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Steinzeit-Diät Schlank und gesund durch reichlich Fleisch?

Rasant verbreitet sich die These, Eiweiße seien der Schlüssel zur Traumfigur. Schließlich seien unsere Gene auf die Kost der Steinzeit optimiert, als die Menschen viel Tierisches und wenig Körner zu beißen bekamen. Das klingt logisch. Ist es aber nicht.
Von Kirsten Milhan

Wer soll sich da noch zurechtfinden zwischen den sich widersprechenden Diätempfehlungen von Ernährungswissenschaftlern? Bis vor einigen Jahren hieß es: Fett macht fett, wer schlank werden oder bleiben will, setze vor allem auf Kohlenhydrate. Dann wurde Fett rehabilitiert, stattdessen sollte man besser bei Kohlenhydraten knausern. Und seit einigen Monaten verbreitet sich rasant die These, Eiweiße seien der Schlüssel zur Traumfigur.

Wer mehr Fleisch isst, lebt gesünder und verliert obendrein Pfunde, sagen die Protagonisten des aus den USA stammenden neuen Ernährungstrends, Boyd Eaton von der Emory University in Atlanta und Loren Cordain von der Colorado State University. Ihre Begründung: Die menschlichen Gene seien auf das heutige Essensangebot im Überfluss schlecht vorbereitet. Vielmehr funktionierten sie noch so, als wäre es Steinzeit. Damals hätten die Menschen weder Tiere gemolken noch Getreide angebaut. Und deshalb käme ihr Organismus mit den vielen Kohlenhydraten und Ballaststoffen nur schwer zurecht, die vor allem in Mehl-, Stärke- und Süßspeisen stecken und in Milchprodukten wie Käse und Joghurt. Fleisch hingegen sei schon Hunderttausende von Jahren fester Bestandteil der Nahrung und daher Gen-gerechter als das Körnerfutter von heute. Zurück zu den Wurzeln, propagierte auch Nicolai Worm, der bekannteste deutsche Verfechter der "Steinzeitdiät": Esst, was eure Ahnen aßen, esst mehr Fleisch.

Hochwertige Proteine von Fleisch und Fisch

Die neue Trendkost hat eine gesunde Basis: reichlich Obst und Gemüse, dazu viele Nüsse und Pilze. Milchprodukte und kohlenhydratreiche Ballaststoffe sollen eher sparsam auf den Teller kommen, dafür reichlich Proteine, am besten hochwertige von Fleisch und Fisch.

Keine Frage, Eiweiß ist ein äußerst wichtiger Baustoff für den Körper. Um Zellen, Haut, Haare, Muskelfasern, Knochen, Hormone und Blut herzustellen, braucht er Proteine aus der Nahrung. Aber die bekommt er nicht nur aus Fleisch, sondern auch aus Milch und Eiern. Und viele Pflanzen liefern ebenfalls Eiweiß, zum Beispiel Mais, Soja und Bohnen. Selbst wer sich rein vegetarisch ernährt, kann deshalb seinen Proteinbedarf decken.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt einem 70 Kilogramm schweren Menschen den Verzehr von 56 Gramm Eiweiß täglich aus Fleisch, Wurst, Bohnen, Soja, Milch oder Käse - nach der Formel 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht. Einen etwas höheren Bedarf sieht die DGE bei Kindern, da sie wachsen, bei Schwangeren und bei stillenden Müttern, deren Körper aus jeweils zwei Gramm körpereigenem Eiweiß ein Gramm Milcheiweiß herstellen muss.

Die Menschen essen zuviel Eiweiß

Tatsächlich essen die Menschen hierzulande weit mehr Eiweiß: Ein männlicher Erwachsener verzehrt durchschnittlich 100 Gramm am Tag, bis zu 60 Prozent davon aus tierischen Quellen.

Die Steinzeitdiät empfiehlt nun einen noch höheren Wert: Bis zu 35 Prozent des gesamten Energiebedarfs solle mit Proteinen gedeckt werden, das entspreche umgerechnet rund 130 Gramm Proteinen von Fleisch, Fisch und anderen eiweißreichen Produkten täglich. Doch wie überzeugend ist die Steinzeitdiät?

