Leitfaden Was bedeutet was? Ein Ratgeber für die Pflege Angehöriger

  • von Angelika Dietrich
Pflegefall: Hände halten sich fest
Wenn ein Pflegefall eintritt, wissen die meisten mit den ganzen Begrifflichkeiten gar nicht umzugehen
© ArtMarie / Getty Images
Ein Sturz oder schleichende Altersgebrechen – plötzlich kann jemand zum Pflegefall werden. Wer sich um Angehörige kümmert, muss viele spezielle Begriffe lernen.

Der Klassiker ist dieser: Die alte Mutter oder der betagte Vater stürzt, muss ins Krankenhaus und kann danach nicht mehr allein für sich sorgen. Die Sozialdienste in der Klinik stellen einen Pflegebedarf fest, und dann läuft die Maschinerie an: Bestimmung des Pflegegrads, Anträge für Gelder stellen, häusliche oder ambulante Pflege organisieren. Ein "Akutereignis", das plötzlich das Thema Pflege in den Alltag katapultiert.

Ganz typisch seien diese Fälle, beobachtet Tobias Konrad, Leiter von Wirkommunal, einer Einrichtung des Kommunalunternehmens des Landkreises Würzburg, die den Pflegestützpunkt des Kreises betreibt. Daneben gibt es die Variante "schleichender Prozess": Erwachsene Kinder oder andere Angehörige bemerken, dass es den Älteren langsam schlechter geht, vieles im Alltag nicht mehr so klappt wie noch vor ein paar Wochen oder Monaten.

Tobias Konrad empfiehlt, "sich lieber früher als zu spät" Hilfe zu suchen, zu einer Beratungsstelle oder einem Pflegestützpunkt zu gehen und die Situation zu beschreiben. Denn "ausgebildete Pflegeberater erkennen in der Regel sehr gut, ob jemand Pflegebedarf hat oder ob es sich um einen normalen Alterungsprozess handelt", sagt er. Konrad selbst ist ausgebildeter Gesundheits- und Pflegemanager. Gibt es keine Beratungsstelle in der Nähe, ist die Krankenkasse die richtige Stelle.

Pflegegrad und Medizinischer Dienst

Auch wenn es um die Einstufung in einen Pflegegrad geht, ist die Krankenkasse der richtige Ansprechpartner, sagt Tobias Konrad. "Der Kasse schildert man, dass man einen Pflegebedarf zu Hause hat, dann schickt die Kasse einen Antrag, den füllt man aus. Die Krankenkasse informiert anschließend den Medizinischen Dienst, dass eine sogenannte Begutachtung nötig ist." Der Medizinische Dienst ist eine neutrale, von den Krankenkassen unabhängige Institution. Dort arbeiten speziell ausgebildete Gutachter (häufig Personen aus der Kranken- oder Altenpflege), die zur Begutachtung nach Hause kommen. Dieser Vorgang wird immer daheim durchgeführt – nie findet die Begutachtung in einer Reha-Einrichtung oder Kurzzeitpflege statt.

Diese Begutachtung dauert etwa eine bis anderthalb Stunden. Konrad rät: "Lassen Sie den Pflegebedürftigen dabei bitte nicht alleine. Es sollte immer ein naher Angehöriger dabei sein, der die Situation kennt und gut beschreiben kann." Denn oft stellen sich die Betroffenen selbst sehr gut dar und verschweigen, wo sie Hilfe brauchten. Sein Tipp: "Seien Sie ehrlich. Beschönigen Sie nicht, verschlimmern Sie nicht." Und: "Die Gutachter sind sehr gut geschult und bemerken schnell, wenn jemand ein Schauspiel aufführt." Gibt es bereits Diagnosen vom Arzt oder Dokumentationen eines ambulanten Pflegediensts, dann legen Sie diese dem Medizinischen Dienst vor.

Bei der Begutachtung werden sechs verschiedene Bereiche abgefragt, die unterschiedlich stark gewichtet werden. Etwa Mobilität: Wie gut ist jemand zu Fuß oder beim Treppensteigen? Kann er/sie allein aufstehen und vom Bett ins Bad gehen? Oder: Wie sieht es mit den geistigen und kommunikativen Fähigkeiten aus? Sowie: Wie steht es um die Selbstversorgung und den Umgang mit der eigenen Krankheit? Also: Kann sich jemand noch allein waschen, anziehen, ernähren, nimmt er seine Medikamente zuverlässig ein? Wie sieht es mit der gesellschaftlichen Teilhabe aus – gibt es soziale Kontakte, ist der Alltag strukturiert? Für jede Frage und jedes Modul vergeben die Gutachter Punkte.

