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Dieser 1. Mai 2023 soll einen Neuanfang markieren für Magdalena Mucutuy und ihre vier Kinder vom Volk der Witoto. Schon vor Tagen haben sie ihr Amazonasdorf Puerto Zábalo mit dem Boot verlassen und machen sich nun, an diesem bewölkten Montagmorgen, auf den Weg nach Bogotá, in die Hauptstadt Kolumbiens. Mucutuy will zu ihrem Mann Manuel Ranoque, der bereits zwei Wochen zuvor geflohen ist.
Beide arbeiteten zuletzt gezwungenermaßen als Marihuana-Kuriere für die Mafia und mussten gleichzeitig Schutzgelder an die Guerilla zahlen – eine nicht seltene Konstellation in diesem abgelegenen Teil Kolumbiens. Zudem hatten sie Angst, dass Lesly, die älteste Tochter, 13, Opfer einer Zwangsrekrutierung durch die Guerilla werden könnte – auch das eine verbreitete Gefahr in dieser rechtlosen Gegend.
So lassen die Eltern nach mehr als 30 Jahren im Amazonas alles zurück. Ihre Hütte, die Mais- und Maniokfelder und ihren geliebten Regenwald, der sie so vieles gelehrt hat: das Fischen und Jagen, das Wissen, welche wilden Pflanzen und Samen essbar sind, die Spiritualität jedes Baumes und die Furcht vor den "Duendes", den Geistern des Waldes.
Um 6.20 Uhr steigt Mucutuy, 34, mit ihren Kindern in Araracuara, dem nächsten Ort mit einer Landebahn, in ein Charterflugzeug der Firma Avianline, die bereits mehrfach Maschinenprobleme gehabt hat. Sie wollen zunächst nach San José del Guaviare fliegen, 350 Kilometer nördlich, wo es Anschluss ans Straßennetz gibt. Auf Magdalenas Schoß sitzt die kleine Cristin, gerade elf Monate alt. Daneben Tien, der einzige Sohn, der in einer Woche fünf wird. Dahinter, in gepolsterten Ledersitzen, die Töchter Soleiny, 9, und Lesly, 13, beide zurückhaltend und wohlgenährt, eine Tatsache, die ihnen später von Nutzen sein wird.