Der 24. Januar war für Mareike Krüger* kein einfacher Tag. Sofort nach dem Aufwachen dachte sie: "Krass, ich wäre heute Mama geworden." Sie betrachtete das Ultraschallbild aus der fünften Woche, das ihr der Arzt damals mitgegeben hatte, sie sah darauf einen formlosen Schatten. Ihr war bewusst, was es bedeutet hätte, eine andere Entscheidung zu treffen. Und sie dachte: "Gott sei Dank nicht." Der 24. Januar 2019 war der errechnete Geburtstermin. Mareike Krüger hat abgetrieben.
Sie arbeitet in einem Verlag, ist 26 Jahre alt, lebt in einer oberbayerischen Kleinstadt, eine lebenslustige Frau mit strahlenden Augen. Sie liebt es, in den Alpen zu wandern, aber auch, mit ihrer Clique einen draufzumachen.
Abtreibung innerhalb der Zwölf-Wochen-Frist
Es war Anfang Mai gewesen, Mareike hatte auf einer Party einen Bekannten getroffen, mit dem sie eine unverbindliche Affäre unterhielt, beide hatten zu viel getrunken, sie nahmen es mit der Verhütung nicht so genau. Als Mareike vier Wochen später das Ergebnis des Tests vor sich sah, war sie erschüttert und konnte es kaum glauben. Zwei graue Streifen. Kein Zweifel. Schwanger.
Sie sprach mit ihren Eltern, ihr Vater ist sehr katholisch, das Gespräch war nicht einfach. Die Eltern sagten: "Wir haben bis jetzt jedes Kind großgekriegt." Aber sie sagten auch, dass es ihre Entscheidung sei. Nachdem alles hin und her besprochen war, stand für Mareike fest: Sie würde die Schwangerschaft so schnell wie möglich abbrechen.
Damals dachte sie noch, diese Entscheidung zu fällen sei das Schwierigste. Heute sagt sie: "Das Schwierigste ist, was nach der Entscheidung passiert. Dass man sich auch im 21. Jahrhundert noch wie eine Verbrecherin vorkommen muss."
Als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr, war ich in der vierten Woche. Und mir war sofort klar, dass ich zu diesem Zeitpunkt kein Kind wollte. Doch der Weg, der dann folgte, war lang und mit etlichen Hürden verbunden, die ich so nie erwartet hätte. Es hat mich erschüttert, wie schwer es einem gemacht wird. Ich entschied mich für einen medikamentösen Abbruch, der nur bis zur neunten Woche möglich ist. Ich fragte bei drei großen Kliniken an. Nur in einer wurde mir ein Termin angeboten – für sechs Wochen später. Ärzte, die ich auf Verdacht anrief, waren herzzerreißend unfreundlich, blafften nur: "So was könn' Se sich bei uns hier abschminken." Von Pro Familia bekam ich eine Liste mit ein paar Kontakten, die ich abtelefonierte. Doch einige dieser Ärzte teilten mir nur mit, dass sie längst nicht mehr abtrieben – wegen Klagen und Bedrohungen. Erst nach etlichen Telefonaten erreichte ich eine taktvolle und liebenswürdige Ärztin, gerade noch rechtzeitig. Ich dachte, das Tabu sei aus der Gesellschaft raus, aber das ist nicht so, gerade mit Blick auf den Rechtsruck. Man fühlt sich schlecht mit der Entscheidung, weil einem permanent der Eindruck vermittelt wird, sie sei falsch – nicht nur dem ungeborenen Kind gegenüber, sondern der Gesellschaft gegenüber. Ich habe mich fremdbestimmt gefühlt: als sei es meine Aufgabe als Frau, ein Kind zur Welt zu bringen.
Die meisten glauben, dass Abtreibungen innerhalb der Zwölf-Wochen-Frist in Deutschland kein Problem mehr seien. Die Gesetze dazu sind so liberal wie nie zuvor. Gerade wurde eine Änderung auf den Weg gebracht, die es Ärzten demnächst erlauben soll, trotz des Werbeverbots für Mediziner auf Abtreibungen hinzuweisen. Und tatsächlich erleben viele ungewollt Schwangere, was sie erleben sollten: die unkomplizierte Unterstützung durch Menschen, die ihre Entscheidungsfreiheit achten.
