja vielleicht, dass wir doch nicht alles falsch gemacht haben."