Kate Felt war 20 Jahre alt, als der bekannte Yoga-Guru Yogi Bhajan sie brutal vergewaltigt haben soll. Als die junge Frau Widerstand leistete, soll er sie geschlagen und auf ihre Lippen gebissen haben. "Ich hatte viele Blutergüsse an meinen Oberschenkeln und war sehr wund", erinnert sie sich etliche Jahre später in einem Interview an den Vorfall. "Es war so schockierend, weil ich dachte, er wäre mein Gott."
Das Schicksal von Kate Felt teilen zahlreiche Yoga-Anhängerinnen. #Metoo hat die Szene längst erreicht. Bereits in den 1980er und 1990er-Jahren haben Frauen Vorwürfe gegen Gurus und Lehrer erhoben, doch erst die Sozialen Netzwerke haben es Opfern ermöglicht, ihre Geschichten mit einer Vielzahl von Menschen zu teilen. Das hat auch das Ausmaß gezeigt, dass #Metoo im Yoga über die Jahre angenommen hat.
Yoga als destruktiver Kult
Im Mittelpunkt der Anschuldigungen stehen vor allem populäre Lehrer, die ganze Yoga-Stile begründete haben und von ihren Schülern als Guru, als eine Art göttliches Wesen, verehrt werden. Yogi Bhajan ist einer davon. Er brachte Kundalini-Yoga, eine Yoga-Richtung, die den Fokus auf die geistigen und spirituellen Aspekte der Praxis liegt, in den Westen. Kundalini entwickelte sich zu einem beliebten Yoga-Stil, der Millionen Anhänger zählt.
Mitarbeiter und Yoga-Schüler, die in engem Kontakt mit dem 2004 verstorbenen Guru standen, berichten von einem destruktiven Kult. Bhajan sei einerseits als liebevolle Vaterfigur aufgetreten, habe andererseits aber seine Anhänger systematisch manipuliert und geistige sowie körperliche Kontrolle über diese ausgeübt. Kate Felt erzählt im "Guru Magazin" von wiederholten Übergriffen. "Es war jedes Mal grotesker", sagt sie.
Verschleierung und Bedrohung
Die langjährige Sekretärin des Gurus, Pamela Dyson, soll Ähnliches erlebt haben. In ihrem 2020 erschienen Buch schreibt sie von 20 Jahren sexuellem und emotionalem Missbrauch. Als sie schwanger wurde, soll der Guru sie zu einer Abtreibung gezwungen haben. Die Veröffentlichung ihres Buches trat eine Welle an Anschuldigungen los. Hunderte Frauen erhoben Vorwürfe gegen den Guru. Dessen Taten seien innerhalb der Kundalini-Organisation schon lange bekannt gewesen. Hochrangiges Personal habe aber immer wieder versucht, die Vorwürfe im Keim zu ersticken. Einige Anhänger – wie auch Kate Felt – seien sogar bedroht worden.
Die Siri Singh Sahib Corporation (SSSC), eine Dachorganisation, die alle Besitztümer von Bhajans Nachlass überwacht, stieß daraufhin unabhängige Ermittlungen an. Die Organisation "An Olive Branch", die ethisches Fehlverhalten in spirituellen Gemeinden untersucht, kam zu dem Schluss, dass die Vorwürfe – Vergewaltigung, Körperverletzung beim Sex, ungewollte Berührung im Intimbereich – wohl zutreffen.
Hype um Bikram-Yoga
Der berüchtigtste Täter in der Yoga-Szene ist Bikram Choudhury, Erfinder des Bikram-Yoga. Seine Methode kombiniert 26 Körperhaltungen und zwei Atemübungen in einem 40 Grad heißen Raum. Der Hype in den USA um seinen Yoga-Stil machte den Inder zum Multimillionär. Wer das schweißtreibende Workout unterrichten will, muss sich einer neunwöchigen Ausbildung unterziehen, die rund 10.000 Dollar kostet. Nach Angaben von "Vanity Fair" nahm der Guru allein mit zwei Ausbildungscamps im Jahr acht Millionen Dollar ein.
Besonders – aber nicht nur – bei diesen Ausbildungen soll es zu sexuellen Belästigungen gekommen sein. Seine Schüler verehrten Bikram, verneigten sich vor ihm und massierten ihn. Wenn er einzelnen Frauen seine Aufmerksamkeit schenkte, fühlten diese sich zunächst geschmeichelt. Aus anfänglichen Komplimenten seien dann aber schnell körperliche Übergriffe geworden. Sarah Baughn, eine junge Yogalehrerin, berichtet in der "Vanity Fair", wie der Guru sie an eine Wand gepresst und begrapscht habe.
Mehrere Frauen, darunter Larissa Anderson, seien von Bikram vergewaltigt worden. Bis die Öffentlichkeit davon erfuhr, vergingen Jahre. Die Lehrerinnen hingen von dem Guru ab. Ohne seine Ausbildung und seine Einwilligung durften sie selbst kein Bikram-Yoga lehren. Seine spezielle Bewegungsabfolge ließ der Inder sogar markenrechtlich schützen.
