Kleiner Aufstand Offene Front gegen Putin: Abgeordnete fordern den sofortigen Stopp der "Sonderoperation"

Russland, Moskau: Wladimir Putin befehligt als Oberbefehlshaber den Krieg in der Ukraine
Wladimir Putin befehligt als Oberbefehlshaber den Krieg in der Ukraine. In den Eliten Russlands soll sich zunehmend Unzufriedenheit mit ihm breit machen – aus verschiedenen Gründen. 
© Sefa Karacan / Picture Alliance
In Russland soll Wladimir Putin zunehmend an Rückhalt in den Eliten verlieren. Noch trauen sich aber die Wenigsten, offen Kritik zu äußern. Vier Abgeordnete der Kommunistischen Partei gingen jetzt aber in die Offensive. 

Mehr als drei Monate dauert bereits Wladimir Putins Krieg in der Ukraine an. Und es ist kein Ende in Sicht – die anfangs für den Feldzug angesetzten zwei Wochen drohen in einem unendlichen Blutvergießen zu münden. Innerhalb der russischen Eliten soll die Unzufriedenheit mit dem Oberbefehlshaber im Kreml zunehmend wachsen. Das unabhängige Nachrichtenmedium "Meduza" berichtete in der vergangenen Woche unter Berufung auf Quellen aus russischen Führungskreisen, dass nicht wenige Wirtschaftsvertreter und eine Reihe von Regierungsmitgliedern darüber "unglücklich sind, dass der Präsident den Krieg begonnen hat, ohne über das Ausmaß der Sanktionen nachzudenken".

Es gebe auch diejenigen, die mit dem Tempo der "Spezialoperation" nicht zufrieden seien. Diese Fraktion bestünde auf einem "entschlossenerem Vorgehen" im Krieg, bis hin zu umfassenden Mobilisierung und Krieg "bis zum Sieg".

Doch es gibt auch diejenigen, die es wagen, offen Front gegen den Kreml-Kurs zu beziehen. In der Region Primorski forderten nun vier Abgeordnete der Partei KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) das Ende der "militärischen Sonderoperation", wie der Krieg laut den Vorschriften aus dem Kreml weiterhin genannt werden muss. 

"Wir verlangen den sofortigen Abzug der Truppen der Russischen Föderation!"

Bei einer Sitzung des Regionalparlaments verlas Leonid Wasjukewitsch den Appell der Abgeordneten an Putin. "Sehr geehrter Präsident der Russischen Föderation", begann er. Schon nach diesen wenigen Worten versucht der Vorsitzende der Gesetzgebenden Versammlung der Region, ihn panisch zu unterbrechen. Doch der 68-jährige Kommunist ließ sich nicht stoppen. Er stand auf und verlas weiter den Appell. 

"Vor einigen Tagen haben wir auf einer weiteren Sitzung eine Reihe von Maßnahmen zu Unterstützung von Familien der Gefallenen im Zuge der militärischen Sonderoperation beschlossen. Wir verstehen, dass es in unserem Land viel mehr Waisen geben wird, wenn unser Land die Militäroperation nicht stoppt. Im Zuge der Sonderoperation sterben junge Männer oder werden zu Invaliden. Dabei hätten sie für unser Land einen enormen Nutzen bringen können."

"Wir erörtern hier die Tagesordnung", rief der Vorsitzende wieder laut dazwischen. Doch Wasjukewitsch fuhr unbeirrt fort: "Es ist unmöglich, Erfolge durch Krieg zu erreichen. Die Fortsetzung der militärischen Sonderoperation wird unweigerlich zu mehr Toten und Verletzten unter den Soldaten führen. Wir verlangen den sofortigen Abzug der Truppen der Russischen Föderation!"

Gouverneur lässt Wasjukewitsch rauswerfen 

"Ich warne Sie", schrie nach diesen Sätzen der Vorsitzende. "Sie verletzen die Tagesordnung und die Vorschriften! Sie reden ohne die Erlaubnis des Vorsitzenden!" In der Stimme des Vorsitzenden liegt Panik. 

Wasjukewitsch schafft es trotzdem, den Appell zu Ende zu lesen. Sein Mitstreiter Gennadij Schulga applaudierte. "Bringt diesen Schulga aus dem Saal", forderte daraufhin der Gouverneur der Region Primorski Oleg Kozhemjako. Auch Wasjukewitsch musste die Sitzung verlassen. "Für diese Aktionen, die die russische Armee und unsere Verteidiger, die gegen den Nazismus kämpfen, diskreditieren."

Die Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung entzogen daraufhin Wasjukewitsch und Schulga das Stimmrecht für die aktuelle Sitzung. Der Vorsitzende der Fraktion der Kommunistischen Partei, Anatoly Dolgatschew, nannte den Appell seiner Parteikollegen "Demarche". Sie würden mit "solchen Äußerungen die Ehre der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation diffamieren". Er versprach, ihr Vorgehen zu prüfen und "die härtesten Maßnahmen“ zu ergreifen.

Protest trotz Angst in Russland 

Die Radikalität der Distanzierung der Partei von den vier Abgeordneten lässt das Ausmaß der Angst erahnen, mit der Putin Russland und seine Regierung im Griff hält. Dennoch gibt es immer wieder Stimmen, die das laute Schweigen durchbrechen. In der vergangenen Woche war es ein Abgeordneter der Regionalduma von Kostrama. Wladimir Michajlow stellte in einer Sitzung des Parlaments den Antrag, eine Appellation an Putin zu richten, in der die Unzulässigkeit eines atomaren Erstschlags seitens Russlands deutlich gemacht werden sollte. Mehr zu dem Auftritt, der die ganze regionale Duma vorführte, erfahren Sie hier.