Jobs Arbeitsagentur: Thüringer Arbeitsmarkt besonders unter Druck

Der Leiter der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Markus Behrens, sieht in einigen Bereichen Lichtblicke für das kommende Jah
Der Leiter der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Markus Behrens, sieht in einigen Bereichen Lichtblicke für das kommende Jahr. (Archivbild) Foto
© Simon Kremer/dpa
Industrie unter Druck, offene Stellen, aber fehlende Qualifikation: Warum Thüringens Arbeitsmarkt so angespannt ist wie seit Jahren nicht mehr.

Thüringen verzeichnet derzeit die höchste Arbeitslosenzahl seit sieben Jahren. Der Strukturwandel trifft unter anderem die Automobilzulieferer und energieintensive Branchen wie Glas und Keramik, sagt Markus Behrens, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Sachsen-Anhalt-Thüringen. Dabei gibt es im Land teils große Unterschiede. 

Frage: Herr Behrens, wie blicken Sie auf den Arbeitsmarkt in Thüringen zurück? 

Behrens: Unterm Strich ist die Arbeitslosigkeit gestiegen und die Beschäftigung hat sich eher rückläufig entwickelt. Thüringen ist in dieser Phase stärker unter Druck geraten als Sachsen-Anhalt – wir spüren Konjunkturflaute und Strukturwandel, gerade in industriell geprägten Regionen. Auch die Zeitreihe zeigt das: Im November 2025 lagen wir bei 67.984 Arbeitslosen und damit höher als im Pandemie-November 2020 als wir 64.427 Arbeitslose hatten. Das ist ein neuer Höchstwert in den vergangenen sieben Jahren. 

Woher kommt der Druck – und welche Branchen stehen besonders unter Spannung?

Die Transformation trifft vor allem Bereiche, in denen Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse umgestellt werden müssen – das sehen wir besonders im Umfeld der Automobilzulieferer. Dazu kommen Belastungen für energieintensive Branchen. In Thüringen betrifft das unter anderem Glas und Keramik.

Im Süden von Thüringen gibt es außerdem viele Menschen, die zum Arbeiten nach Bayern pendeln und auch dort von wirtschaftlichen Problemen betroffen sind. Für viele Betriebe ist entscheidend, dass Energiepreise und Rahmenbedingungen wieder verlässlicher und wettbewerbsfähiger werden.

Gleichzeitig sind viele Stellen offen – warum passt das nicht zusammen?

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Wir haben weiterhin rund 15.000 offene Stellen in Thüringen. Das Kernproblem ist der Qualifikations-Mismatch: Rund 80 Prozent der Jobs sind auf Fachkräfteniveau, im Arbeitslosenbestand sind aber fast zwei Drittel nicht entsprechend qualifiziert – dazu kommen regionale und mobilitätsbedingte Hürden. Deshalb ist Qualifizierung das A und O.

Apropos Mobilität: Wie groß sind die Unterschiede zwischen den Regionen?

Die Spreizung ist enorm: Im Eichsfeld liegen wir bei rund 4 Prozent Arbeitslosigkeit, in Erfurt bei etwa 10,2 Prozent. Solche Unterschiede hängen mit Branchenmix, Standortfaktoren und auch damit zusammen, wo Menschen hinziehen – etwa dorthin, wo Wohnraum verfügbar ist.

Welche Rolle spielt Zuwanderung inzwischen für den Arbeitsmarkt?

Eine sehr große. Seit September 2017 wächst Beschäftigung bei uns im Wesentlichen nur noch, weil mehr Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit arbeiten – die Zahl der deutschen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten geht in der Tendenz leicht zurück. In Thüringen sind inzwischen mehr als 80.000 Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das wird für uns mit Blick auf die demografische Lücke immer wichtiger. Hier liegt Thüringen aber noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. 

Wie läuft die Integration – gerade bei Ukrainern?

Der Sprachkurs-Berg ist größtenteils abgetragen, aber eben noch nicht komplett: Einige warten weiterhin auf Kurse. Jetzt kommt Stufe zwei: Menschen in Arbeit bringen – und zwar möglichst passend zur Qualifikation, also über Anerkennungsverfahren dahin, dass Akademiker als Akademiker und Fachkräfte als Fachkräfte arbeiten. Dafür braucht es aber auch einen langen Atem. Aus der Zeit ab 2015 wissen wir, dass am Ende rund 70 Prozent in Beschäftigung ankommen können.

Ein großes Problem ist zuletzt die Langzeitarbeitslosigkeit gewesen. Wird das zu einem strukturellen Problem?

Sie nimmt zu und liegt in beiden Ländern in Richtung 40 Prozent Anteil – das ist hoch. Entscheidend ist, Menschen je nach Ausgangslage abzuholen: Manche brauchen eine kurze Qualifizierung, andere erst wieder Struktur und Stabilisierung – etwa über Beschäftigungsgelegenheiten –, bevor der Übergang in reguläre Arbeit gelingt. Finanzielle Spielräume für Arbeitsmarktpolitik sehen wir dafür aktuell durchaus.

Wir haben jetzt schon seit längerem die Entwicklung, dass es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber gibt. Was heißt das für den Markt? 

Für Jugendliche ist das eine Chance, weil Auswahl und Einstiegsmöglichkeiten größer sind. Für Unternehmen ist es eine Herausforderung, weil Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben können und das verschärft später den Fachkräfteengpass. Als Arbeitsagentur unterstützen wir mit Berufsberatung, Vermittlung, Bewerbungshilfen und digitalen Angeboten. Nicht nur bei der Ausbildung, sondern auch bei der Vermittlung. Betriebe sollten sich deswegen bei Problemen frühzeitig bei uns melden, damit wir als eine Art Marktdrehscheibe Arbeitskräfte rechtzeitig weitervermitteln können. 

Womit rechnen Sie für das kommende Jahr? 

Behrens: Der Umfang der Veränderungen momentan schmerzt in vielen Bereichen. Ich glaube trotzdem, dass wir viele Chancen haben, uns aus der schwierigen konjunkturellen Phase zu befreien. Das kann vor allem für die Bauindustrie gelten mit dem Investitionsprogramm bei der Infrastruktur. Gleichzeitig müssen Unternehmen aber auch schauen, in welche Richtungen sie sich weiterentwickeln können. Das Gleiche gilt auch für Beschäftigte. Hier ist Weiterbildung der Schlüssel.

dpa