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Widerspruch

Wenn man mit dem festgestellten Pflegegrad nicht einverstanden ist, kann man dagegen Widerspruch einlegen: Dafür hat man maximal einen Monat nach Zugang des Bescheids Zeit. Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen: per Fax oder am besten per Einschreiben, E-Mail ist nicht möglich. Im Idealfall wendet man sich dann an eine Beratungsstelle oder den Pflegestützpunkt. Mit ihm prüft man genau, wo man nachhaken könnte, wo das Gutachten nicht berücksichtigte Aspekte aufweist. Dann erfolgt eine Wiederbegutachtung durch den Medizinischen Dienst – in der Regel kommt ein anderer Gutachter. Es könnte auch sein, dass per Aktenlage oder durch telefonische Rückfragen erneut begutachtet wird.

Illu zu Pflegegeld
Wer zuhause durch Angehörige gepflegt wird erhält sogenanntes Pflegegeld
© Ela Strickert / stern

Pflegegeld

Ab Pflegegrad 2 gibt es Geld – zumindest dann, wenn die Pflege zu Hause durch Angehörige erfolgt. Aktuell sind das für:

Pflegegrad 2: 332 Euro

Pflegegrad 3: 573 Euro

Pflegegrad 4: 765 Euro

Pflegegrad 5: 947 Euro

Das Geld wird auf das Konto des oder der Pflegebedürftigen überwiesen, da es von der Kranken- bzw. Pflegeversicherung des Pflegebedürftigen ausgezahlt wird. "Das ist die einzige Leistung, wo wirklich Geld von der Pflegeversicherung an Pflegebedürftige geht", sagt Tobias Konrad. Allerdings geben diese das Geld meist an die pflegenden Angehörigen weiter, Sohn oder Tochter zum Beispiel. Konrad sagt: "Wichtig ist: Das Geld ist nicht mit einem Stundenlohn zu vergleichen und war auch nie so gedacht." Das Pflegegeld wird monatlich ausgezahlt.

Illu zu Pflegesachleistungen
Bei der Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst gibt es sogenannte Pflegesachleistungen
© Ela Strickert / stern

Pflegesachleistung

Kommt ein ambulanter Pflegedienst oder ein ambulanter Betreuungsdienst ins Spiel, sieht die Sache anders aus. Dann stehen dem/der pflegebedürftigen Person die sogenannten Pflegesachleistungen zu. Das ist grob gesagt ein Geldtopf, aus dem aber kein Geld rausgenommen werden darf, sondern nur Leistungen, die eine bestimmte Summe wert sind. Beispielsweise täglich waschen und Zähne putzen durch einen ambulanten Pflegedienst. Der Pflegebedürftige erhält vom ambulanten Pflegedienst hierfür einen Kostenvoranschlag, in dem die Leistungen detailliert aufgeführt sind. Entsprechend der gebuchten Leistung wird die jeweilige Summe aus dem Geldtopf abgezogen. Wie viel Geld für Pflegesachleistungen da ist, hängt auch wieder vom Pflegegrad ab.

Nun wird es tricky: Braucht der Pflegebedürftige nicht die komplette Summe an Sachleistungen auf, die ihm jeden Monat zur Verfügung steht, sondern beispielsweise nur 50 Prozent, dann stehen ihm auf Antrag bei der Pflegekasse die übrigen 50 Prozent als Pflegegeld zu. Das heißt, von der monatlich vorgesehenen Summe an Pflegegeld (bei Pflegegrad 2 sind es etwa 332 Euro) wird die Hälfte ausgezahlt: also 166 Euro, jene 50 Prozent Restsumme. Pflegegeld und Pflegesachleistung lassen sich miteinander kombinieren. Eine alte Dame kann zum Beispiel von der Tochter gepflegt werden, zum Duschen oder Waschen aber einen Pflegedienst hinzuziehen.

Illu zum Entlastungsbetrag
Den Entlastungsbetrag gibt es bereits ab Pflegegrad 1
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Entlastungsbetrag

Zusätzlich gibt es bereits ab Pflegegrad 1 noch den Entlastungsbetrag: Das sind derzeit 125 Euro pro Monat. Diese Summe wird jeden Monat auf einer Art Sparbuch für jeden Pflegebedürftigen gutgeschrieben. Pflegende Angehörige können das Geld abrufen – beispielsweise für folgende Situationen: Entweder, weil sie ehrenamtliche Helfende beschäftigen, die sie entlasten und zum Beispiel auf die pflegebedürftige Mutter aufpassen, während sie selbst zum Arzt, Friseur oder Kaffeetrinken gehen. "Das ist konkret für ehrenamtliche Helfer gedacht, die an einen Träger angedockt sind, in Bayern etwa an kommunale oder kirchliche Träger – nicht für Erna von nebenan oder eine Putzhilfe", erklärt Tobias Konrad vom Pflegestützpunkt des Landkreises Würzburg.