Viele andere erfahren aber genau das nicht. Noch immer nicht. Sie werden bedrängt und bevormundet, sie finden weit und breit keinen Arzt, der ihnen hilft. Die Zahl dieser Frauen dürfte in Zukunft größer werden, denn immer weniger Mediziner wollen den Job machen. Wohl auch, weil radikale "Lebensschützer" durch die rechten Bewegungen der vergangenen Jahre Auftrieb bekommen haben. Sie überziehen Ärzte, die Abbrüche machen, beharrlich mit Anzeigen, veröffentlichen ihre Adressen auf Internetseiten, die aussehen wie blutige Pranger. So erleben viele Frauen heute einen merkwürdigen Widerspruch: Einerseits halten sie einen Schwangerschaftsabbruch nicht mehr für ein Tabu. Sind sie aber selbst betroffen, fühlen sie sich kritisiert, eingeschüchtert, manchmal sogar traumatisiert – nicht von den eigenen, sondern von den äußeren Umständen.
"Schwangerschaftskonfliktgesetz"
Geregelt sind Schwangerschaftsabbrüche seit 1995 so: In den ersten zwölf Wochen bleiben sie straffrei (bei medizinischer oder kriminologischer Indikation auch länger). Frauen, die abtreiben wollen, müssen sich beraten lassen und anschließend drei Tage Karenzzeit einhalten. So verlangen es die Paragrafen 218a und 219, sie stehen im Strafgesetzbuch im Kapitel "Straftaten gegen das Leben". Nach Paragraf 219a gilt es als strafbare "Werbung", wenn ein Arzt auch nur bekannt macht, etwa auf seiner Website, dass er Abtreibungen anbietet.
Alle schienen sich mit dem schwierigen Konstrukt arrangiert zu haben – bis es im November 2017 knallte. Die heute 62 Jahre alte Ärztin Kristina Hänel war vom Amtsgericht in Gießen zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Praxis-Website auch "Schwangerschaftsabbrüche" aufgelistet hatte. Die nächste Instanz, das Landgericht, bestätigte das Urteil. Der Richter dort gab der Ärztin bedauernd mit auf den Weg: "Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz." Solidarität gab es von allen Seiten, die Wogen rund um den Paragrafen 218 schlugen wieder einmal haushoch, Angela Merkel sagte zu, "eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden". Die Parteien machten sich an die Arbeit.
Doch wirklich gut ist auch die Lösung nicht, die bald gelten soll. Weiterhin dürfen Mediziner nicht auf ihre Seiten schreiben, welche Methode sie anwenden, wie lang die Wartezeit ist oder was ein Eingriff kostet. Es ist ihnen nur gestattet, zu Seiten zu verlinken, die Frauen zu Behörden oder Beratungsstellen oder einer Hotline des Familienministeriums lotsen. Dabei wollen Frauen, die ungewollt schwanger sind, gern so schnell wie möglich recherchieren, was die Ärzte, die sie kennen, anzubieten haben.
Zwei Mal habe ich abgetrieben, mit 21 und mit 23. Das zweite Mal war der Horror. Der Fötus war trotz des Medikaments nicht abgegangen, und die Ärztin zeigte mir den Ultraschall. Das Kind sehe gesund aus, sagte sie, "da schlägt das Herz". Ich habe mich elend gefühlt, verletzlich, war geschockt, traurig, wütend. Doch meine Entscheidung stand fest. Der Abbruch war dann operativ, mit Narkose. Ein paar Jahre später kam ein neuer Lebensabschnitt. Ich verliebte mich, wurde wieder schwanger. Ich war nun bereit, konnte mich darauf einlassen. In der zehnten Woche habe ich plötzlich gemerkt, dass etwas nicht stimmte, das Herz schlug nicht mehr. Diesmal hatte ich ein Kind verloren. Es war so schmerzhaft, ich war völlig aufgelöst. In meiner Panik fragte ich meinen Gynäkologen, ob es an den Abtreibungen liege. Er sagte nur: Ja. Da war ich am Ende. Zwei Tage später kam ich zur Ausschabung ins Krankenhaus. Ich war verunsichert. Die Ärztin dort sagte sofort, es sei nicht meine Schuld.
