Hilfe für Angehörige "Was unausgesprochen bleibt, belastet"

Prof. Wolf-Dieter Gerber, Direktor des Kieler Instituts für Medizinische Psychologie, sagt, wie sich Partner und Verwandte am besten verhalten.

Die Diagnose Krebs erlebt wohl jeder Mensch als niederschmetternd. Wie können Angehörige den Patienten unterstützen?

Entscheidend ist, dass eine Bezugsperson von Beginn an bei der Mitteilung der Diagnose durch den Arzt anwesend ist. Der Patient sollte in den ersten, besonders schwierigen Tagen auf keinen Fall allein gelassen werden.

Wie viel sollte man in Familie oder Partnerschaft über die Krankheit reden?

Der Gedanke, möglicherweise am Krebs sterben zu müssen, ist für jeden Menschen ein Schock. Wir wissen, dass es in solchen Situationen sehr wichtig ist, über diese Erfahrung zu reden, und zwar viel zu reden. Allerdings sollten Angehörige auf Gesprächsangebote des Kranken warten, denn es gibt auch Menschen, die so etwas lieber mit sich allein ausmachen. Und gerade Männer müssen akzeptieren, dass sie das Problem nicht wie gewohnt tatkräftig, gewissermaßen mit der Bohrmaschine, beheben können, sondern dass sie vor allem zuhören müssen. Nach der ersten Schockphase sollten die Angehörigen mithelfen, die Lebensplanung weiterzuführen. Man sollte etwa den geplanten Urlaub nicht ohne Not absagen und das ersehnte Auto auch kaufen. Es darf sich kein permanenter Ausnahmezustand einstellen.

Wie reagieren die Nächsten am besten, wenn der Patient partout nicht über seine Gefühle reden möchte?

Wenn er nicht reden möchte, muss man das akzeptieren. Es gibt zum Beispiel Kranke, die ihren Partner nicht belasten wollen. Das gilt es zu respektieren, auch wenn es unglücklich ist. Vielleicht findet der Patient soziale Unterstützung bei Freunden oder anderen Personen.

Sollten Angehörige ihre eigenen Ängste und negativen Gefühle vor dem Patienten verschweigen?

Was unausgesprochen bleibt, belastet mehr als das Ausgesprochene. Wer zugibt, dass er sich sorgt, dass er traurig ist, dass es ihn schmerzt, die geliebte Person leiden zu sehen, der belastet den Kranken gewöhnlich nicht, sondern er erhält die Kommunikation aufrecht. Und das braucht der Patient.

Ist es sinnvoll, Kindern die ganze Wahrheit zu sagen, auch dass Vater oder Mutter womöglich sterben wird?

Das hängt vom Alter ab. Bis etwa acht haben Kinder noch gar keine Vorstellung vom Tod. Ältere stellen natürlich Fragen. Aber auch dann gilt: Bei vielen Krebserkrankungen, gerade auch bei Brustkrebs, sind die Heilungschancen ja relativ hoch. Über den Tod zu reden, halte ich da nicht für angebracht. Man sollte jedoch ansprechen, dass es der Mutter im Augenblick nicht gut geht, weil sie krank ist.

Wie viel sollte der Partner über die Erkrankung wissen?

Es ist wichtig, dass sich der Partner so gut wie möglich informiert. Er sollte auf dem gleichen Stand sein wie der Patient. Angehörige müssen insbesondere die Phasen der psychologischen Krankheitsbewältigung kennen, damit sie nicht schockiert sind, wenn der Kranke zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Hilfsangebote zurückweisend oder sogar aggressiv reagiert.

Wie sollte der Partner mit körperlichen Veränderungen des Patienten umgehen?

Gerade bei Brustkrebspatientinnen ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper ein Problem. Viele fühlen sich nicht mehr richtig als Frau, wenn sie eine Brust verloren haben. Erfahrungsgemäß finden die Partner das jedoch weit weniger schlimm. Sie leiden eher darunter, dass sich die Partnerin sexuell zurückzieht. Da kann unter Umständen eine Paarberatung helfen.

Wo finden Angehörige Unterstützung, wenn sie nicht weiterwissen?

Manchen hilft der Erfahrungsaustausch in einer Selbsthilfegruppe, wo gewöhnlich auch Partner oder nahe Verwandte willkommen sind. Ich rate allerdings dazu, dies genau abzuwägen, da manche Angehörige von der Begegnung mit anderen Kranken psychisch eher destabilisiert werden. In jedem Fall sollten auch Angehörige professionelle Hilfe bei einem Therapeuten, am besten einem Psychoonkologen, suchen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen die Situation über den Kopf wächst.

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