Alte Verbindungen, neue Freunde Putin und die Hamas: Fünf Fragen zur Rolle Russlands bei dem Terrorangriff

Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin
© AFP
Die Sowjetunion unterhielt einerseits gute Beziehungen zu den Palästinensern, auch die Hamas-Führung wurde noch vor Kurzem in Moskau empfangen. Andererseits: Auch mit Israel versteht sich Russland gut. Dort leben viele russische Juden. Was ist dran an der These, Moskau habe eine Rolle bei dem Terrorangriff gespielt?

Schadenfroh kommentieren einige russische Journalisten den Angriff der Hamas auf Israel: "Die Araber schlachten jüdische Kinder", heißt es in einem russischen Telegram-Kanal. "So sieht ein richtiges Butscha aus!". In Butscha, einem ukrainischen Ort unweit von Kiew, hatten russische Soldaten Dutzende ukrainische Zivilisten wahllos getötet. Im Vergleich mit dem Angriff der Hamas sei das doch gar nicht so schlimm, so offenbar der Gedanke.

Ein Journalist der russischen Zeitung "Moskowskij Komsomolez" stellt belustigt fest, der Westen wähne den russischen Präsidenten hinter dem Angriff auf Israel, als herrsche Wladimir Putin über den gesamten Kosmos. Das sei sogar schmeichelhaft. Als sei Russland an allem schuld. Der Autor findet das absurd.

Die These aber steht im Raum, vorgetragen vor allem von Beobachtern aus der Ukraine, den USA und den baltischen Ländern: Der Kreml habe seine Verbindungen in die Terrororganisation spielen lassen, um die Hamas zum Angriff zu motivieren. "Das Putin-Regime brauchte eine Eskalation, ohne in einen direkten Konflikt mit der Nato zu treten", sagt der US-amerikanische Professor und Sicherheitsexperte Jan Kallberg. Die Welt sei wieder im Kalten Krieg angekommen: Wie früher die Sowjetunion so finanziere Russland heute Terror, so Kallberg.

Was ist da dran? Fünf Fragen zu den Verbindungen Russlands in den Nahen Osten.

1. In Israel leben viele russische Juden, die dorthin ausgewandert sind. Warum sollte Russland die Hamas-Gruppe unterstützten?

Die Verbindungen zwischen Moskau und Palästinensern haben eine lange Geschichte. Zu Sowjetzeiten finanzierte der Kreml die Palästinische Befreiungsorganisation PLO, der Jassir Arafat vorstand. Die Organisation wollte den Staat Israel damals vernichten. Unweit von Simferopol bildeten sowjetische Offiziere auf der Halbinsel Krim sogar palästinische Kämpfer aus. Im Jom Kippur-Krieg setzten Syrien und Ägypten 1973 sowjetische Waffen gegen Israel ein. Der ehemalige Premierminister Russlands, Jewgenij Primakow, war mit Arafat befreundet.

Mit Israel hingegen unterhielt die Sowjetunion nach 1967 nicht einmal diplomatische Beziehungen. Die verbesserten sich erst mit dem Beginn der Perestrojka, der demokratischen Öffnung, in den späten 80er Jahren, und dann in 90er Jahren, nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen war. Antisemitismus ist in Russland auch heute noch weit verbreitet. Auf die guten historischen Beziehungen nehmen Putin und die Hamas-Führer auch heute gerne Bezug.