Eine Fehlgeburt in den ersten zwölf Wochen komme recht häufig vor. Aber mit meinem Kind war damals auch mein Lebenswille gestorben. Besonders schlimm fand ich, dass mein Umfeld mir weiterhin die Schuld gab. Im Streit sagte eine Freundin: "Wenigstens töte ich meine Kinder nicht." Andere meinten: "So schlimm kann es für dich nicht sein", ich hätte doch schon Kinder "wegmachen lassen". Inzwischen bin ich Mama. Meine Tochter ist heute 16 Monate alt.
Mareike Krüger wandte sich nach dem Gespräch mit ihren Eltern an ihre Hausärztin. Die kannte sich nicht aus. Sie machte einen Termin bei ihrem Frauenarzt. Ob der vielleicht sogar den Abbruch vornehmen würde? Auf seiner Website stand dazu – Werbeverbot, klar – kein Wort. Der Arzt war sehr unfreundlich. Was er zu ihr sagte, erinnert sie sich, das saß: "Das werden Sie bereuen. Darunter werden Sie leiden." Die Sprechstundenhilfen wirkten wie eingefroren. Mareike verließ die Praxis.
Ihre nächste Station war das Gesundheitsamt, das als einzige Stelle in ihrer Kleinstadt die gesetzlich vorgeschriebene Beratung anbietet und die Bescheinigungen ausstellt, die ein Arzt für den Eingriff braucht. Dort wurde ihr gesagt, sie solle das Kind doch bekommen und zur Adoption freigeben. "Ich hatte das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. Ich fühlte mich bevormundet", sagt sie. Laut "Schwangerschaftskonfliktgesetz" soll die Beratung ergebnisoffen sein, aber auch dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen – ein Widerspruch, der dazu führt, dass die Gespräche manche Frauen in psychische Konflikte stürzen, die sie vorher nicht hatten.
"Babycaust"
Vor der Praxis Aufmärsche von "Lebensschützern" Für Mareike Krüger begann die Suche nach dem Arzt, der die Abtreibung vornehmen würde. Zwei Adressen hatte sie von der Beraterin bekommen. Eine war in ihrer Stadt. Der Mann hatte keine Website, und die Sprechstundenhilfe, erinnert sich Mareike, blaffte ins Telefon: "Welche Woche?" Da wollte sie nicht hin.
Friedrich Stapf, der zweite Arzt, praktiziert in München, zwei Stunden Bahnfahrt entfernt. Im Internet fand Mareike Krüger eine Menge Berichte über ihn. Er macht nichts anderes als Schwangerschaftsabbrüche, setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass Frauen frei entscheiden können. Sie vereinbarte einen Termin. Als sie den hatte und noch ein bisschen weiter im Internet forschte, fand sie heraus: Vor wohl keiner anderen Praxis in Deutschland gab es so viele Aufmärsche von "Lebensschützern". Fast jeden Tag stehen sie dort. "Gehsteig-Beratung" nennen sie es, wenn sie Patientinnen von Stapf ansprechen, ihnen blutige Bilder von Föten zeigen, die fast schon geburtsfähig sind – und ihnen vorhalten, dass sie auf dem Weg zu einem Mörder seien. Stapf hat gegen die Aktivisten geklagt, die Demonstranten müssen jetzt Abstand halten, vertreiben lassen sie sich bisher nicht. Bis zum Europäischen Gerichtshof ging die Sache. Mareike Krüger nahm sich vor, sich auf keinen Fall in ein Gespräch verwickeln zu lassen, hatte aber das Gefühl, genau den richtigen Arzt gefunden zu haben.
