Terri Schiavo "Es war ihr Wunsch"

Der Fall Terri Schiavo, deren Mann die künstliche Ernährung stoppen ließ, wurde in den USA zum Politikum. Die Geschichte eines 15 Jahre langen Ringens um Leben und Tod - und um Geld.

Ihr Fall spaltet eine Familie, die amerikanische Nation und Teile der Welt. Für Terri Schiavo wurden beide Häuser des US-Kongresses zu nächtlichen Sondersitzungen einberufen, der Präsident der USA unterbrach seinen Urlaub und eilte aus Texas nach Washington zurück, um ein Eilgesetz zu unterzeichnen, der Vatikan schaltete sich ein. 19 Richter, bis hinauf zum Obersten Gerichtshof der USA, waren in den vergangenen sieben Jahren involviert. Dreimal wurde auf richterliche Anordnung die künstliche Ernährung eingestellt, zweimal wurde die Magensonde danach auf richterliche Anordnung wieder eingesetzt.

Am 18. März um ein Uhr mittags entfernten die Ärzte den Schlauch im Bauchnabel Terri Schiavos zum letzten Mal. Danach lag sie in ihrem Zimmer des "Hospice House Woodside" in Pinellas Park, Florida. Ihr Tod war jetzt nur noch eine Frage von Tagen.

Sie lag da im Wachkoma mit geöffneten Augen und totem Großhirn, wie seit 15 Jahren schon. Draußen vor dem Hospiz standen Hunderte von Demonstranten und forderten das Recht auf Leben. Und andere das Recht auf Tod. Terri wurde zum Spielball der Interessen. Selbst nach ihrem Tod wird sie weiterleben als Symbol einer erbitterten Debatte über Moral, Ethik und die Frage: Wann darf ein Mensch sterben?

Am 25. Februar 1990 bricht die damals 26 Jahre alte Terri Schiavo im Flur ihres Hauses in St. Petersburg, Florida, zusammen. Kaliummangel im Körper der jungen, an Bulimie erkrankten Frau führt zu einem zeitweiligen Herzstillstand, ihr Gehirn wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Ihr Mann Michael, den sie als 19-Jährige am College kennen lernte, findet sie bewusstlos. Er ruft den Notarzt, Terri kommt ins Krankenhaus. Michael verbringt 16 Tage und Nächte ununterbrochen an ihrem Bett. Einen Monat später schlägt sie die Augen auf. Und nimmt nichts mehr wahr. Die Diagnose lautet "persistent vegetative state", dauerhafter vegetativer Zustand.

Michael Schiavo

und Terris Eltern Robert und Mary Schindler kümmern sich jahrelang aufopferungsvoll um sie, wie Gerichtsakten belegen. Schiavo versteht sich blendend mit seinen Schwiegereltern, er nennt sie Mom und Dad, vor allem zu Terris Mutter hat er ein inniges Verhältnis. Er gibt seinen Job als Restaurant-Manager auf und besucht eine Krankenpfleger-Schule, um seine Frau besser versorgen zu können. Schiavo mietet ein Haus, groß genug für sich, die Schwiegereltern, die kranke Frau. Er zieht sie an, er schminkt sie, er trägt Parfüm auf.

Als er und die Schindlers von einer experimentellen Elektroden-Behandlungsmethode in Kalifornien hören, fliegen sie an die Westküste. Terri bleibt drei Monate in diesem Reha-Institut - aber es bringt nichts, sie reagiert auf keinerlei Stimuli. Die Ärzte werden im Lauf der folgenden Jahre immer wieder diagnostizieren, dass Terri Schiavos Hirnschäden irreparabel sind. Drei Jahre nach dem Zusammenbruch der Theresa Marie Schiavo kommt es zum Zerwürfnis in der Familie. Es geht um Geld.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Michael Schiavo hat einen Prozess gegen Terris Gynäkologen gewonnen, weil der ihren Kaliummangel nicht festgestellt hat. Die Schiavos erhalten insgesamt eine Million Dollar zugesprochen, 700 000 davon werden in einem Treuhandfonds für Terri festgelegt, 300 000 Dollar bekommt er. Das Geld ist bis auf einen kleinen Rest inzwischen aufgebraucht.

