Am 2. März 2022 drangen russische Streitkräfte in Butscha, einen Vorort der ukrainischen Hauptstadt, ein. Ende des Monats war Butscha dann nicht mehr nur ein Vorort, sondern das Zeugnis russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die Bilder, die nach der Befreiung durch die ukrainische Armee um die Welt gingen, schockieren bis heute. Zwischen verwüsteten Gebäuden, Straßen und militärischen Gefährten lagen die Toten. Überlebende Zeugen berichteten von Massenerschießungen und Folter. 461 Menschen sollen nach ukrainischen Angaben getötet worden sien.
Präsident Wolodymyr Selenskyj war wenige Tage nach der Befreiung selbst nach Butscha gekommen. Die Bilder von damals zeigen einen Staatschef, der sich nur schwer beherrschen kann, um nicht in Tränen auszubrechen. Zum Jahrestag der Befreiung bezeichnete Selenskyj das Massaker als Ereignis, das "man sich im 21. Jahrhundert nicht vorstellen konnte". Gleichzeitig verbreitete der Präsident auf seinem Telegram-Kanal Optimismus: "(...) die Befreiung des Gebietes Kiew wurde zu einem Symbol dessen, dass die Ukraine in diesem Krieg gewinnen kann", so der Staatschef.
"Werde ich bis zum Ende meines Lebens nicht vergessen"
Die Erinnerungen bleiben trotzdem. Etwa an die Angehörigen, die von russischen Soldaten auf offener Straße erschossen wurden, wie Hinterbliebene dem Sender "Deutsche Welle" berichten. "Meine Mutter telefonierte gerade, als sie die Russen sah und Schüsse hörte. Aus Angst rannte sie los und schaffte es noch ins Haus, aber eine Kugel traf sie durch die Tür und durchbohrte ihre Leber. Meine Mutter ist verblutet", erzählt Tetjana. Sie selbst war zu dem Zeitpunkt in Kiew. Von dem Tod ihrer Mutter erfuhr sie aus der Nachbarschaft.
Valentin Didkowskij wird sich wohl ewig daran erinnern, wie die Russen einen Mann auf offener Straße vom Fahrrad schossen. Oder an die Leichen, die sich draußen türmten, während sich die Bewohner in ihren Häusern verstecken mussten. "Wissen Sie, das werde ich bis zum Ende meines Lebens nicht vergessen", sagt er dem "ZDF".
Ermittlungen nach Massaker von Butscha gehen weiter
Die ukrainische Staatsanwaltschaft zählt fast 11.000 Kriegsverbrechen, die die russische Armee allein in der Region um die Hauptstadt Kiew begangen haben soll. 700 davon wurden in Butscha registriert. Ermittler des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) hatten Butscha zusammen mit Polizisten nach der Befreiung untersucht. Auch Freiwillige beteiligten sich.
Die Ermittlungen dauern noch an. Ein Grund: Die Täter sind kaum zu identifizieren, berichten die Staatsanwälte. "Das Hauptziel in dieser Phase der Ermittlungen ist, Zeugenaussagen und eine vollständige Beweisgrundlage zusammenzutragen. Oft gelingt es durch die Vernehmung russischer Kriegsgefangener, die Identität des einen oder anderen Kriegsverbrechers festzustellen", sagte Oleh Tkalenko, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft in der Region Kiew, dem Sender "Deutsche Welle".
Trotzdem sollen noch in diesem Jahr viele Verdächtige vor Gericht gestellt und Urteile erwirkt werden. Danach sollen die Betroffenen auf eine internationale Fahndungsliste gesetzt werden, sodass die Straftäter im Ausland festgenommen und an die Ukraine ausgeliefert werden können.
Auch Deutschland beschäftigt sich mit der Aufarbeitung des Massakers. Der Bundestag hat sich parteiübergreifend dafür stark gemacht, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. "Es geht heute und künftig vor allem um eins: Gerechtigkeit für die Opfer und Überlebenden", sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde. Die größte Schwächung des internationalen Völkerstrafrechts sei es, wenn Kriegsverbrechen ungesühnt blieben.
Quellen: "Deutsche Welle", "ZDF", "Tagesspiegel", mit Material von DPA und AFP