Der Guru soll den Schülern im Yoga "Erleuchtung" und spirituelle Heilung bringen, er gilt als unantastbar. Trotzdem klagten insgesamt sechs Frauen gegen Bikram. Über den Prozess berichteten unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Wegen sexueller Belästigung, sexuellen Übergriffen und Diskriminierung wurde der Guru zu mehr als sechs Millionen Dollar Strafe verurteilt. Diese habe er nie gezahlt, da er unmittelbar danach das Land verließ. Mittlerweile wird Bikram per Haftbefehl gesucht.
Weihe des Gurus im Sivananda-Yoga
Kaum Aufklärung hingegen gab es im Fall von Swami Vishnudevananda. Er rief Sivananda-Yoga ins Leben. Eine Serie von zwölf leicht verständlichen Körperhaltungen, die die weitere Entwicklung und den Aufschwung der Yoga-Szene deutlich vorantrieben. Die Sivananda-Organisation unterhält nach Angaben der "Zeit" elf Ashrams in acht Ländern, sowie 71 weitere Zentren in mehr als 26 Ländern.
Die Yoga-Richtung hat einen traditionellen, religiösen Anstrich. Die Weihe des Gurus gilt laut einem Bericht des NDR als erstrebenswertes Ziel. Dieser ist eigentlich zum Zölibat verpflichtet. Eine Regel, die Vishnudevananda offensichtlich nicht interessierte. Julie Salter, die elf Jahre lang als seine persönliche Assistentin tätig war, teilte 2019 ihre Geschichte bei Facebook. Mehr als drei Jahre soll der Lehrer sie sexuell missbraucht haben. "Nacht für Nacht wurden Grenzen überschritten", erzählt sie in einem Gespräch mit dem NDR.
Yoga als "Geschäftsmodell, das sauber bleiben muss"
Jahrzehntelange sei sie von Schuldgefühlen geplagt worden. In der "Zeit" spricht die Kanadierin von einem "Zustand der tiefen Scham, der seelischen Qual und der Angst". Auf ihren Post hin meldeten sich weitere Opfer. Die Vorwürfe richten sich nicht allein gegen den 1993 verstorbenen Guru, sondern gegen weitere, hochrangige Mitglieder der Sivananda-Organisation. Der Vorstand soll schon lange von den Taten gewusst haben.
Julie Salter wandte sich 2007 bereits an die Verantwortlichen. Wie die "Zeit" berichtet, sei der Kanadierin damals eine Verleumdungsklage angedroht worden. Ein Muster, das sich durch alle Yoga-Richtungen zieht: Vorwürfe und Kritik werden sofort unter den Teppich gekehrt. Schließlich sei Yoga ein "Geschäftsmodell, das sauber bleiben muss". So beschreibt es die "Süddeutsche Zeitung". Das Blatt zitiert dazu auch eine Anwältin. "Oft führt Fehlverhalten an der Spitze dazu, dass das Ignorieren von sexueller Gewalt und das Mundtotmachen von Frauen geduldet wird", sagt die Juristin.
Untersuchung wird abgebrochen
Nachdem der Facebook-Post die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt hatte, zeigte die Organisation sich reumütig und kündigte eine interne Untersuchung an – die jedoch im März 2020 schon zum Erliegen kam. Grund dafür sei laut einem Statement auf der Webseite die Pandemie. Sowohl im NDR als auch in der "Zeit" erzählen Sivananda-Anhänger davon, dass man in den jeweiligen Zentren und Ashrams versucht habe, Salter zu diskreditieren und die Anschuldigungen herabzuspielen.
Nach wie vor werde Vishnudevananda als eine Art Heiliger verehrt. Diejenigen Anhänger, die auf eine Aufklärung beharren, haben sich als "Project Satya“ zusammengetan, um Geld für eine unabhängige Untersuchung zu sammeln. Oft dauert es Jahre, bis die Opfer sich von der Yoga-Community und dem Guru lösen können. Merkmale, die auch Sekten kennzeichnen. Dass Kritiker der Lüge bezichtigt werden, sei laut einem Artikel im "Guardian" "eine Schlüsseldynamik, die es zu einer Sekte macht". Aus Angst vor der Ächtung der Gemeinschaft schweigen viele Opfer.
Ein weiteres Problem sei, dass Yoga-Anhänger oft in schweren Lebensphasen erstmals mit der Praxis in Kontakt kommen, da sie im Yoga nach Heilung suchen. Solche Menschen seien besonders vulnerabel und binden sich häufig an einen bestimmten Lehrer, mit dessen Unterricht sie sich identifizieren können. "Ich fürchte, das ist Teil des Problems", sagt eine Berliner Yogalehrerin im Gespräch mit der "Zeit".
