Lebensmittelunternehmen müssen mit strengeren Regeln für die Kennzeichnung ihrer Produkte rechnen. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will organisatorische Änderungen bei der Lebensmittelbuchkommission (DLBK) "sorgfältig prüfen", deren Leitsätze maßgeblich für die Kennzeichnung sind. Das Ressort beschäftige sich mit der Frage, ob die derzeitige Organisation der Kommission noch die Erwartungen in Arbeit und Ergebnisse erfülle, erklärte die Ministerin. "Dabei werden wir die Verbraucherschaft genau wie alle anderen Beteiligten auch anhören."
Verbraucher sind zunehmend verärgert über Produkte wie Kalbswienerwurst, die kaum Kalbfleisch enthält, oder Erdbeer-Joghurt, der nie Erdbeeren gesehen hat. Doch die Zusammensetzung der umstrittenen Produkte und die passenden schönen Bilder dazu sind häufig erlaubt - noch. Der Warnschuss von der Ministerin ist zwar noch verhalten, trifft aber bereits jetzt auf Widerstand bei den Herstellern.
Entscheidungen sollen öffentlich gemacht werden
Festgelegt werden die Merkmale von Produkten - wie viel Fleisch sie enthalten müssen oder wie viel Zusätze erlaubt sind - in den Leitsätzen, die die DLBK erarbeitet. Die Leitsätze sind rechtlich unverbindlich, werden aber gerne vor Gericht herangezogen. Eine Änderung der Leitsätze ist schwierig, denn die Geschäftsordnung räumt den 32 Kommissionsmitgliedern aus Wirtschaft, Verbraucherorganisationen und Wissenschaft die Möglichkeit ein, Abstimmungen zu blockieren.
Dieses Vetorecht, fordert der Verband der Verbraucherzentralen (VZBV), soll Aigner über eine Änderung der Geschäftsordnung beschränken. Es werde von der Wirtschaft genutzt, um unliebsame Änderungen von Leitsätzen zu verhindern. So habe die Wirtschaft 2011 einen Leitsatz blockiert, der vorsah, dass eine irreführende Kennzeichnung dann vorliegt, wenn der Verbraucher diesen Eindruck hat. Diesen Leitsatz hatte Aigners Ministerium unterstützt, und er hätte, so der VZBV, "das Potenzial der Irreführung erheblich verringert". Zudem wollen die Verbraucherschützer, dass die Entscheidungen der Kommission öffentlich gemacht werden.
Aigner betont, dass die Verbraucherschützer das Vetorecht ebenfalls für sich nutzen können. Und eine rasche Änderung wird es mit ihr nicht geben: Zunächst sollen die Ergebnisse des Portals Lebensmittelklarheit ausgewertet werden. "Erst dann kann über geeignete Maßnahmen, wie zum Beispiel Änderungen der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs, entschieden werden."
Hersteller verwirren mit eigenem Portal
Im Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft, dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, hält man wenig von einer Änderung der Geschäftsordnung. Die Zusammenarbeit funktioniere in dem Gremium seit 50 Jahren gut, heißt es. Die Leitsätze für Lebensmittel beschrieben, was "objektiv üblich" sei. Dass die Wirtschaft Änderungen blockiere, seien überbewertete einzelne Abstimmungssituationen. Allerdings hält der Verband Änderungen der Geschäftsordnung "grundsätzlich für diskussionswürdig", wenn es darum gehe, das Verfahren zu beschleunigen.
Spätestens Ende 2014 werden die Betriebe ohnehin teilweise umstellen müssen. Im Dezember 2014 wird der erste Teil der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung in Deutschland gültig. "Aber das wird nur bei einigen Produkten zu besserer Kennzeichnung führen, wie bei Imitaten", sagt die Lebensmittelexpertin des VZBV, Jutta Jaksche.
Bis dahin wehrt sich die Wirtschaft auf eigene Art: Seit Mitte 2011 gibt es ein bei Verbrauchern beliebtes Internetportal namens Lebensmittelklarheit.de, auf dem umstrittene Produkte diskutiert werden. Seit Kurzem landet man bei einer Onlinesuche danach als Erstes auf dem Portal des Verbands. "Es gibt schließlich kein Informationsmonopol der Verbraucherschützer", sagt ein Sprecher.