Es klingt zunächst wie eine gute Nachricht: 8,6 Milliarden Euro standen Sachsen-Anhalts Kommunen im Jahr 2024 zur Verfügung - so viel wie noch nie. Doch bei der Vorstellung des Jahresberichts in Magdeburg machte der Landesrechnungshof deutlich, dass dieser Rekord nicht darüber hinwegtäuscht, wie angespannt die Lage vieler Städte, Gemeinden und Landkreise ist. Trotz der hohen Einnahmen schlossen die Kommunen das Jahr mit einem Defizit von 127 Millionen Euro ab. Die Haushaltslage habe sich damit weiter verschlechtert, sagte Rechnungshofpräsident Kay Barthel bei der Vorstellung des Berichts in Magdeburg.
Dabei sei die Entwicklung umso bemerkenswerter, als den Kommunen in den vergangenen Jahren real deutlich mehr Geld zur Verfügung stand. Von 2015 bis 2024 seien die verfügbaren Mittel - bereinigt um Inflation und Bevölkerungsentwicklung - um rund 55 Prozent pro Kopf gestiegen. Dennoch habe es 2024 erstmals wieder ein "deutliches Minus" in der kommunalen Kassenstatistik gegeben, sagte Barthel.
Rekordeinnahmen - und trotzdem mehr Schulden
Die Ausgaben wuchsen schneller als die Einnahmen. Das hat spürbare Folgen: Viele Kommunen konnten weniger investieren und haben kaum noch Spielräume für freiwillige Aufgaben. Parallel dazu stieg die Verschuldung weiter. Die kommunalen Kernhaushalte standen Ende 2024 mit fast 3,4 Milliarden Euro in der Kreide.
Besonders ins Gewicht fallen dabei die Kassenkredite. Sie erhöhten sich innerhalb eines Jahres um 189 Millionen Euro auf rund 1,4 Milliarden Euro. Diese kurzfristigen Kredite sind eigentlich dafür gedacht, vorübergehende Engpässe zu überbrücken - vergleichbar mit einem Dispokredit auf dem Girokonto. Tatsächlich würden sie jedoch zunehmend dauerhaft genutzt, weil viele Kommunen ihre laufenden Ausgaben nicht mehr vollständig aus eigenen Einnahmen decken könnten.
Im bundesweiten Vergleich weist Sachsen-Anhalt damit die dritthöchste Pro-Kopf-Verschuldung bei Kassenkrediten auf. Besonders angespannt ist die Lage in den kreisfreien Städten. Mit Blick auf Halle (Saale), Mansfeld-Südharz und Wittenberg sprach Barthel von "Werten, die äußerst bedenklich sind". Halle müsse rechnerisch fast drei Viertel seiner jährlichen Einnahmen aufwenden, um den Schuldenstand vollständig zu tilgen. Dagegen sei die Situation in Dessau-Roßlau kein nennenswertes Problem. In vielen kreisangehörigen Gemeinden sei die Verschuldung ebenfalls weniger kritisch.
Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Mehr Geld allein reicht nicht
Der Rechnungshof fordert vom Land zwar eine verlässliche Finanzausstattung der Kommunen, warnt aber zugleich vor falschen Erwartungen. Auch der Landeshaushalt selbst sei mit rund 25 Milliarden Euro Schulden "am Limit", sagte Barthel. Zusätzliche Mittel allein könnten die strukturellen Probleme daher nicht lösen.
Kommunen, die dauerhaft mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen, müssten klare und langfristige Konsolidierungsstrategien verfolgen. Zugleich solle die Kommunalaufsicht konsequenter eingreifen, wenn Haushaltsregeln verletzt werden. Barthel mahnte zudem, das Land dürfe nicht in die Versuchung geraten, neue Spielräume durch Bundes-Schuldenprogramme für laufende Ausgaben zu nutzen. Andernfalls werde "eine Riesen-Chance vertan", nachhaltig in Projekte zu investieren, "von denen die Bürgerinnen und Bürger möglichst lange etwas haben".
Kommunale Haushaltsabschlüsse bleiben lückenhaft
Ein weiteres Dauerthema ist das Neue Kommunale Haushalts- und Rechnungswesen. Auch zwölf Jahre nach der verpflichtenden Einführung fehlen noch immer 28 Prozent der Jahresabschlüsse. Diese Abschlüsse sind notwendig, um Vermögen, Schulden und Investitionsbedarf realistisch bewerten zu können. Eigentlich sollten Kommunen ohne aktuelle Abschlüsse ab 2025 nur noch eingeschränkt haushalten dürfen. Dass das Innenministerium diese Regelung bis 2028 ausgesetzt hat, nimmt aus Sicht des Rechnungshofs den notwendigen Druck aus dem System.
Vergabefehler in Wernigerode
Dass es nicht nur um abstrakte Zahlen geht, zeigt ein Prüfungsfall aus Wernigerode. Beim Neubau der Grundschule August Hermann Francke stellten die Prüfer gravierende Vergabeverstöße fest. Die Stadt hatte den Auftrag an ihre eigene Wohnungsbaugesellschaft vergeben, obwohl diese dafür nicht zugelassen war. Zudem waren die Kosten des Projekts so hoch, dass eine europaweite Ausschreibung zwingend erforderlich gewesen wäre - sie blieb jedoch aus. Nach Einschätzung des Rechnungshofs drohen dadurch rechtliche und finanzielle Konsequenzen.
Unbesetzte Beamtenstellen werden teuer
Auch die Personalpolitik vieler Kommunen geriet in der Pressekonferenz in den Fokus. Der Rechnungshof stelle zunehmend infrage, ob die bisherige Praxis der Verbeamtung in allen Bereichen noch sinnvoll sei, sagte Barthel. Zugleich verursachten unbesetzte Beamtenstellen erhebliche Mehrkosten, weil Umlagen an den Kommunalen Versorgungsverband unabhängig von der tatsächlichen Besetzung anfielen. Im Landkreis Mansfeld-Südharz summierten sich diese Zahlungen für bis zu 42 unbesetzte Stellen auf mehr als eine Million Euro pro Jahr.
Der Landesrechnungshof sieht die kommunale Ebene an einer finanzpolitischen Wegmarke. Rekordeinnahmen verdeckten nicht, dass Ausgaben vielerorts schneller steigen als Einnahmen, Schulden wachsen und zentrale Reformen stocken. Ohne strukturelle Konsolidierung könnten also viele Kommunen aus Sicht des Rechnungshofs langfristig ihre Handlungsfähigkeit verlieren.
Link zum Livestream