Bleierne Asche, schwarzer Rauch, erstarrte Leichen – die Bilder aus Mariupol sind in ihrer Grausamkeit kaum zu beschreiben. An die 80 Prozent der Stadt am Schwarzen Meer liegen in Trümmern. In Lazaretten kämpfen Ärzte um das Leben von verstümmelten Kindern. Die Toten werden in Massengräbern beerdigt. Der Stadtgarten hat sich in ein namenloses Gräberfeld verwandelt. 350.000 Einwohner sind in diesem Alptraum gefangen. In ihren Kellern suchen sie Schutz vor dem anhaltenden Beschuss durch die Truppen von Wladimir Putin – während der Kessel um die Stadt immer enger gezogen wird.
Worte und Bilder, die man fest in der Vergangenheit glaubte. Jetzt gehören sie in die Gegenwart. Der Mann, der die Ukraine in ein Schlachtfeld verwandelt, wäscht aber seine Hände in Unschuld. Wladimir Putin leugnet mit einer manischen Sturheit die Existenz der Invasion, die er befohlen hat. "Die russischen Streitkräfte bombardieren keine Städte." Zu dieser dreisten Lüge verstieg sich die Sprecherin des Außenministeriums Swetlana Sacharowa am Donnerstag – nur wenige Stunden nachdem russische Bomben auf das Theater in Mariupol fielen, wo Hunderte Zivilisten Schutz gesucht hatten.
Während die Welt um das Schicksal der verschütteten Menschen bangte, arbeiteten die Kreml-Propagandisten daran, die Welt auf den Kopf zustellen. Es seien die Ukrainer selbst gewesen, die das Theater vermint und in die Luft gejagt hätten, schalt es in Russland von den Fernsehbildschirmen. Es seien russische Soldaten, die Kinder aus den Kellern retten, die sich dort Tage lang vor den "ukrainischen Faschisten" verstecken mussten, hieß es am Freitag in den Nachrichten des Perwyj Kanal, des größten Staatsenders Russlands.
Eine Lüge löst die andere ab. Als in Mariupol eine Geburtsklinik in Schutt und Asche gelegt wurde, erklärte der russische Außenminister Lawrow am Morgen, russische Truppen hätten das Krankenhaus angepfiffen, weil sich dort imaginäre Faschisten versteckt gehalten hätten. Am Abend desselben Tages, behauptete der russische Verteidigungsminister, es habe gar keinen Angriff auf die Klinik gegeben. Eine eindrückliche Demonstration dessen, wie viel die Worte aus dem Kreml wert sind.

Mariupol zeigt, wie eine Friedensmission Putin aussieht
Im Russischen gibt es ein Wort für die Welt, die Putin erschafft: Zazerkalje (Зазеркалье). Es ist eine fiktive Welt, ein Märchenland auf der anderen Seite des Spiegels. Ein Ort, an dem jeder Sachverhalt ad absurdum geführt wird und genau das Gegenteil der Realität herrscht.
"Eine militärische Spezialoperation zum Schutz des Donbass." So heißt der Angriffskrieg auf die Ukraine in der Sprache des Kremls. Wie eine Friedensoperation zum Schutz der Bevölkerung aus der Feder Putins aussieht, hat die Welt nun gesehen. Jene Kinder und Frauen, zu dessen Beschützer sich Putin vor drei Wochen aufgeschwungen hat, liegen nun in den Massengräbern von Mariupol.
Die Vergleiche zwischen Hitler und Putin sind inzwischen salonfähig geworden. Als Putler wird der Mann im Kreml gerne bezeichnet. In einer Sache dürfte Putin den schrecklichsten Diktator der Geschichte aber sogar übertroffen haben: Heuchelei. Auf die Idee zu behaupten, es seien die Russen selbst gewesen, die einst alles zwischen Moskau und Wolgograd in Schutt und Asche gelegt haben, ist Hitler nicht gekommen.