Ratte und Maus teilen sich im Chinesischen ein Schriftzeichen: Shu. Schließlich gelten beide Tiere als wendig, anpassungsfähig und vermehrungsfreudig. Im chinesischen Tierkreis werden dem Tier außerdem die Eigenschaften reich und schlau bis hin zur Verschlagenheit zugeschrieben. Grundsätzlich aber gilt das Jahr der Ratte als ein gutes: Es wird, wenn es dann offiziell am 25. Januar beginnt, Reichtum und Fruchtbarkeit bringen. Doch bevor sich die Chinesen an die Arbeit machen, steht das Land zunächst einmal still. Zwischen dem 24. Januar und dem 1. Februar fällt das gesamte Land in eine Art Winterschlaf.
Halb China ist dieser Tage unterwegs
Schon jetzt sind die Straßen Shanghais fast menschenleer. Staus kommen nur noch selten vor. Die ersten Restaurants haben bereits geschlossen. Denn was folgt, ist offiziell die größte Migrationsbewegung des Planeten. Schon Anfang Januar teilte das chinesische Verkehrsministerium mit, es habe 600 Millionen Flug- und Zugtickets verkauft. Bedeutsam ist das Fest vor allem für die rund 300 Millionen Wanderarbeiter. Viele von ihnen sehen ihre Kinder nur ein- oder zweimal im Jahr.
Huang Shuanghong zum Beispiel arbeitet seit 15 Jahren in Shanghai als Wachmann. "Normalerweise arbeite ich zwölf Stunden am Tag", sagt der 47-jährige. "Das Frühlingsfest ist mein einziger bezahlter Urlaub." Huang stammt aus einem kleinen Dorf in der Provinz Anhui, aus der viele der Wanderarbeiter Shanghais kommen. Zwar verbindet das ultramoderne Hochgeschwindigkeitszugnetz mittlerweile alle chinesischen Metropolen miteinander, doch um in sein Heimatdorf zu gelangen, muss Shuang nochmals ein paar Stunden mit einem Bus fahren. Dort wird er seine beiden Töchter wiedersehen. "Unser Dorf hat vielleicht 100 Haushalte", sagt er. "Und über das Frühlingsfest kommen alle nach Hause – sonst ist es eigentlich leer dort."
Noch immer ist China durch ein rigides Meldesystem, das Hukou-System, gespalten. Wer auf dem Land geboren ist, bleibt sein Leben lang auch dort gemeldet. Nur über Umwege kann er offiziell ein Stadt-Hukou erhalten. Daran aber gebunden sind diverse Sozialleistungen, vor allem das Privileg, seine Kinder in der Stadt einzuschulen. Millionen von Wanderarbeitern sehen sich deshalb gezwungen, ihre Kinder auf dem Land zurückzulassen, wo sie von deren Großeltern aufgezogen werden, und zur Schule gehen. "Wenn Du bereit bist, hart zu arbeiten, kannst Du noch immer sehr viel Geld verdienen in Shanghai", sagt Chao Laijing. Der 52-jährige Straßenkehrer lebt mit seiner Frau in Shanghai seit 15 Jahren in Shanghai. Zurück in ihr Heimatdorf in der Provinz Jiangsu wollen sie erst, wenn sie zu alt zum Arbeiten sind. "Wir verdienen hier fünf Mal so viel wie auf dem Land", sagt er.
Runde 300 Menschen mit Coronavirus infiziert
Das chinesische Jahr richtet sich nach dem Mondkalender und beginnt deswegen nie am exakt selben Datum statt. Dieses Jahr startet relativ früh. Das macht dem Land zu schaffen. Denn ausgerechnet jetzt breitet sich das neue Coronavirus aus.
Anfang Dezember wurden erstmals Patienten mit Atembeschwerden in ein Krankenhaus in Wuhan, Zentralchina, eingeliefert. Am Dienstag wurde nun der vierte Todesfall bekanntgegeben. Mehrere Wochen war dann von rund 150 Infizierten die Rede, bis die Zahl am Wochenende sprunghaft anstieg. Insgesamt sollen sich jetzt 291 Menschen mit dem Erreger infiziert haben. Die meisten von ihnen in der Elf-Millionenstadt Wuhan. Mittlerweile aber wurden auch Fälle in Thailand, Japan und Südkorea bekannt.
Das versetzt nicht nur die chinesische Regierung, sondern den gesamten asiatischen Raum in Alarmbereitschaft. Anders als die Millionen Wanderarbeiter nämlich zieht es die neue chinesische Mittelschicht während des Neujahrsfests vor allem ins benachbarte asiatische Ausland. Das China Outbound Tourism Research Institute rechnet mit sieben Millionen Auslandsreisen während der Ferienwoche. In Thailand beispielsweise verdoppeln sich in dieser Zeit die Hotelpreise gerne einmal.
Noch immer ist das Virus nicht identifiziert. Als gesichert gilt mittlerweile, dass es auf dem Fischmarkt von Wuhan vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist und nun von Mensch zu Mensch übertragen wird. 15 Krankenhaus-Mitarbeiter haben sich bereits infiziert. Der Erreger ähnelt dem Sars-Virus und weckt unangenehme Erinnerungen. Die Sars-Pandemie 2003 kostete 800 Menschen das Leben und hatte gravierende wirtschaftliche Folgen für die Region. Der Tourismus kam fast vollständig zum Erliegen.
Die Weltgesundheitsorganisation hat bisher noch keine Reisewarnung ausgegeben. Allerdings haben zahlreiche Flughäfen in den USA und in der Region damit begonnen, Passagiere aus China zu untersuchen. Die Symptome sind meist Fieber und Atembeschwerden – und damit kaum von einer normalen Grippe zu unterscheiden.
Mittlerweile reagieren auch die Märkte in der Region. Der Hang-Seng-Index in Hongkong verlor am Mittwoch mehr als zwei Prozent.