Es ist schon lange her, seit sich Wladimir Putin den Massen zeigte. Seit zwei Jahren lebt der Kreml-Chef in selbstauferlegter Isolation und zeigt sich nur bei ausgewählten Anlässen in der Öffentlichkeit. Am Freitag war es aber soweit. Im vollen Moskauer Luschniki-Stadion betrat Putin die Bühne und hielt das, was in seiner Vorstellung eine triumphale Rede werden sollte.
Doch die Veranstaltung, die das Jubiläum der Krim-Annexion feiern sollte, artete schnell zu einer Blamage aus. Mitten im Satz wurde Putin und die Übertragung im Staatsfernsehen ohne Angabe von Gründen plötzlich unterbrochen. Stattdessen liefen aufgezeichnete Bilder von der "Konzert-Kundgebung", wie das Ganze im Vorfeld angepriesen worden war. Schließlich schaltete man ohne jeden Kommentar ins Studio eines propagandistischen Polit-Talks und zeigte statt Putin abgefeuerte Raketen, die "zum Schutz der Zivilbevölkerung" auf die Ukraine niedergehen – so stellt es sich dar, wenn man dem Narrativ des Kremls folgt.
Plötzlich war Wladimir Putin nicht mehr da
In der folgenden Stunde versuchten die Macher des Ersten Kanals, des größten Staatssenders Russlands, den Auftritt ihres heldenhaften Präsidenten zu zeigen. Ohne Erfolg. Währenddessen strömten die Massen eilends aus dem Stadion. Von Putin keine Spur.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow führte technische Probleme als Grund für die Unterbrechung an. Es habe eine Panne auf einem Server gegeben. Schnell wurden Spekulationen über eine mögliche Sabotage laut. Aber egal ob Panne oder Sabotage – für die Propaganda artete die Veranstaltung zu einem Fiasko aus.
Dabei überließen die Organisatoren des "Putings" nichts dem Zufall. Das Wort ist eine Zusammenlegung aus Putin und Meeting und ist längst zu einem etablierten Begriff für Kundgebungen geworden, die auf Wunsch Putins einbestellt werden. Wie auch schon in der Vergangenheit wurde schnell offensichtlich, dass die 200.000 Zuschauer sprichwörtlich zum Stadion gekarrt wurden. Ganze Belegschaften von Fabriken und Werken, Angestellte des öffentlichen Dienstes, Studenten der Moskauer Fakultäten – sie alle erschienen in Luschniki in geschlossenen, geführten Gruppen, wie zahlreiche Videos und Zeugenaussagen belegen.
Die Masse an Zuschauern im Moskauer Luschniki-Stadion war sorgfältig organisiert worden
"Wir wurden in einen Bus gesetzt und hierhergebracht", sagt eine Frau lapidar, als ihre Gruppe nach dem Grund ihrer Teilnahme an der Propaganda-Show gefragt wird.
500 Rubel, Würstchen und Brei
Diese Praxis ist bereits aus den vergangenen Jahren bekannt. Studenten wird mit Exmatrikulation gedroht, Beamten und Arbeitern mit Kündigung, um sie an der Teilnahme an den "Putings" zu bewegen. Andere werden hingegen bezahlt. Im Netz tauchten am Freitag schnell Ausschreibungen auf, wo den Teilnehmern 500 Rubel, zwei kostenlose Würstchen und Brei versprochen wird. Über ihre Belohnung zeigten sich einige schnell enttäuscht. Es stellte sich raus, dass Graupenbrei verteilt wurde – einer der billigsten Sorten, die es in Russland derzeit gibt. Auf dieser Aufnahme ist beispielsweise zu hören, wie eine Frau mit Unglauben darauf reagiert, dass es tatsächlich Graupenbrei gibt.
Wladimir Putin und seine Jacke
Während das Volk also mit Graupenbrei gefüttert wird, trug Putin bei seinem Auftritt eine Daunenjacke des italienischen Luxus-Labels Loro Piana für 1,445 Millionen Rubel – nach aktuellem Rubelkurs sind es umgerechnet rund 12.150 Euro. Zu der pseudo-patriotischen Ideologie, die der Kreml seinen Untertanen predigt, will diese Aufmachung so gar nicht passen.
Viele in Russland reagieren schockiert auf die Bilder aus dem Stadion. Ein Nutzer schreibt auf Twitter: "Ich will nicht in diesem Land leben, es ist einfach beschissen. Nichts war unmoralischer als diese Zehntausende in Luschniki." Er wolle nicht verstehen und mitansehen, wie diese Leute, "ihr Gewissen für eine kostenlose Decke und einen Hot-Dog verkaufen."
Anderen zwingt sich angesichts der Bilder der Vergleich zu Nazi-Deutschland und Adolf Hitler auf. "Jetzt gerade in Luschniki", heißt es schlicht zu diesem Bild.