S-Bahn-Chaos Reloaded Berlin kriecht ins neue Jahr

Von David Bedürftig, Berlin
Alle Jahre wieder: Ganz Berlin ärgert sich über die S-Bahn. Deren Winterprobleme verschärfen sich, einzelne Streckenabschnitte sind komplett gesperrt, die chaoserprobten Hauptstädter zunehmend zornig. Wer hat Schuld an dem Übel?

Das raue Berlin bietet derzeit einen ungewohnt kleinlauten Dauersound. "Wir bitten um Entschuldigung", krächzt es unablässig aus den Lautsprechern an den Berliner S-Bahnsteigen, "der Zug hat etwa zehn Minuten Verspätung". Berlin ist nicht bekannt als Stadt der Nettigkeiten, doch Bahn muss flehen, denn Berlin liegt brach. Die Leidtragenden sind die um die Wette fröstelnden Berliner - mal wieder.

Nach dem Zug-Chaos im vergangenen Jahr erhoffte man sich in der Hauptstadt diesmal einen problemlosen S-Bahn-Winter. "Spätestens seit dem vergangenen Winter kannte man doch die Problemquellen und hätte früher anpacken können", beschwert sich ein Rentner auf dem S-Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Denkste. Seit Sonntag fährt die S-Bahn, ohnehin schon nach Notfahrplan unterwegs, noch seltener. Die meisten Züge kommen nur im 20-Minuten-Takt, wenn überhaupt. Verspätungen sind da selbstverständlich nicht mit einberechnet.

Lediglich 200 so genannte Viertelzüge befinden sich noch auf den Gleisen, der Notfahrplan ging von 434 aus. Normalerweise fahren in Berlin sogar 562 Züge, nun als nur noch gut ein Drittel davon. Eine weitere Zahl verdeutlicht die Misere noch besser: Früher beförderte die Tochter der Deutschen Bahn werktags etwa 1,3 Millionen Menschen. Heute schafft die S-Bahn nur noch den Transport von weniger als eine Million Passagieren. Die Konzerntochter steht vor Problemen, die es so bei einem deutschen Bahnunternehmen in Deutschland noch nicht gegeben hat. Und an den Versprechungen von Bahnchef Rüdiger Grube, diese Probleme im Laufe dieses Jahres zu lösen, wachsen Zweifel.

Zustände wie in einer chinesischen U-Bahn

"Teilweise geht das hier zu wie in einer chinesischen U-Bahn", beklagt sich eine Studentin auf dem Weg zur Uni, "sobald die S-Bahn hält, versuchen die Leute, sich hineinzustopfen." Die Züge kommen seltener und sind oft um ein oder zwei Wagen verkürzt. "Eine Schande", motzt ein andeer Fahrgast. Immerhin: Die ahrpreiserhöhung kam so pünktlich wie die Bahn eigentlich sein soll. Seit dem 1. Januar dürfen Berliner 20 Cent mehr für einen Einzelfahrschein berappen. Ob sie irgendwann eine Art der Entschädigung erhalten, wie vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und der Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer gefordert, bleibt ungewiss.

Zwar sind die chaoserprobten Berliner schon Meister des Fatalismus': "Jedes Jahr der gleiche Mist, ich habe es nicht anders erwartet", so die zur Uni eilende Studentin. Doch dieses Mal kommt es nicht nur zu Zugausfällen, -verspätungen und -verkürzungen: Seit Sonntag herrscht auf bestimmten Streckenabschnitten gar kein Verkehr mehr. In den Vororten Hennigsdorf und Strausberg und den Randbezirken Spandau und Hohenschönhausen sind die S-Bahnhöfe ausgestorben. Die Gleise eisen vor sich hin, die Menschen werden von großen rot-weißen Zäunen und kleinen "Kein S-Bahn-Verkehr"-Schildchen zu den überfüllten, im 20-Minuten-Takt fahrenden Ersatzbussen geleitet. Nicht auszurechnen, was passiert, wenn in den nächsten Tagen der vorhergesagte Neuschnee die Berliner Straßen erneut in Rutschbahnen verwandelt. Die Stimmung brodelt in der Hauptstadt. Der "Berliner Kurier" nahm auf der Titelseite am Montag sogar schon Abschied von der "geliebten S-Bahn", die immerhin zwei Weltkriege und die Teilung der Stadt überlebte.

14 Jahre Alleinherrschaft

Wer hat Schuld an dem Desaster? Ganz klar: Der Winter - wenn es nach dem Unternehmen geht. Vereiste Weichen, eingefrorene Elektronik, winterbedingte Signal- und Türstörungen - da könne man nichts machen. Dabei verschweigt die S-Bahn aber allzu gerne, dass sie Weichen schlichtweg ungenügend heitzt und für die Behebung von Problemen zu wenig Personal und Arbeitsstätten besitzt. 2005 gab es in und um Berlin sieben S-Bahn-Werkstätten, drei hat der Betrieb seitdem geschlossen. Auch die Zahl der Arbeiter wurde stetig verringert. Da hilft es auch nichts, wenn die S-Bahn nun angibt, sieben Tage die Woche, tagein und tagaus, Antriebsstörungen an Elektronik und Motoren abzuarbeiten. Das Missmanagement ist unverkennbar, das Problem folgendes: Der Vertrag des Berliner Senats mit der S-Bahn Berlin GmbH gilt von 2003 bis 2017. Der Senat überschrieb dem Betrieb damit über 14 Jahre das Monopol für das städtische Streckennetz. Konkurrenten, die der S-Bahn die Strecke streitig machen und die Kunden zum Überlaufen bewegen könnten, gibt es nicht. Die Berliner sind auf die S-Bahn angewiesen - und ihr bedingungslos ausgeliefert. Und das noch für mindestens sechs Jahre.

Doch jetzt hat die Berliner Politik die Faxen dicke: Am 10. Januar soll Bahnchef Grube im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses den Parlamentariern Rede und Antwort stehen.