"Neonazis haben die Macht in der Ukraine ergriffen."
"Noch einmal appelliere ich an die Soldaten der Streitkräfte der Ukraine. Lassen Sie nicht zu, dass Neonazis und Banderowzy Ihre Kinder, Ihre Frauen und alten Menschen als menschliche Schutzschilde benutzen. Nehmen Sie die Macht in Ihre eigenen Hände. Es sieht so aus, als würden wir uns leichter mit Ihnen arrangieren als mit dieser Bande von Drogenabhängigen und Neonazis, die sich in Kiew niedergelassen und das gesamte ukrainische Volk als Geisel genommen haben."
"Wir haben nicht vor, die ganze Ukraine zu besetzen, aber sie zu demilitarisieren. Das Ziel der russischen Spezialoperationen ist es, die Menschen zu schützen, die acht Jahre lang vom Kiewer Regime misshandelt und ermordet wurden. Zu diesem Zweck werden wir versuchen, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren und diejenigen vor Gericht zu bringen, die zahlreiche blutige Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, einschließlich russischer Bürger, begangen haben."
"Der Propaganda von Nationalismus, Xenophobie, religiösen Feindseligkeiten und Gewalt muss rigoros Einhalt geboten werden."
Wladimir Putin redet von Entnazifizierung, doch ihm dienen Rechtsextreme
All diese Worte stammen von einem einzigen Mann: Wladimir Putin. Wie ein Mantra benutzt er den Begriff der "Entnazifizierung" in den vergangenen Wochen. An Putins Hof und in seinem Kopf herrscht das Jahr 1943. Nazis, Faschisten, Nationalisten und wieder Nazis. Sein Volk soll ihn – und mit ihm ganz Russland – auf einem Feldzug gegen die Erben des Gedankenguts von Adolf Hitler wähnen.
Putin demonstriert seine Macht und lässt die "Silowiki" gegen Demonstranten aufmarschieren

Auf der Suche nach einem allen Russen verhassten Feindbild hat Putin es gefunden. Doch zu seinen persönlichen Feinden zählen Nationalisten und Rechtsextreme nicht. Im Gegenteil. Sie sind für ihn in der Ukraine im Einsatz. Das Oberhaupt der selbstproklamierten Volksrepublik Donezk, Denis Puschilin, verlieh erst vor wenigen Tagen Orden an Soldaten, die unverhohlen auf den Ärmeln ihrer Uniform den SS-Totenkopf und den sogenannten Wotansknoten angenäht hatten. In den vergangenen Jahren haben neonazistische Gruppen das Symbol für sich entdeckt. Es ersetzt dann das nationalsozialistische Hakenkreuz, dem es bei entsprechender Ausgestaltung recht ähnlich sehen kann.
Doch Putin muss nicht erst zu den ihm hörigen Truppen in die Ukraine reisen, um Nationalisten zu treffen. Er könnte sich auch an den Leiter der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos wenden. Dmitri Rogosin macht aus seinen nationalistischen und imperialistischen Postionen kein Geheimnis.
Dmitri Rogosin wechselt von einer rechtsextremen Partei in den Kreml
Im Jahr 2007 fiel Rogosin bei einem Protest der russischen Nationalisten in Moskau auf. Damals wurde eine der Straßen der Hauptstadt nach Achmat Kadyrow benannt, dem Vater des heutigen tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow. Und die Nationalisten gingen auf die Straße, um gegen die "Tschetschenisierung" Russlands zu protestieren. Rogosin war einer ihrer Wortführer. "Ich möchte nicht in der Kadyrow-Straße wohnen. (...) Wir wollen nicht in der Kadyrow-Straße wohnen. Warum werden wir gezwungen, in der Kadyrow-Straße zu wohnen?", echauffierte er sich damals. "Moskau ist unsere Stadt. Es ist eine russische Stadt. Und wir müssen daran jeden Tag und in jeder Sekunde denken."