2. Welche Verbindungen gibt es heute zwischen dem Kreml und der Hamas?

Der Kreml hat die Hamas nie als Terrorgruppe eingestuft: Nach dem Wahlsieg der Hamas in den Palästinischen Autonomiegebieten 2006 erklärte der inzwischen verstorbene Ex-Premier Primakow sogar, Hamas sei vor allem eine Wohltätigkeitsorganisation. Seit 2006 empfingen Putin und der russische Außenminister Sergej Lawrow mehrfach Hamas-Delegationen. "Wir waren immer überzeugt davon, dass wir eines Tages in die Hauptstadt der Welt reisen dürfen", erklärte der Hamas-Führer Chalid Maschal bei seinem ersten Besuch in Moskau begeistert. Zuletzt war eine Delegation im März dieses Jahres in der russischen Hauptstadt. "Die ständigen Verbrechen Israels sind der Grund für die Instabilität in der Region", sagte damals einer der Hamas-Vertreter. Russland unterstütze die Rechte des palästinischen Volkes, erklärte der stellvertretende russische Außenminister, Michail Bogdanow. Worüber genau die Verhandlungen geführt wurden, ist nicht bekannt. Russland versucht, zwischen den Palästinenser-Gruppen zu verhandeln: Es sieht sich als Großmacht mit eigenen Interessen im Nahen Osten.

3. Unterstützt Israel die Ukraine im Krieg gegen Russland?

Kein westliches Land zeigt sich derzeit Russland gegenüber so vorsichtig wie Israel: Erst ein Jahr nach Kriegsbeginn reiste ein Regierungsvertreter Israels nach Kiew. Bis heute liefert Israel keine Waffen, obwohl die Ukrainer auf Raketenabwehrsysteme aus Israel gehofft hatten. Israel bildet keine ukrainischen Soldaten und Offiziere aus, auch an den Wirtschaftssanktionen beteiligt sich das Land nicht. Kurz nach Kriegsbeginn reiste der damalige Premierminister Naftali Bennett nach Moskau und versuchte, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Später behauptete er, Großbritannien und USA hätten einen Waffenstillstand verhindert. Putin dürften solche Erklärungen gefallen. Auch zum neuen Premierminister Benjamin Netanjahu hat er eine gute Verbindung. Es gibt kaum einen Grund, warum sich der russische Präsident Israel zum Feind machen sollte.

4. Gibt es Beweise dafür, dass Russland die Hamas mit Waffen oder Geld unterstützt?

Beweise für direkte Waffenlieferungen aus Russland an die Hamas gibt es derzeit laut Beobachtern nicht. Nach israelischen Angaben verfügt die Hamas zwar über Panzerabwehrraketen und Flugabwehrraketen aus russischer Produktion. Diese seien vermutlich jedoch über den Iran in die Palästinensischen Gebiete gelangt. Nach US-Berichten wird die Hamas aus dem hochgerüsteten Iran unterstützt. Im Iran kauft auch Russland Waffen ein, unter anderem Drohnen und Granaten. Vermutlich verkauft Russland auch Waffen an den Iran. Beide fühlen sich vereint in ihrem Hass auf den Westen, vor allem auf die USA. Das Bündnis stärkt den Iran – und der stärkt die Hamas.

5. Wieso profitiert Russland von dem Angriff auf Israel?

Russland nützt nicht nur der Angriff der Hamas, dem Putin-Regime kommen auch die Konflikte in Bergkarabach, im Kosovo und in Westafrika zugute: Gut für den Kreml ist alles, was den Westen von der Ukraine ablenkt. Der würde nun lieber Israel mit Waffen und Geld helfen, heißt es in der russischen Tageszeitung "Moskauer Komsomolez":  Die Hilfe für die Ukraine gebe der Westen früher oder später sowieso auf, glaubt der Autor. 

"Der Kreml heizt schwelende Konflikte in der Region an", urteilt die Russland-Expertin Hanna Notte, die für einen US-Thinktank arbeitet. "Moskau hofft, dass Spannungen andernorts die Aufmerksamkeit westlicher Staaten bündeln, was sie von der Unterstützung der Ukraine ablenken könnte." Im Interesse Russland sei es aber, dies nicht zu weit treiben, so Notte: Sollte sich der Krieg wie in einem Flächenbrand ausweiten, hätte das schwere Folgen für den Kreml: "Russland hätte wegen des Ukraine-Krieges nicht die militärischen Kapazitäten, um mitzumischen und seine Interessen zu wahren in einem größeren regionalen Konflikt."