Mit ein bisschen Übung, sagt Robert Hinners, sei das Krabbenpulen ganz leicht: Man muss am Schwanz des Meerestieres ziehen und drehen, dann den Panzer drücken und den Kopf vom freigewordenen Fleisch abreißen. Die Handgriffe seien gar nicht schwierig - "vorausgesetzt, die Krabbe ist gut gekocht", sagt der Cuxhavener, der seit 40 Jahren in der Nordsee auf Fang geht und noch länger Krabben schält. Ohne Übung ist das aber ziemlich kniffelig: Die Tierchen sind so klein, dass sie immer wieder durch die Hände flutschen. Zahlreiche Tüftler haben schon versucht, Maschinen das Pulen beizubringen.
Die erste Schälfabrik Europas kommt
Ihre immer unterschiedlichen Größen und Formen haben die Krabben bislang davor bewahrt, dass Automaten ihnen zu Leibe rücken konnten. Doch im September wird die erste Schälfabrik Europas in Betrieb gehen, im Neuen Fischereihafen von Cuxhaven. "Die Zeit dafür ist reif", sagt Gregor Kucharewicz, Geschäftsführer des Krabbenschälzentrums. Wo jetzt noch Staub den Fliesenboden bedecken und Gabelstapler stehen, werden bald 24 Maschinen aus niederländischer Herstellung aufgebaut.
Die erste europäische Krabbenschälfabrik soll täglich bis zu 7,2 Tonnen Nordseegarnelen von deutschen, belgischen und niederländischen Fischern verarbeiten. Dazu werden die Krabben einzeln angesaugt und zusätzlich mit zwei Saugnäpfen in Position gehalten, so dass ein Messer den Panzer aufschlitzen kann und Bürsten das Fleisch vom Kopf trennen. Dieser Verarbeitungsprozess ist alles andere als neu und machte bislang nur durch eine hohe Ausschussquote von sich Reden. Die Niederländer scheinen den Vorgang aber perfektioniert zu haben. "Ich habe die Maschinen in Aktion gesehen und bin überzeugt, dass so viel Fleisch wie bei der Handpulung rauskommt", sagt Kucharewicz.
Die Verarbeitungsbedingungen im Krabbenbusiness ändern sich
Die Gesellschafter des Krabbenschälzentrums, die im Hintergrund bleiben wollen, glauben an die neuste Generation der Pulautomaten, aber auch an die veränderten Verarbeitungsbedingungen im Krabbenbusiness: Sie investieren 3,8 Millionen Euro. Hinzu kommen rund zwei Millionen Euro von der Hafengesellschaft NiedersachsenPorts für den Umbau der ehemaligen Fischhalle 12. 25 Prozent der Summe fördert die Europäische Union. Bis vor 20 Jahren wurden die Nordseegarnelen in Heimarbeit da gepult, wo Fischer wie Robert Hinners sie anlandeten. "Mit Heimentschälung wurde Geld verdient", erinnert sich der 62-Jährige. Seine Mutter habe sich in den 1950er Jahren jeden Morgen bis zu 30 Kilo vom Händler bringen lassen. Etwa fünf Stunden habe es gedauert, um zehn Kilo Krabbenfleisch zu gewinnen. "Und wenn wir ordentlich geschält haben, durften wir Kinder mitmachen", erzählt Hinners mit verschmitztem Stolz.
In den 1980er Jahren aber wurden die Hygienebedingungen für die Heimentschälung verschärft. Fortan reichte nicht mehr der Küchentischen als Arbeitsfläche, sondern es mussten gesonderte Räume mit Kühlanlage her. Angesichts dieser teuren Ausstattung gaben fast alle Heimpuler ihr Handwerk auf. "Die Masse an Schälern war nicht mehr zu bekommen, um den Fang zu verarbeiten", erinnert sich Rüdiger Kock, Ex-Deutschlandchef des niederländischen Großhändlers Heiploeg.
Diese Arbeit zu verlieren, darüber war mancher sicherlich nicht traurig. Krabbenpulen ist alles andere als eine aufregende Tätigkeit. Auch wenn es am Anfang schwierig ist: Nach ein paar Kilo beherrscht man die Handgriffe ganz sicher im Schlaf. So lernten auch die Fabrikarbeiter in Marokko und Polen schnell, die fortan die Krabben für die deutschen Großhändler pulten. Die karrten den Fang der Nordseefischer per Lkw tausende Kilometer hin und wieder zurück in die Supermärkte Westeuropas. Das dauert Wochen, die Krabben werden mit Konservierungsmittel versetzt.

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"Die Investition ist weggeschmissenes Geld"
Trotz der langen Transportwege war dieses Geschäft rentabel. Doch nun verlangen die Arbeiter in den Billiglohnländern höhere Bezahlung, und der Spritpreis scheint immer weiter zu steigen. Die Greetsieler Großhandlung De Beer, die zehn Prozent der deutschen Nordsee- Krabbenkutterflotte fischt, schreckt das nicht, Krabben weiterhin auf lange Reisen zu schicken. In der neuen Fabrik in Cuxhaven sehen die Greetsieler keine ernst zu nehmende Konkurrenz: "Die Investition ist weggeschmissenes Geld", meint Geschäftsführer Dirk de Beer. Er habe die Maschinen aus der niederländischen Produktion schon selbst getestet. "Wenn die neu sind, dann schälen die gut, aber nach ein paar Wochen gib es viel Ausschuss." Ganz so skeptisch sieht Krabbenfischer Hinners das Vorhaben in Cuxhaven nicht. Man könne nur abwarten, wie gut die Maschinen pulen werden: "Wir landen deshalb nicht mehr oder weniger Krabben an." Auch die Großhandlung Heiploeg, an die er seinen Fang verkauft, lässt in Marokko pulen. Tatsächlich wird ein Teil der 65 Mitarbeiter des Schälzentrums an Nachlesebändern beschäftigt sein, aber nicht mit Pulen, wie Geschäftsführer Kucharewicz versichert. Sie sollen lediglich Panzerreste aussortieren. Falls die Geräte doch einmal streiken sollten, kann Kucharewicz selbst einspringen. Er pult in einer Stunde immerhin ein halbes Kilo Krabben.