Herr Jörnvall, was muss man tun, um den Nobelpreis zu bekommen?
Schwierige Frage. Alfred Nobel machte nur vage Angaben, als er 1895 seinen letzten Willen unterschrieb: Den Preis für Physiologie und Medizin sollte der bekommen, der die "wichtigste Entdeckung" auf diesem Gebiet gemacht hätte. Und die sollte der Menschheit den "größtmöglichen Nutzen" bringen.
Wie entwickelt man daraus den berühmtesten Wissenschaftspreis der Welt?
Natürlich braucht man Leitlinien, wie brillante Wissenschaft aussehen soll, die den Nobelpreis verdient. Im Fachgebiet Physiologie oder Medizin orientieren wir uns vor allem an zwei Kriterien: Ein Nobelpreisträger muss entweder etwas entdeckt haben, auf dem ein neues Forschungsgebiet aufbauen kann. Oder etwas, das einen radikalen Paradigmenwechsel in einem existierenden Forschungsgebiet bewirkt.
Spielt es eine Rolle, ob diese Entdeckung unmittelbar kranken Menschen helfen kann? Viele Nobelpreise werden für schwer verständliche Grundlagenforschung vergeben.
Der Nobelpreis wird oft für etwas scheinbar Abstraktes vergeben. Aber das muss immer auch einen Nutzen für die Entdeckung oder Heilung von Krankheiten bringen.
Ein Beispiel?
Nehmen wir den Nobelpreis 2005, für die Entdeckung, dass der Einzeller Helicobacter pylori Magengeschwüre verursacht. Bevor das bekannt war, vermutete man, dass die Wucherungen vor allem durch Stress oder psychische Probleme entstehen. Es wurde unglaublich viel operiert, aber bei vielen Patienten kamen die Geschwüre immer wieder oder wurden bösartig. Viele starben daran. Heute kann man den Kranken gezielt Antibiotika gegen Helicobacter geben. Ohne OP. Und mehr Menschen überleben.
Wie viele Einladungen, einen Forscher für den Preis zu nominieren, verschickt das Nobel-Komitee jedes Jahr?
Das ist geheim. Und jeder, der jemanden vorschlagen darf, wird von uns darauf hingewiesen, dass der gesamte Nobel-Prozess absolut vertraulich ist.
Warum so viel Geheimniskrämerei?
Wir wollen unverfälschte Meinungen haben. Und wir möchten weder, dass sich Forscher untereinander abstimmen, noch dass jemand, der nominieren will, von anderen unter Druck gesetzt wird. Außerdem soll sich am Ende niemand beschweren können, weil er oder sie den Preis nicht bekommen hat.
Warum kann nicht jeder, der will, einen Forscher vorschlagen?
Theoretisch wäre das möglich, aber dann würden wir hier in Zuschriften ertrinken. Also versuchen wir von vornherein diejenigen Experten auszusuchen, von denen wir uns fachlich gut begründete Nominierungen erhoffen.
Wie teilen sich die Nobel-Versammlung und das Nobel-Komitee die Arbeit auf?
Die 50-köpfige Nobel-Versammlung ist das Entscheidungsgremium. Hier wird letztlich abgestimmt, wer den Nobelpreis bekommt. Das Komitee ist sozusagen das Büro des Nobelpreis-Prozesses. Wir sind 18 Mitglieder und über unsere Schreibtische gehen sämtliche Vorschläge. Wir ziehen weitere Wissenschaftler für die Bewertung hinzu und leiten die geballte Expertise weiter an die Versammlung.
Eine Menge E-Mail-Verkehr...
Nein, bei uns läuft alles auf Papier. Die Nominierungen und ihre Begründungen treffen als Briefe bei uns ein und werden dann zu einem Buch gebunden, das an die Nobelversammlung weitergereicht wird. Jeder Schritt des Entscheidungsprozesses wird schriftlich festgehalten. Und sollte sich nicht so leicht verbreiten lassen wie eine Email.
Bei aller Geheimhaltung: Wissenschaftler leben ja nicht auf einem einsamen Stern, sondern in einer Expertengemeinschaft. Man kennt sich. Wie oft kommt es vor, dass jemand bei Ihnen die Nominierung eines guten Freundes oder direkten Kollegen auf dem Tisch hat?
Das passiert eigentlich jedes Jahr. Und manchmal wird es sogar noch pikanter: wenn jemand plötzlich seine eigene Nominierung auf dem Tisch hat. Wir sehen die entsprechende Person dann als befangen an. Sie kann in diesem Jahr nicht mehr am Nobelpreisprozess teilnehmen.
Wie wird abgestimmt?
Die Nobelversammlung kommt übers Jahr immer wieder zusammen und die Auswahl der Nominierten schrumpft immer mehr. Am Entscheidungstag selbst findet ab 09.00 Uhr die endgültige Entscheidung in Stockholm statt. Jedes Mitglied der Versammlung wird einen kleinen Zettel mit einem Namen aus der Endrunde in eine Metall-Urne werfen. Dann wird gezählt. Es reicht die einfache Mehrheit. Ungefähr ab 11.30 wissen wir dann mehr...
Was machen Sie, wenn hier der große Rummel am Montag vorbei ist?
Die Nominierungs-Einladungen für 2009 sind schon rausgeschickt. Das Komitee befindet sich sozusagen schon im nächsten Nobel-Zyklus. Langweilig wird uns hier nie.
Interview: Nicole Heißmann