Als "so schwierig wie nur möglich" hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt die Situation in der umkämpften Hafenstadt Mariupol bezeichnet. Er warf dem russischen Militär vor, alle humanitären Korridore zur Rettung ukrainischer Bürger zu blockieren.
"Seit dem Beginn des Krieges hat die ukrainische Regierung mehr als 340 humanitäre Korridore vorgeschlagen. Die (russischen) Besatzer haben rund 300 akzeptiert und de facto haben 176 wirklich funktioniert", erklärte das zuständige ukrainische Ministerium. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar seien insgesamt 300.000 Ukrainer über Fluchtkorridore in Sicherheit gebracht worden.
Bürger, die sich in den Händen russischer Einheiten befänden, versuche man zu deportieren oder für die russischen Einheiten zu mobilisieren, sagte Selenskyj. Auf den Vorschlag, Gefangene auszutauschen, habe Moskau bisher nicht reagiert.
Die Lage im schwer zerstörten Mariupol gilt als dramatisch. Zuletzt hatten sich Hunderte ukrainische Kämpfer und mindestens tausend Zivilisten in dem dort angesiedelten Stahlwerk verschanzt und erbittert Widerstand geleistet. Eine Kapitulation, wie von russischer Seite vorgeschlagen, hatten die Kämpfer ausgeschlagen.
Appell aus Mariupol an die Welt
Derweil hat sich die ukrainische Regierung nach eigenen Angaben mit den russischen Truppen auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten geeinigt. Die Zivilisten sollen demnach in die Stadt Saporischschja gebracht werden. Es handelt sich um den ersten Fluchtkorridor aus Mariupol seit Samstag.
Die Einnahme von Mariupol wäre ein wichtiger strategischer Sieg für die russische Armee im Ukraine-Krieg. Die Kontrolle über die Hafenstadt am Asowschen Meer würde Russland helfen, eine direkte Landverbindung zwischen der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim und den von den pro-russischen Separatisten im Donbass kontrollierten Gebieten herzustellen.

In einem dramatischen Appell hat der ukrainische Kommandeur der verbliebenen Marineinfanteristen in der schwer umkämpften Hafenstadt Mariupol um eine Evakuierung in einen Drittstaat gebeten. "Der Feind ist uns 10:1 überlegen", sagte Serhij Wolyna, Kommandeur der ukrainischen 36. Marineinfanteriebrigade, in einer auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft.
Er bitte darum, das Militär der Mariupol-Garnison, mehr als 500 verwundete Kämpfer und Hunderte Zivilisten auf dem Territorium eines Drittlandes in Sicherheit zu bringen. "Das ist unser Appell an die Welt", sagte Wolyna. "Das könnte der letzte Appell unseres Lebens sein."
Hilfe aus dem Ausland?
In Deutschland geht die Debatte um eine Lieferung schwerer Waffen auch nach der jüngsten Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiter. Dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter und der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehen Scholz' Äußerungen vom Dienstagabend nicht weit genug. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zeigte sich unzufrieden.
Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. "Wir haben die deutsche Rüstungsindustrie gebeten uns zu sagen, welches Material sie in nächster Zeit liefern kann", sagte er am Dienstag. "Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung." Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition "und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann".
Melnyk kritisierte die Ankündigung des Kanzlers als unzureichend. Sie seien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew "mit großer Enttäuschung und Bitterkeit" zur Kenntnis genommen worden, sagte Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Im ZDF-"heute journal" monierte er zudem: "Die Waffen, die wir brauchen, die sind nicht auf dieser Liste."
Hofreiter sagte dem Nachrichtenportal t-online: "Die von Olaf Scholz angekündigte Unterstützung unserer Partnerländer bei den Waffenlieferungen in die Ukraine ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht nicht aus". Strack-Zimmermann begrüßte auf Twitter, dass Scholz den Vorschlag aufgreife, für die Ukraine sofort bedienbare Waffen über osteuropäische Partner zu liefern, die Deutschland dann kompensiere. "Um Freiheit und Menschenrechte muss man aber kämpfen, die bekommt man nicht geschenkt. Dafür kam heute noch zu wenig Konkretes."