Nach Protest gegen Krieg Ballett-Star kehrt Russland den Rücken – ein demonstrativer Schritt mit Wirkung einer "Bombe"

Olga Smirnowa während der letzten Generalprobe der Ballettadaption von Bulgakows Roman "Meister und Margarita"
Olga Smirnowa während der letzten Generalprobe der Ballettadaption von Bulgakows Roman "Meister und Margarita"
© Vladimir Gerdo / Picture Alliance
Einmal am Bolschoi-Theater zu tanzen: Für die meisten Ballett-Tänzer ist das ein großer Traum. Olga Smirnowa gibt ihren Platz jedoch auf. Die Primaballerina hat Russland verlassen – weil sie nicht schweigen kann. 

Olga Smirnowa gehört zu den großen Stars der Ballett-Welt. Seit 2016 tanzt sie im Rang einer Primaballerina am Bolschoi Theater – dem großen Stolz der russischen Kultur. Doch nun kehrt die 31-Jährige Russland den Rücken. Der Grund ist der Krieg in der Ukraine. Ihre Karriere setzt sie am Nationalballett der Niederlande in Amsterdam fort, verkündete das Theater am vergangenen Mittwoch

"Olga Smirnowa ist eine herausragende Tänzerin, die ich seit vielen Jahren verfolge und bewundere", zitiert die offizielle Mitteilung des Dutch National Ballet den Direktor des Niederländischen Nationalballetts Ted Brandsen. "Ich verfolge ihren Werdegang seit vielen Jahren mit großem Interesse. Es ist ein Privileg für uns, dass sie in unserer Kompanie in den Niederlanden tanzt – auch wenn die Umstände, die diesen Wechsel vorangetrieben haben, unglaublich traurig sind."

Bereits am 1. März hatte die Ballerina auf ihren Social-Media-Kanälen scharf die russische Invasion in der Ukraine kritisiert. "Ich kann nur sagen, dass ich mit jeder Faser meiner Seele gegen den Krieg bin", schrieb sie auf Telegram. "Und es geht nicht einmal darum, dass wahrscheinlich jeder zweite Russe in der Ukraine Verwandte oder Freunde hat, und auch nicht darum, dass mein Großvater Ukrainer ist (...) , sondern um die Tatsache, dass wir weiterhin im 20. Jahrhundert leben, obwohl wir nominell das 21. Jahrhundert haben." Politische Probleme sollten in einer modernen zivilisierten Gesellschaft ausschließlich durch friedliche Verhandlungen gelöst werden.

"Wir können gegenüber einer globalen Katastrophe nicht gleichgültig bleiben" 

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mich für Russland schämen würde. Ich war immer stolz auf das talentierte russische Volk, unsere kulturellen und sportlichen Errungenschaften. Aber jetzt gibt es ein Davor und ein Danach. Und es schmerzt, dass Menschen sterben, während andere kein Dach über dem Kopf mehr haben oder ihre Häuser verlassen müssen. Wer hätte vor einer Woche gedacht, dass uns allen das passieren würde. Denn selbst wenn wir nicht im Epizentrum des Kriegs sind, können wir gegenüber einer globalen Katastrophe nicht gleichgültig bleiben." 

Anfang dieser Woche ist die russische Primaballerina in Amsterdam angekommen. Schon in zwei Wochen wird sie in Amsterdam ihre Premiere feiern. Smirnowas erste Rolle beim Niederländischen Nationalballett wird die Titelrolle im Ballett "Raymonda" sein, in dem sie in mehreren Aufführungen zu sehen sein wird. 

Olga Smirnowa nicht die einzige  

Smirnowa ist nicht die erste Ballett-Tänzerin, die Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs verlässt. Doch bislang waren es vor allem Tänzer aus dem Ausland wie etwa der Brite Xander Parish oder der Brasilianer Victor Caixeta, der zusammen mit Smirnowa nach Amsterdam geht. Doch die Prima des Bolschoi Theaters ist eine der größten Figuren der russischen Kultur, die solch einen demonstrativen Schritt gegangen ist. "Die Fans von Smirnowa in Russland, einschließlich der Sponsoren-Kreise, werden von der Entscheidung beeindruckt sein", schrieb die Ballett-Kritikerin Leila Guchmazowa auf ihrem Telegram-Kanal. Sie fügte hinzu, dass es "sehr wichtig" sei, zu erkennen, dass die Stimmung im Bolschoi gegenüber der "Sonderoperation in der Ukraine", wie der Kreml den Krieg nennt, weit entfernt von der Position der Regierung seien. Wladimir Urin, der Generaldirektor des Bolschoi, habe kurz nach Beginn der Invasion eine Petition gegen die Operation unterzeichnet, sagte sie.

"Der Meister und Margarita" im Bolschoi Theater: Olga Smirnowa tanzte die Titelrolle der Margarita. 
"Der Meister und Margarita" ist der bekannteste Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Er schildert in einer satirischen Weise das Leben in Moskau in den 1930er Jahren. Viele Kritiker zählen den Roman zu den wichtigsten russischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts und halten ihn für eine der besten Satiren der Zeit, gerichtet gegen die starre, von Willkür geprägte Bürokratie sowie die Überwachungspraktiken des Stalinismus. Der gefeierte Choreograph Edward Clug hat im vergangenen Dezember den Literaturklassiker auf die Bühne des Bolschoi Theaters gebracht. Olga Smirnowa tanzte die Titelrolle der Margarita. 
© Vladimir Gerdo / Picture Alliance

Alexei Ratmansky, der ehemalige künstlerische Leiter des Bolschoi Balletts, bereitete gerade ein neues Ballett für die Kompanie in Moskau vor, als die Invasion begann. Er verließ Russland umgehend. Das Projekt ist offiziell auf Eis gelegt, aber Ratmansky sagte der "New York Times", er bezweifle, dass er nach Russland zurückkehren werde, solange Putin Präsident ist. 

Die Nachricht über die Entscheidung Smirnowas sei in der russischen Ballettwelt wie eine Bombe eingeschlagen, sagt Guchmazowa. Seit dem Ende der Sowjetunion, hätten einige Tänzer das Bolschoi verlassen, um neue Fähigkeiten oder bessere Positionen zu finden, aber Smirnowa, die alles hatte, sei gegangen, weil sie "es vorzieht, ihre Meinung zu äußern". 

Helfen Sie den Menschen in der Ukraine
Stiftung stern: Hier spenden

Nicht alle in Russland denken wie Smirnowa 

Es gibt jedoch auch andere Stimmen in der russischen Ballett-Szene. Der Tänzer Iwan Wassiljew etwa schließt sich der Kreml-Linie an. "Ich wurde im sowjetischen Wladiwostok geboren, habe seit meinem vierten Lebensjahr in der Ukraine gelebt und die Schule in Minsk beendet. Für mich ist all das eine große geeinigte slawische Welt", schreib er auf Instagram als Antwort auf zahlreiche Kritiker seiner Haltung. Dass die Ukraine nicht zu dieser "slawischen Welt" gehören will, interessiert ihn offenbar genauso wenig wie Wladimir Putin.