Friedrich Stapf ist ein Vorkämpfer – und für viele seiner Kollegen der lebende Beweis dafür, dass man von Schwangerschaftsabbrüchen besser die Finger lässt. Der gebürtige Hesse erzählt: Seine Entscheidung, sich auf Abtreibungen zu konzentrieren, fiel Ende der 60er Jahre. Auf der "Abort-Station" in einer Wiesbadener Frauenklinik habe er Dutzende Frauen gesehen, die "übelst missratene Schwangerschaftsabbrüche" hinter sich hatten. Zehn seien allein in der Zeit seiner einjährigen Famulatur daran gestorben. Stapf hält selbstverständlich moderne medizinische Standards ein. Ihm schlägt Abscheu entgegen, fanatische Wut: "Tötungsspezialist No 1" und "Fließbandabtreiber" wird er auf der Internetseite "Babycaust" genannt. Die ihn anfeinden, werden immer mehr, hat er festgestellt. Er sieht das als Teil eines weltweiten Trends.
Dass ich schwanger wurde, lag daran, dass die Spirale verrutscht war. Meine Ärztin sagte nur: "Ach, das passiert. Das zeigt doch, dass Sie und Ihr Freund kompatibel sind." Das hat mich schockiert und wütend gemacht.
In ihrem Weltbild war es unvorstellbar, dass ich gerade kein Kind haben wollte – obwohl ich mir doch genau deshalb von ihr die Spirale hatte einsetzen lassen. Es hat sich dann als Vorteil erwiesen, dass ich in Berlin lebe. Ich fand eine gute Beratungsstelle und hatte wenige Tage danach einen Termin bei einem Gynäkologen. Ich entschied mich für einen operativen Eingriff. Die Probleme begannen danach.
Ich hatte ein paar Tage lang Fieber und Schmerzen und fing an, im Internet zu recherchieren. Ich landete dabei auf Foren, in denen Frauen Fragen stellten, die auch ich hatte: Ab wann ist es okay, wieder Alkohol zu trinken oder Sport zu machen? Aber ich merkte schnell, dass man selbst so harmlose Fragen nicht stellen kann, ohne als Kindermörderin beschimpft zu werden. Als ich später in ein Stimmungstief rutschte und auch dazu recherchierte, wurde es ganz schlimm: Da wurden mir anschließend auf Facebook Posts von Abtreibungsgegnern angezeigt. Zum Beispiel ein Foto, das eine Frau auf dem Klo zeigt, im Bauch ein Fötus mit Sprechblase: Meine Mutter tötet mich gleich. Ich dachte nur: Das darf doch nicht wahr sein! Es geht um meine Privatsphäre, meinen Körper, meine Grenzen. Doch sobald du schwanger bist, gehört dir dein Körper nicht mehr.
Stapf, 73 Jahre alt, ist einer von der alten Garde, noch ist unklar, wer ihn einmal ersetzen soll. Die junge Garde will mit dem Thema nicht mehr so viel zu tun haben. 2003 gab es in Deutschland noch 2050 Kliniken oder Ärzte, die Abbrüche im Portfolio hatten, heute sind es nur noch 1173 – 43 Prozent weniger. Der Berufsverband der Frauenärzte hat keine Erklärung für den Rückgang. Klar ist: Die Engagierten aus den 70er Jahren gehen in den Ruhestand. Und viele junge Ärzte dürften sich fragen, warum sie sich den Ärger antun sollen. "Es ist denkbar, dass im gegenwärtigen rauen politischen Klima jüngere Kolleginnen und Kollegen weniger bereit sind, nach einer Praxisübernahme Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen", sagt Verbandspräsident Christian Albring vorsichtig.