Es gibt gewichtige Argumente, die gegen das Konzept sprechen:

> Der Mensch in der modernen Zivilisation benötigt viel weniger Energie als ein Mammutjäger. "Energetisch gesehen, haben unsere jagenden und sammelnden Vorfahren sogar 40 bis 50 Prozent mehr Kalorien aufgenommen als wir", sagt Hannelore Daniel, Professorin für Ernährungsphysiologie am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Doch selbst, wenn die Gene in den vergangenen 10.000 Jahren fast unverändert geblieben sind - die Lebensweise in den Industrieländern ist eine völlig andere. Der moderne Mensch erlegt sein Essen nicht selbst und hockt nicht bei Eiseskälte in zugigen Höhlen. Stattdessen sitzt er in der Regel im Warmen und bewegt sich wenig. Deshalb braucht er deutlich weniger Kalorien, um beispielsweise seine Körpertemperatur aufrechtzuerhalten - und damit einen anderen Ernährungsmix. > Deutschland lebt im Überfluss. Nahrung steht jederzeit und in Massen zur Verfügung. Unter diesen Bedingungen nimmt der Durchschnittsesser nicht nur viel Eiweiß zu sich, sondern auch deutlich mehr schlechte Fette und Zucker als einst die Jäger und Sammler. Dadurch belastet er seinen Körper viel stärker, als es unsere Ahnen taten. Zudem muss der moderne Mensch aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung fast dreimal so lange durchhalten wie der Körper eines Steinzeitmenschen. > Die Menschen in der Steinzeit aßen höchstwahrscheinlich gar nicht so viel Fleisch, wie Verfechter der Steinzeitdiät behaupten. 788 Gramm am Tag soll ein Mammutjäger verdrückt haben, errechnete Boyd Eaton. Diese exakte Mengenangabe stützt sich allerdings auf nicht mehr als ein paar Knochenfunde und Beobachtungen an sechs Naturvölkern.

Entsprechend umstritten ist Eatons These unter Experten. Viele halten es für unwahrscheinlich, dass ein Jäger solche Mengen Wild für sich und die Seinen erjagen konnte. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der frühe Mensch im Gegenteil ein Hungerkünstler war. "Vermutlich bekam er mitunter Tage oder Monate nichts Tierisches zwischen die Zähne und musste daher oft mit nährstoffärmerer Kost vorlieb nehmen - trotz gleich bleibendem Energieverbrauch", sagt Ernährungsexpertin Daniel. In Mangelzeiten ging sein Körper deshalb an seine Reserven, die er dann beim nächsten Schlachtfest wieder auffüllte.

Es gab keine typische steinzeitliche Ernährung

Es gab weder einen typischen Steinzeitmenschen noch eine typische steinzeitliche Ernährung. Der frühe Mensch hat sich verschiedensten Lebensräumen angepasst, vom tropischen Regenwald über die Wüste bis zur Arktis. Esskultur war demnach nicht nur eine Frage der Gene, sondern auch des Nahrungsangebots und der Erfordernisse der jeweiligen Umgebung.

Wie unterschiedlich die sind, zeigen die Ernährungsgewohnheiten noch traditionell lebender Naturvölker. Tierische Proteine stehen zwar in allen Kulturen dieser Welt auf dem Speisezettel - aber in sehr unterschiedlichen Mengen. So decken etwa die !Kung, Ureinwohner der Kalahari-Wüste in Afrika, und die Indigenas in den Andenregionen Kolumbiens ihren Proteinbedarf vornehmlich durch pflanzliche Lebensmittel. In der Küche der Inuit in den Polarregionen Alaskas hingegen spielt tierisches Eiweiß eine Hauptrolle. Schließlich wachsen im ewigen Eis keine Pflanzen - und Fleisch liefert den Menschen dort zudem schnell und effizient Energie, damit sie bei minus 30 Grad Celsius ihre Körpertemperatur aufrechterhalten können.

Nicht nur angesichts der angreifbaren Argumente der Befürworter der Steinzeitdiät raten viele Ernährungswissenschaftler davon ab, dem ausgerufenen Trend zu folgen. "Sondern auch, weil die Proteinzufuhr in Deutschland bereits doppelt bis dreimal so hoch ist, wie der Mensch benötigt", sagt Hannelore Daniel.

Abbauprodukte von Eiweiß begünstigen Arteriosklerose

Das hat gesundheitliche Konsequenzen. Denn die Abbauprodukte von Eiweiß begünstigen die Entstehung von Arteriosklerose und werden hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden - aber nicht in unbegrenzter Menge. Wer zu viel Protein isst, riskiert, seinen Körper mit Harnstoff, Harnsäure und Schwefel zu überlasten, insbesondere dann, wenn er dabei zu wenig trinkt. Vor allem für Übergewichtige, Diabetiker vom Typ II und Menschen mit Nierenleiden kann dies gefährlich sein. Werden die Stoffwechselprodukte des Eiweißes in den Nieren nicht ausreichend abgebaut, reichern sie sich im Körper an. Der Kalziumhaushalt kann durcheinander geraten. Folge können Nierensteine und schlimmstenfalls poröse Knochen sein.

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