Wie dieser Betrag im Detail verwendet werden darf, regeln die jeweiligen Ausführungsverordnungen der Bundesländer zu den Sozialversicherungen. Verwendet werden kann der Betrag auch für folgende Situation: wenn die pflegebedürftige Mutter für ein paar Tage in die Kurzzeitpflege (siehe auch rechts) kommt oder regelmäßig eine Tagespflegeeinrichtung besucht. Die Kosten dafür trägt nämlich nur zu einem gewissen Teil die Pflegeversicherung. Den Rest muss man selbst bezahlen – und diesen Eigenanteil stemmen viele mit dem Entlastungsgeld. Wichtig zu wissen: Dieses Geld kann maximal 18 Monate angesammelt werden, Stichtag ist jeweils der 30.6. – wenn man es nicht abruft, dann verfallen die Leistungen aus dem vorherigen Kalenderjahr.

Illu zur Verhinderungspflege
Wenn eine Pflegeperson verhindert ist, kommt die Verhinderungspflege ins Spiel
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Verhinderungspflege

Ein weiterer Geldtopf, von dem pflegende Angehörige profitieren können, ist die Verhinderungspflege. Ab Pflegegrad 2 kann dieser in Anspruch genommen werden. Nämlich dann, wenn eine Pflegeperson verhindert ist und Ersatzpflege organisieren muss. Das sind derzeit maximal 1612 Euro jährlich. Zusätzlich können bis zu 806 Euro aus nicht verbrauchten Mitteln der Kurzzeitpflege übertragen werden.

Voraussetzung: Die pflegende Person übernimmt die häusliche Pflege bereits seit mindestens sechs Monaten. Anders als die Kurzzeitpflege kann die Verhinderungspflege auch in den eigenen vier Wänden durchgeführt werden. Achtung: Die Verhinderungspflege gibt es nur noch bis zum 1. Juli 2025, dann wird sie mit der Kurzzeitpflege (siehe unten) zusammengelegt.

Kurzzeitpflege

Von Kurzzeitpflege spricht man, wenn die pflegebedürftige Person für eine überschaubare Zeit in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Zum Beispiel dann, wenn die pflegenden Angehörigen im Urlaub sind. Für diese Kosten beantragt man die Leistungen der Kurzzeitpflege. Auf diese Leistungen hat man ab Feststellung des Pflegegrads 2 Anspruch. Bei Pflegegrad 1 kann der Entlastungsbetrag für die Kurzzeitpflege verwendet werden.

Wichtig: Ab dem 1. Juli 2025 werden Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege zusammengelegt – das heißt, ab diesem Zeitpunkt steht ein gemeinsamer sogenannter Gesamtleistungsbetrag zur Verfügung. Dieser kann flexibel sowohl für Kurzzeitpflege- oderVerhinderungspflegeleistungen eingesetzt werden.

Details klärt man am besten mit einer Beratungsstelle, dem Pflegestützpunkt oder der Krankenkasse.

Wohnunterstützung

Ab Pflegegrad 1 hat man Anspruch auf bis zu 4000 Euro, pro sogenannte "wohnumfeldverbessernde Maßnahme". Das kann zum Beispiel ein Umbau des Bads sein: etwa Dusche statt Wanne oder Handläufe neben der Toilette. Wichtig ist, dass alle Umbauten "pflegeerleichternd" sind. Verschlechtert sich der Zustand des oder der Pflegebedürftigen im Laufe der Zeit und der betagte Vater kommt beispielsweise nicht mehr die Treppe hoch, kann man versuchen, das Geld für diese "wohnumfeldverbessernde Maßnahmen" erneut zu beantragen. Etwa für den Einbau eines Treppenlifts.

Je nach Bundesland gibt es weitere Zuschüsse – hier wissen normalerweise die verschiedenen Beratungsstellen Bescheid.

Illu zu Gesetzlicher Rente
Die Gesetzliche Betreuung sollte frühzeitig angegangen werden
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Gesetzliche Betreuung

Wer nicht mehr in der Lage ist, eigene Rechtsgeschäfte selbstständig durchzuführen oder keine ausreichende Vorsorgevollmacht erteilt hat, braucht eine sogenannte gesetzliche Betreuung. Klassisch ist dies bei Demenzerkrankungen der Fall. Tobias Konrad empfiehlt rechtzeitig Vorsorge: "Spätestens bei den ersten Anzeichen einer Demenz. Weil man nie weiß: War er in dem Moment, in dem er den Ferrari gekauft hat, noch Herr seiner geistigen Sinne oder nicht?"

Eine gesetzliche Betreuung beantragt man beim Amtsgericht. Dieses legt einen gesetzlichen Betreuer fest, meist einen nahen Verwandten oder Angehörigen. Dieser übernimmt dann Rechtsgeschäfte wie Behördengänge oder Bankgeschäfte – die Aufgaben werden genau festgelegt.

Die Angelegenheit lässt sich im Voraus auch ohne Amtsgericht regeln: Jeder kann einen Vertreter selbst wählen und bevollmächtigen.

Erschienen in stern Pflegeheft 01/2024