Hinzu kommt: Schwangerschaftsabbrüche werden an den Universitäten kaum gelehrt, in der fünf Jahre dauernden gynäkologischen Facharztausbildung höchstens gestreift. Nur Ausschabungen, wie sie auch nach Fehlgeburten vorgenommen werden, stehen auf dem Stundenplan. Es wird nicht über Absaugungen gesprochen und nicht darüber, wie ein medikamentöser Abbruch funktioniert. In Amerika bildete sich in den 90er Jahren eine Initiative von Medizinstudenten mit dem Namen "Medical Students for Choice", die sich unter anderem nach Irland, Großbritannien und auch nach Deutschland ausgebreitet hat. In privat organisierten Workshops üben die Studenten an Papayas, deren Form einer Gebärmutter ähnelt. Sie setzen Saugpumpen an und entfernen die kleinen Kerne aus der Frucht.
Krankenhäuser fest in Kirchen-Hand
Allgäu, Niederbayern, Oberpfalz – vor allem in katholischen, ländlichen Regionen praktiziert in einem Radius von 100 Kilometern manchmal kein einziger Arzt mehr, der einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt. Aber auch in Fulda oder Trier gibt es keinen.
Claudia Heltemes arbeitet als Psychologin bei Pro Familia in Trier, zusammen mit der Frauenbeauftragten hat sie einen Flyer entworfen, einen Konferenzraum gebucht, Politiker, Ärzte und Krankenhausbetreiber eingeladen, um über das Problem zu sprechen. "Mein Bauch gehört mir 4.0", so ist die Veranstaltung am 8. März in Trier überschrieben. Es ist der Kampfruf der 70er Jahre, als Frauen gegen Demütigung und Stigmatisierung protestierten, etliche auch mit einem öffentlichen Bekenntnis auf dem Titel des stern: "Wir haben abgetrieben". Etwa 50 Gynäkologen gibt es in der Region Trier, kein einziger mache Schwangerschaftsabbrüche, sagt Claudia Heltemes. In der Bischofsstadt sind die Krankenhäuser traditionell fest in kirchlicher Hand. Abtreibungen? Da ist Ärger programmiert. Erst vor Kurzem hat der Papst, von dem man bis dahin dachte, dass er auch die Seite der Frauen verstehe, auf dem Petersplatz zum Thema erzkatholische Rhetorik bemüht: "Es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist wie einen Auftragsmörder anzuheuern, um ein Problem zu lösen?"
Pro Familia hat bei Frauenärzten nachgefragt, ob es nicht wenigstens die Möglichkeit gäbe, den medikamentösen Abbruch anzubieten. Kein einziger sagte Ja.
In Saarbrücken, hundert Kilometer von Trier entfernt, arbeitet Raimund Kato. Kato ist ein Pseudonym, denn der niedergelassene Frauenarzt fürchtet, wieder einmal zur Zielscheibe der "Lebensschützer" zu werden. Jeden Freitag hilft er als Honorararzt hier im "Medizinischen Zentrum" aus, das Pro Familia in Saarbrücken betreibt. Kato führt etwa 400 bis 600 Abtreibungen pro Jahr durch, in der eigenen Praxis und im Medizinischen Zentrum. Wer zu ihm kommt, muss die Bescheinigung nachweisen. Kato klärt die Patientinnen über die möglichen Methoden und ihre Risiken auf.
Eigentlich lief es in der Beratungsstelle gut. Aber ich bekam dort keine Liste mit Adressen, also ging ich zu meinem Gynäkologen. Der hat mich zunächst überschwänglich beglückwünscht. Als ich klargemacht hatte, dass ich nicht schwanger sein möchte, hat er mich angemacht: Warum sind Sie es dann? Da spürte ich schon, dass es in die falsche Richtung lief. Er fiel mir ins Wort, behandelte mich extrem voreingenommen und herablassend. Er fragte, ob mein Partner davon wisse. Ich habe ihm ehrlich geantwortet – ein Fehler. Mein Freund unterstützte zwar meine Entscheidung, war aber auch traurig. Daran hat sich der Arzt komplett abgearbeitet und Horrorszenarien ausgemalt. Ich solle mich nicht wundern, wenn mein Freund mich verlassen würde und so. Er monologisierte über die biologische Uhr. Darüber, dass andere Frauen sich nichts sehnlicher wünschten. Es war wie in einer katholischen Messe, es wurde immer absurder. Nach der Untersuchung sagte er dann, einen medikamentösen Abbruch mache er nicht. Ich rief in einer Klinik an: Die boten nur den operativen Eingriff an. Ich rief bei einer anderen an, die leiteten mich weiter in die nächste Stadt. Dort hieß es, ich solle einfach herumtelefonieren. Also habe ich elf, zwölf Praxen abtelefoniert, immer in der Angst, dass es am Ende zu spät sein könnte. Ich habe schließlich eine Praxis gefunden. Aber dieses Erlebnis damals beim Arzt, diese entsetzliche Ohnmacht, das hängt mir bis heute nach.