Übergriffe im Ashtanga-Yoga
Die spirituelle Autorität und den Status als Guru soll auch K. Pattabhi Jois schamlos ausgenutzt haben. Der Yoga-Lehrer gilt als Mit-Begründer der Ashtanga-Methode und hat diesen körperlich fordernden Yoga-Stil im Westen verbreitet. Üblicherweise korrigieren Ashtanga-Lehrer im Unterricht die Haltungen der Schüler oder helfen ihnen, in die komplexen Posen hineinzufinden. Jois soll dabei nicht nur rücksichtslos und rabiat vorgegangen sein, sondern die körperliche Nähe auch für sexuelle Übergriffe ausgenutzt haben.
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, soll der Guru den Schülerinnen immer wieder an die Brüste und Genitalien gefasst oder seinen Unterleib auf die Frauen gepresst haben. Das kanadische Magazin "The Walrus" lässt in einem ausführlichen Artikel mehrere ehemalige Anhänger des mittlerweile verstorbenen Jois zu Wort kommen. Michaelle Edwards beschreibt ein Szenario, bei dem der Guru wiederholt unter die Hüften gegriffen und sie angefasst habe. Versuche, ihn abzuschütteln seien erfolglos gewesen.
Die Ashtanga-Anhänger behandelten ihn trotzdem "als ob er eine Art Gottheit wäre", so Edwards. Von sexueller Belästigung habe die Community lange nicht wissen wollen. Die kollektive Verschwiegenheit hätten die jahrzehntelangen Übergriffe erst ermöglicht. Zudem herrsche – nicht nur im Ashtanga – die Meinung, dass der Lehrer den Körper des Übenden besser kenne als der Schüler selbst. Hilfestellung vom Guru persönlich zu erhalten, sei als eine Ehre angesehen worden.
Überwindung des Ego als höchstes Ziel im Yoga
"Anders als bei den #MeToo-Fällen aus der Entertainment-Welt ist der Grad an Rechtfertigung und Verspiritualisierung von Missbrauch einzigartig", sagt der kanadische Sekten-Experte Matthew Remski. Berührungen des Lehrers würden zu einer Art spiritueller Belohnung umgedeutet. Die Hingabe zum Yoga verschmelze mit körperlicher Unterwerfung. Im Zuge dessen werden sexuelle Übergriffe normalisiert, als "Gehirnwäsche", bezeichnet es der "Guardian".
Ein weiteres Problem: Im Yoga gilt die Überwindung des Egos und die Befreiung von negativem Karma als höchstes Ziel. Das spielt den Tätern in die Hände. Das Argument, der Schüler müsse sich unterwerfen und Schaden zulassen, um "spirituelle Heilung" zu erfahren, ist von all den populären Gurus als Rechtfertigung für die Übergriffe genannt worden. "Ich komme nur einer Verpflichtung nach, um dich von vergangenem Karma zu reinigen", soll Yogi Bhajan beispielsweise einem seiner Opfer eingetrichtert haben. Die Angst vor negativen, spirituellen Konsequenzen, gepaart mit der Furcht, von der Gemeinde verstoßen zu werden, sorgen dafür, dass viele Frauen sich jahrelang dem Willen des Gurus fügen.
Verhaltenskodex für Yogalehrer
Solche Bindungen seien typisch für das Verhältnis zwischen charismatischen, aber totalitären Führern und deren Anhängerschaft. Eine Person, die in einer solchen Bindung gefangen sei, könne nicht mehr logisch denken und die Situation nicht mehr auflösen, erklärt die britische Autorin Alexandra Stein, die sich mit den sozialpsychologischen Mechanismen von Kult-Strukturen befasst, in der "Süddeutschen Zeitung". Die Vorfälle zeigen, dass Machtmissbrauch auch in dieser vermeintlich friedlichen Szene alles andere als eine Seltenheit ist.
Mit Yoga zu mehr Stärke und Kraft: Wetten, dass dich diese Übungen ins Schwitzen bringen?
Stehe aufrecht mit den Füßen hüftbreit auseinander, atme ein, während du die Hände vor dem Herzen zusammen nimmst. Spanne deine Körpermitte an und rolle die Schultern nach hinten. Atme ruhig und kontrolliert wieder aus. Diese Übung dient dem innerlichen Sammeln. Bereite dich innerlich auf deine Yoga-Session vor, komm erstmal auf deiner Matte an. Spüren und Wahrnehmen sind angesagt – jetzt ist nichts anderes wichtig als du und diese Zeit für dich.
Dabei sind es nicht nur die berühmten Gurus, die ihre Rolle als spirituelle Führer missbrauchen. Oft geschehen sexuelle Übergriffe auch in kleineren Yogaschulen und Studios. Yoga Alliance, der weltweit größte Yogaverband, der versucht, einheitliche Standards zu etablieren, hat das Verbot jeglichen sexuellen Fehlverhaltens in einem Verhaltenskodex verankert. Opfer können sich bei direkt bei der Organisation melden und über einen persönlichen Bericht eine Untersuchung anstoßen.
Quellen: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Guardian", "Guru Magazine", "Vanity Fair", "Yoga Journal", "Sivananda.org", "Süddeutsche Zeitung" (I), "Süddeutsche Zeitung" (II), "Zeit", Yoga Alliance