Rechtsruck in Deutschland "Wenn die politische Entwicklung so weitergeht, dann sind wir weg"

aufgezeichnet von Samira Debbeler
Anahita G. hält ihre Tochter auf dem Arm.
Anahita G., 35, geboren in Münster, sorgt sich wegen des Rechtsrucks in Deutschland um ihre Sicherheit und die ihrer Tochter
© Stern
Zur deutschen Gesellschaft gehören 21,2 Millionen Menschen, die eine Einwanderungsgeschichte haben. Im stern erzählen Betroffene von ihren Sorgen und Gefühlen.

Die Realität, in der wir uns befinden, fühlt sich zunehmend unsicher an. Mein Mann und ich haben letztes Jahr ein Kind bekommen und überlegen bereits, was wir im Notfall tun müssen, falls sich die politische Lage weiter verschärft. Die Angst, dass wir irgendwann als "Menschen zweiter Klasse" behandelt werden, ist real. Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, in andere Länder zu gehen, falls es in Deutschland wirklich zu schlimm wird. 

Eltern flohen vor Massenhinrichtungen

Mein Name ist Anahita G. Ich bin 35 Jahre alt, in Münster geboren und arbeite als Werbetexterin und Creative Director. Natürlich bin ich Deutsche. Meine Eltern kamen aus dem Iran nach Deutschland. Das war 1987. Damals gab es im Iran Massenhinrichtungen. Viele derjenigen, die damals gegen den Schah protestiert hatten, waren auch gegen die neuen Herrscher, die Ayatollahs. Sie wurden festgenommen, und in einer Welle von Säuberungen ließ das Regime die Gefängnisse systematisch leeren, indem sie die Gefangenen einfach umbrachten. Mein Vater war links eingestellt – eigentlich meine ganze Familie. Aus Angst vor politischer Verfolgung und Angst, dass sie gefasst werden und ins Gefängnis kommen, flohen meine Eltern mit meinen Geschwistern nach Deutschland. 

Im Iran war mein Vater Finanzprüfer. In Deutschland fand er keinen Job in seinem Beruf und eröffnete daraufhin mit meiner Mutter einen Lebensmittelladen. Dann wurde ich geboren. Ich wuchs wohlbehütet auf und erlebte kaum puren Rassismus nach dem Motto "Du bist Ausländerin, du bist scheiße." Es war eher subtiler. Oder auch Rassismus, den ich gerne als "positiven Rassismus" bezeichne. Man unterhält sich ganz normal, und plötzlich sagt jemand aus dem Nichts, dass er die persische Kultur toll findet oder das Essen. Das sind natürlich nett gemeinte Komplimente, aber in dem Moment wird mir bewusst, dass da ein Unterschied gesehen wird, den ich vorher gar nicht so wahrgenommen habe. 

"Na ja, also rein Deutsch werden Sie halt nie sein"

Eine Erfahrung ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Ich habe mal in einer Videothek gearbeitet. Dort gab es einen Fensterputzer, der öfter vorbeikam. Eines Tages hat er sich mit mir unterhalten – das war in der Zeit, als Pegida aufkam. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir darauf gekommen sind, aber plötzlich hat er ein politisches Gespräch mit mir geführt. Wir haben sehr ruhig und lange miteinander geredet, und irgendwann wollte ich es ein bisschen aus ihm herauskitzeln. Also habe ich gesagt: "Sie sehen ja, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich zahle seit meinem 15. Lebensjahr Steuern in diesem Land. Würden Sie sagen, dass ich trotzdem kein Teil von Deutschland bin? Dass ich nicht Deutsch bin?" Und dann meinte er: "Na ja, also rein Deutsch werden Sie halt nie sein."

Vor der Bundestagswahl erzählte mir ein Freund, dass er die CDU wählt, weil er viele Migranten als problematisch empfindet. Und er sagte: "Nein, du bist ja nicht gemeint, wenn über Remigration gesprochen wird." Viele denken einfach nicht darüber nach, wer da wirklich gemeint ist. Man merkt, dass vielen das Bewusstsein fehlt, wer eigentlich alles dazugehört. 

Das größte Problem, das ich sehe, ist die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, wie es auch durch politische Veränderungen wie die Machtübernahme Trumps sichtbar wird. Statt über Migranten zu diskutieren, könnten wir viel mehr erreichen, wenn wir die Reichen stärker besteuern und mehr Gerechtigkeit schaffen würden. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Ich hoffe, dass sich meine Zukunft in Deutschland verändert, dass ich und meine Tochter nicht in 20 Jahren immer noch mit denselben Problemen kämpfen müssen. Aber wenn die politische Entwicklung so weitergeht, im worst case Menschen die Staatsbürgerschaft entzogen wird, dann sind wir weg.