Seine Teilnahme war keineswegs zufällig. 1997 kam er als Abgeordneter von Woronesch in die Duma. Bekanntheit erlangte er als Vorsitzender und später Fraktionsvorsitzender der nationalistischen Partei Rodina (Heimat). Im Wahlkampf zur Moskauer Stadtduma 2005 warb er in einem Wahlspot mit dem Slogan "Lasst uns Moskau vom Müll säubern". Gemeint waren Zuwanderer aus dem Kaukasus.
Wegen der wachsenden Beliebtheit führender Rodina-Politiker veranlasste der Kreml 2006 die Auflösung der Partei. Rogosin legte sowohl Partei- als auch Fraktionsvorsitz nieder und organisierte gemeinsam mit der Bewegung gegen illegale Immigration (DPNI) den jährlich stattfindenden Russischen Marsch.
2007 gründete Rogosin mit Andrej Saweljow von der DPNI die Bewegung Welikaja Rossija (Großes Russland), eine Vereinigung russischer Nationalisten, aus der die nicht zugelassene rechtsextreme Partei gleichen Namens hervorging. Rogosin ist seitdem in der Bewegung aktiv. Selbst beim Staatssender Perwyj Kanal (Erster Kanal) handhabte man ihn fast als den neuen Hitler. So bezeichnet hat ihn kein geringerer als der aktuelle stellvertretende Vorsitzende der Putin-Partei Einiges Russland in Moskau, Pjotr Tolstoi.
Man könnte denken, dass Putin für einen offenkundigen Rechtsnationalisten keinen Platz in seinem Kreis hat. Aber nein. Erst ernannte Putin ihn zum Vertreter der Russischen Föderation bei der Nato, dann zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten und schließlich zum Leiter der russischen Raumfahrtorganisation.
Ultranationalisten spielen Opposition
Rogosin ist nicht der Einzige unter der unmittelbaren Befehlsgewalt Putins. In der Duma sitzt eine unverhohlen rechtsextreme, populistische, ultranationalistische Partei: die Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR). Die Partei, die für den Kreml seit 30 Jahren die Opposition mimt, ist trotz des Namens weder liberal noch demokratisch. In der politischen Praxis tritt die Partei vorwiegend mit extremistischen Parolen und Forderungen nach gewollter Bevorzugung von ethnischen Russen gegenüber nationalen Minderheiten in der Russischen Föderation auf.
Ihr berühmt berüchtigter Vorsitzender Wladimir Schirinowski galt als Rechtsradikaler von Putins Gnaden. Am 6. April verstarb Schirinowski, der für den Kreml-Chef während seiner gesamten Zeit an der Macht den Blitzableiter spielte. "Der zündelt schön", sagte Putin einst über den russischen Rechtspopulisten Nummer eins.
Rechtsradikaler von Putins Gnaden
Mal schlug der Politiker vor, die Bevölkerung der russischen Republik Dagestan dürfe nur noch zwei Kinder bekommen – oder, so drohte er, würde er den Nordkaukasus mit Stacheldraht einzäunen. Ein anderes Mal wollte er eine Atombombe vor Istanbul abwerfen. Er leugnete die Existenz Osama bin Ladens und al-Kaidas und behauptete, die Terroranschläge am 11. September 2001 seien von der US-amerikanischen Regierung, vielleicht mithilfe des Mossad, inszeniert worden.
Bei einer Pressekonferenz rief Schirinowski seine Leibwächter dazu auf, die schwangere Journalistin Stella Dubowizkaja zu vergewaltigen. Sie stellte eine Frage zum Krieg in der Ukraine, als Schirinowski in Form eines Wutanfalls plötzlich rief: "Wenn ich rufe 'Christus ist auferstanden', fangt ihr an, sie zu vergewaltigen."
Schirinowski bekam für solche Eskapaden beim Staatsfernsehen viel Sendezeit und durfte das aussprechen, was für den Kreml zu heiß war. Für Putin spielte der Ultranationalist mehr als 20 Jahre den Hofnarren – bis zu seinem Tod. Seine rechtsradikalen Parolen waren im Kreml willkommen.