Sie wissen viel über uns, wenn nicht alles. Sie sitzen uns gegenüber und schauen, freundlich meist, aber sie schweigen. Ganz gleich, was wir ihnen erzählen, sie nehmen es hin. Nicken oder stellen eine Frage, leichthin, und nicht selten führt uns unsere Antwort dorthin, wo wir gar nicht hinwollen. Und während wir immer mehr von uns zeigen, bleiben unsere Therapeutinnen und Therapeuten unbekannte Wesen. Wenig bleibt uns, um sie zu entschlüsseln. Ihre Kleidung. Die Auswahl und Anordnung ihrer Möbel. Die Buchtitel in den Regalen, die Zeitschriften im Wartezimmer, falls es eines gibt. Und natürlich die Bilder an den Wänden, wenn sich da mal jemand etwas getraut hat.
Vor hundert Jahren trugen sie Kittel. Heute kann es schon mal sein, dass wir einen im japanischen Stil angelegten Vorgarten durchqueren müssen, um an einer Doppelhaushälfte zu klingeln: Zur Praxis bitte in den ersten Stock. Das mag bürgerlich nah wirken, trotzdem werden wir der Therapeuten nur schwer habhaft. Es gibt zu wenige von ihnen. Ihre Namen stehen auf hausärztlichen Listen, die wir meist vergeblich abtelefonieren. Ausgebucht sind sie oder behandeln nur Privatpatienten. Glücklich ist also, wer es bis in eine Praxis hineingeschafft hat und regelmäßig wiederkehren darf. Die einzige Verabredung, zu der wir pünktlich erscheinen, nicht zu früh klingeln (bitte nicht!).
Ob sich Therapeuten auch mal langweilen?
Ihre Aufgabe ist das Zuhören. Was sie denken, wenn wir ihnen vom Liebeskummer erzählen, vom Vater, der die Familie tyrannisierte oder einer Krebserkrankung, bleibt uns verborgen. Ob sie sich zwischen all dem Elend auch mal langweilen? Ob sie sich fragen, warum wir nicht mal Geld in neue Schuhe investieren und die Haare so selten waschen? Ob sie verzweifeln, wenn wir an unseren schlechten Erfahrungen kleben wie Fliegen an gelbem Klebeband und sich innerlich zuflüstern: Es ist nur ein Job, es ist nur ein Job, ein Job?
Wir haben Therapeutinnen und Therapeuten nach den Gedanken gefragt, die sie durch ihre Sitzungen tragen. Wir haben sie gefragt, wie es ihnen gelingt, durchzuhalten, Kraft zu schöpfen, Nerven zu behalten. Vielleicht können wir etwas von ihren Leitsätzen lernen? Vielleicht können wir unsere zwischenmenschlichen Fähigkeiten verbessern, wenn wir ihre Hacks verinnerlichen? Ihre Antworten lassen uns durch ihre Schlüssellöcher blicken und ein klein wenig auch in ihre Köpfe.