Nach mehreren Wochen der Belagerung und des Beschusses zog sich die russische Armee aus der Region um Kiew zurück – ohne es eingenommen zu haben. Doch die Freude der Ukrainer war nur von kurzer Dauer: Beim Einmarsch in die befreiten Vororte ihrer Hauptstadt fanden die ukrainische Truppen die Spuren von Kriegsverbrechen, denen die zivile Bevölkerung zum Opfer fiel.
Die verübten Morde, Erschießungen und Exekutionen haben die Welt schockiert. Auch Russland – zumindest jene Schichten der Bevölkerung, die unabhängige Informationen erhalten. In sozialen Netzwerken versuchen prominente Blogger sie weiter zu geben. Unter ihnen sind sowohl solche, die das Land bereits verlassen haben, als auch solche, die immer noch unter dem Putin-Regime leben müssen. Aus ihren Kommentaren spricht Scham, Entsetzten und Hilflosigkeit.
Anastasia Fazulina
"Leichen, Leichen, Leichen, Leichen, Leichen... Wie soll man nach dem weiterleben, was in Butscha, Mariupol und anderen Städten passiert ist, wohin meine Landsleute als 'Befreier' gekommen sind.
Das ist der blanke Horror. Leichen, überall Leichen. Frauen, Kinder, Männer. Leichen, unzählige Leichen. Jeder von diesen Menschen hatte ein Leben, Pläne, Erinnerungen. Ihr seid gekommen und habt das alles zerstört. Es ist unmöglich, dies zu vergessen." Zum Post.
Konstantin Sonin
"Diese Aufnahmen sieht jetzt die ganze Welt. Hingerichtete Zivilisten in der Stadt Butscha bei Kiew, mit gefesselten Händen. Sie wurden von russischen Soldaten getötet, die die Stadt mehrere Kriegswochen besetzt hielten. (...)
Das Wort Putin wird nun in jedem Geschichtsbuch und in jeder Biografie von hingerichteten Zivilisten begleitet werden. In jedem Buch zur Geschichte Russlands wird es eine schwarze, schwarze Seite sein. Und die Situation wird noch schlimmer werden – dieses Rudel wird noch viele weitere Verbrechen begehen, bevor dem ein Ende gesetzt wird. Aber Sie müssen nicht daran teilnehmen", appelliert Konstantin Sonin an den russischen Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin, den Leiter der Rechnungskommission der Duma Alexei Kudrin und die Direktorin der Zentralbank von Russland Ksenia Yudajewa. Zum Post.
Ilja Klischin
"Ich verstehe, dass Leute, die einer Propaganda-Gehirnwäsche unterzogen wurden, sagen werden, dass dies die eigenen Leute waren, dass das alles Photoshop ist, dass dies alles Schauspieler sind. So etwas wurde mir zum Beispiel über die Bilder von gefolterten Belarussen in Okrestina erzählt (ein Gefängnis in Minsk, das für unmenschlichen Umgang mit den Inhaftierten berüchtigt ist, Anm. d. Red.). Ich fürchte, unter anderen Umständen hätten diese Leute dasselbe über Bilder aus Auschwitz gesagt. Nichtsdestotrotz müssen wir diesen Menschen die monströsen Fotos aus Butscha und anderen Städten der Region um Kiew zeigen". Zum Post.

Dmitri Kolezew
"Was wird die russische Propaganda sagen? Wird sie die Fotos für gefälscht erklären, und werden die Produzenten von Fakes aus dem Kreis von RT behaupten, dass die Bilder Schauspieler zeigen, die gebeten wurden, sich kurz mit gefesselten Händen hinzulegen? Aber die Fotos der Leichen in Massengräbern lassen sich nicht fälschen. Fotos von Leichen in Brunnen lassen sich nicht fälschen. Wird die Propaganda sagen, dass es die Ukrainer selbst waren und diejenigen erschossen haben, die mit den Besatzern zusammengearbeitet haben? Werden sie die Gräueltaten den Nationalisten in die Schuhe schieben?
Viele Russen werden es glauben. Wie die vergangenen Kriegswochen gezeigt haben, blenden die Unterstützer der 'Sonderoperation' oft Informationen einfach aus, die nicht in ihr Weltbild von einer heldenhaften russischen Armee passen, die die Ukrainer vom Faschismus befreit. Sie sind bereit, an jede lächerliche und voreilige Erklärung der russischen Propaganda zu glauben. Und dennoch werden diese schockierenden Aufnahmen jemanden erreichen. Deswegen ist es wichtig, dass die Leute sie sehen.
(...) Die Aufnahmen aus Butscha werden die Einstellung zum Krieg, zu Russland und zu Putin noch einmal verändern. (...) Es ist klar, dass nicht alle Soldaten Zivilisten erschossen haben, aber alle Kriegsteilnehmer tragen jetzt das Mal des Verbrechens. Schlimmer noch, das Stigma von Butscha tragen jetzt alle Bürger Russlands. Deshalb wünsche ich mir einen fairen und ehrlichen Prozess gegen diejenigen, die kriminelle Befehle erteilt und ausgeführt haben. Wenn ein solcher Prozess jemals von Russland selbst durchgeführt werden könnte, könnte er uns als Nation retten. Denn bis bestimmte Verbrecher, vom kleinsten bis zum größten, gefunden und verurteilt sind, wird uns alle die Kollektivschuld zerfressen." Zum Post.
Das Grauen von Butscha: die brutale Realität des Krieges

Marat Guelman
"Das ist nicht mehr Putin. Gräueltaten sind persönliche Verbrechen eines jeden Militärs. Mit jedem Kriegstag verlieren die Menschen zunehmend ihr menschliches Antlitz.
Dies muss enden. Verstehen Sie, dass diese Menschen mit dem Geschmack des Blutes einer wehrlosen Person nach Russland zurückkehren werden, mit dem Wissen, dass sie alles dürfen und ihnen alles gehören muss. Sie werden in die Schulen kommen, um Ihren Kindern von ihren Heldentaten zu erzählen", warnt Marat Guelman die eigenen Landsleute. Zum Post.
Abbas Galljamow
"Was wir in Butscha gesehen haben, könnte ein spontaner Gewaltausbruch russischer Soldaten und junger Offiziere sein, die ihre schändliche Niederlage rächen. Es könnte aber auch ein zentralisierter Befehl der Führer der 'Kriegspartei' gewesen sein, die versuchen, die laufenden Verhandlungen zu verkomplizieren und wenn möglich zu sabotieren.
Ich würde gerne an die zweite Version glauben – um nicht denken zu müssen, dass russische Bürger zu Gräueltaten dieses Ausmaßes fähig sind. Aber der Verstand sagt mir, dass es besser wäre, wenn die erste Version zutreffen würde. Denn die Anwesenheit einer solch radikalen 'Kriegspartei' in der innenpolitischen Führung kann den Verhandlungsprozess für lange Zeit blockieren." Zum Post.