* Name geändert
Auf der anderen Seite des Flurs liegt der "Eingriffsraum". Ein Behandlungsstuhl mit Absauggerät, daneben das Ultraschallgerät. Der chirurgische Eingriff, das Absaugen des Embryos nach örtlicher Betäubung, dauere nur eine Minute, erklärt Kato. Danach könnten die Patientinnen aufstehen und sich in den Ruheraum begeben. Manche würden am selben Tag wieder arbeiten gehen.
Gemischte Gefühle
Kato bekommt anonyme Drohbriefe. Hat er manchmal moralische Bedenken? Es gehe doch nicht um ihn, sagt er, sondern um die Frauen: "Sie haben ein Recht auf Gesundheit. Wir müssen ärztliche Hilfe leisten, sonst landen sie wie vor 50 Jahren in den Händen von Kriminellen."
Vor gut zwei Wochen saßen sich am Sonntagabend bei "Anne Will" die seit Jahrzehnten praktizierende Ärztin Kristina Hänel und Philipp Amthor gegenüber, der mit 26 Jahren zweitjüngste Bundestagsabgeordnete, ein Jurist, der sich in einem Fernsehspot dafür ausgesprochen hatte, am Werbeverbot im Paragrafen 219a nicht zu rühren. Amthor verteidigte den Plan von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, eine Studie über die psychischen Folgen von Abtreibungen in Auftrag zu geben.
Es ist ein Übereifer, der an die 50er und 60er Jahre erinnert, als die Bevormundung von Frauen das normalste der Welt war und – manchmal breitbeinig, manchmal naiv – als Fürsorge verkauft wurde. Antworten auf die Frage, wie Frauen einen Schwangerschaftsabbruch verkraften, gibt es längst. David Fergusson und sein Team konnten für eine der aussagekräftigsten Studien mit Daten von mehr als 500 Frauen arbeiten, die bis zum 30. Lebensjahr immer wieder untersucht worden waren. Es zeigte sich, dass eine Abtreibung fast immer mit gemischten Gefühlen hoher Intensität verbunden war – mit Erleichterung auf der einen Seite, mit Trauer und oft auch Schuldgefühlen auf der anderen. Auch ernste Beschwerden traten auf. Aber als die Frauen mit 30 Jahren gefragt wurden, ob sie ihre Entscheidung immer noch für richtig hielten, bejahten das 89,4 Prozent.
Bei Mareike Krüger ging alles gut. Sie fuhr zusammen mit ihrer Mutter nach München. Als die beiden bei Doktor Stapf ankamen, standen keine Lebensschützer vor der Tür.
Überstanden
Im Aufwachraum bot man Mareike Kekse an, ihre Mutter streichelte ihren Kopf. Nach zwei Stunden konnten sie wieder gehen, und Mareike Krüger war müde, aber froh. Dass sie das alles so gut überstanden hat, denkt sie heute, hat vor allem damit zu tun, dass ihr in der Klinik vermittelt wurde: Ich bin eine von vielen Frauen, die gerade einfach kein Kind bekommen möchten, und das ist in Ordnung.
Sie ist sich sicher, dass sie irgendwann eine Familie gründen wird. Dann, wenn sie sich richtig auf ein Baby freuen kann.
* Name geändert