Am 14. Februar 1993, dem Valentinstag, streiten sich Michael und Terris Eltern im Krankenzimmer darüber, wie das Geld verwendet werden soll. Michael sagt später, dass Robert Schindler von der Zahlung etwas abhaben wollte. Die Schindlers behaupten, Schiavo habe die Summe nicht für weitere Therapien investieren wollen. Terri sitzt regungslos in ihrem Rollstuhl. Der Streit eskaliert, es wird laut, die Eltern stürmen aus dem Zimmer, Stühle fliegen. Es ist das letzte Mal, dass Michael Schiavo und die Schindlers miteinander reden. Sie tragen ihre Scharmützel fortan vor Gericht und über die Medien aus. Die Schindlers wollen ihrem Schwiegersohn die Vormundschaft über Terri entziehen lassen, scheitern aber.

Im Mai 1998 sagt Michael,

er wolle seine Frau in Würde sterben lassen. "Ich wollte nie, dass sie in diese Position kommt, es ist verdammt hart, ich habe viele Tränen vergossen. Aber es war ihr Wunsch, und ich werde diesen Wunsch erfüllen."

Einer der Zeugen für diesen Wunsch ist Michaels Bruder Scott. 1988 starb Schiavos unheilbar kranke Großmutter. Sie war bereits hirntot, Schläuche steckten in ihr, und sie wurde künstlich beatmet. Gegen ihren Willen. Die Ärzte hatten den Wunsch der alten Frau, nicht wiederbelebt zu werden, versehentlich ignoriert. Es war ein schrecklicher Anblick. Nach der Beerdigung soll Terri gesagt haben: "Nicht mit mir. Wenn ich jemals in diese Situation kommen sollte, zieh den Schlauch." Scott Schiavo hat dieses Gespräch vor Gericht bestätigt. Und Michael wiederholt es unentwegt: "Es ist ihr Wille."

Zu den Rätseln dieser Geschichte gehört, warum Michael Schiavo acht Jahre benötigte, um sich an Terris Wunsch zu erinnern. Sie hat nichts Schriftliches hinterlassen. Und wenn Michael danach gefragt wird, wie kürzlich bei einem seiner raren Fernsehauftritte, antwortet nicht er, sondern sein Rechtsanwalt George Felos: "Ich vermute, er hatte den verzweifelten Wunsch, dass es Terri besser gehen würde, obwohl ihm die Ärzte das Gegenteil bestätigten. Er weigerte sich, das zu glauben. Und es brauchte viele Jahre, bis er die Realität akzeptierte." Schiavo, ein zurückhaltender Mann mit ruhiger Stimme, sitzt daneben und nickt stumm.

Michael Schiavo lebt seit einigen Jahren mit seiner Freundin Jodi Centonze zusammen, er hat einen Sohn und eine Tochter mit ihr. Er wird bedroht, ein Mann aus North Carolina setzte eine Prämie von 250 000 Dollar auf seinen Kopf aus, sein Haus wird von Demonstranten belagert, "Mörder" steht auf ihren Plakaten. Er hätte es leichter haben können. Er hätte sich scheiden lassen und den Schindlers die Vormundschaft überlassen können. Er hätte reich werden können dabei. Der kalifornische Geschäftsmann Ron Herring bot ihm eine Million Dollar, wenn er seine Frau nur leben ließe.

Auch die Schindlers

ließen nichts unversucht. Veröffentlichten Videobänder, die auf allen Sendern liefen. Auf manchen sah es beinahe so aus, als reagierte die Tochter auf Ansprache. Doch es sind Zusammenschnitte aus vielen Stunden Material. Robert und Mary Schindler halten Lächeln, Röcheln und Augenbewegungen für den Beweis, dass das Gehirn ihrer Tochter partiell eben doch noch funktionierte. Sie präsentierten eine Reihe von Ärzten, die ihre Meinung teilen, zuletzt den christlichen Neurologen William Cheshire, der Terri "wenigstens minimalen Bewusstseinsstatus" attestierte, obwohl er sie nie untersucht hat.

Erzkonservative Gruppen wie der Family Research Council, die vehement die Todesstrafe verteidigen, geißelten das Urteil zur Einstellung der Ernährung als Todesstrafe. Theresa Marie Schiavo sterbe "so unschuldig wie Jesus Christus, zum Tode verurteilt, die Parallelen sind offensichtlich", behaupteten die Demonstranten zu Ostern.

Die Bundesrichter entschieden für Michael Schiavo. Dass aber Präsident Bush mit der Unterzeichnung des Sondergesetzes den Schindlers überhaupt ermöglicht hatte, diese bis dahin nicht zuständigen Instanzen anzurufen, war für die Christliche Rechte ein Signal. Ein Dankeschön für ihre Stimmen - von einem Mann, der als Gouverneur von Texas einst ein Gesetz durchbrachte, das es Kliniken gestattet, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen, wenn Patienten nicht in der Lage sind, für die Kosten aufzukommen.

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Michael Streck

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